Sogar der Pfarrer weinte
Wenn von Beerdigungen die Rede ist, fällt mir immer jene von Onkel Jakob ein. Das war nicht nur ein schönes Begräbnis. An jenem Tag passierte sogar ein Wunder. Doch der Reihe nach.
Onkel Jakob starb in einer heissen Juliwoche 2006, kurz vor seinem 70. Geburtstag. Tante Magda bestellte mich für den Nachruf. Deshalb bekam ich die Vorbereitungen live mit.
Onkel Jakob starb auf seinem Bauernhof weit, weit hinten im Kanton. Die - selbstverständlich katholische - Kirche steht dort noch im Dorf, und es gibt dort Dinge zwischen Himmel und Erde, die ein Agglo-Mensch fast nicht begreifen kann.
Zwei Tage vor der Beerdingung stritten die Cousinen und der Cousin. Es ging um das Opfer. Für alle, die mit den Begrifflichkeiten einer katholischen Messe nicht vertraut sind: Kurz vor der Kommunion lässt der Pfarrer jeweils zwei Körbchen unter den Versammelten herumreichen. Jeder legt ein paar Münzen oder auch ein Nötli hinein. Das Geld, das so zusammenkommt, heisst "das Opfer" und wird einem guten Zweck gespendet. An einer Beerdigung dürfen offenbar die Trauernden über die Verwendung bestimmen.
Cousine Claire sagte: "Papi liebte Vögel. Die Spende sollte der Vogelwarte zugute kommen." Cousin Moritz war anderer Meinung. "Wir sollten sie der Kirche geben", sagte er, "Du weisst doch: Die Renovationsschuld ist immer noch nicht abgezahlt." Die beiden anderen Cousinen und Tante Magda waren unentschlossen. Eine Stunde lang ging es zu und her wie in einem Parlament. Dann gab es einen Kompromiss: Die eine Hälfte des Opfers sollte der Vogelwarte zugute kommen. Die andere der Kirche.
Die Beerdigung war an einem schwülen Tag. Bleischwer lag die Luft auf dem Dorf. Nie werde ich den Weinkrampf der hoch schwangeren Cousine Luzia vergessen. Sonst lief alles gut. Auch das Opfer. Der Pfarrer liess die Körbchen herumreichen und verkündete den Verwendungszweck der Spende - wobei er die Idee mit der Vogelwarte Sempach ein bisschen ins Lächerliche zog. Was ich nicht ganz in Ordnung fand. Aber wir waren hier auf dem Land. Ich musste nicht alles verstehen.
Dann war die Messe vorbei. Die Männer trugen den Sarg hinaus. Über dem Tal kündigten graue Wolken ein baldiges Unwetter an. Die Trauergemeinde war gross. Es dauerte eine Weile, bis alle vor dem offenen Grab standen. Dann wurde es still. Ganz still.
Genau in diesem Moment wirbelte ein halbes Dutzend Mauersegler übers Kirchdach auf den Friedhof. Laut jubilierend zogen die Vögel ein paar Kreise über dem Sarg von Onkel Jakob.
Es war phänomenal. Kein Auge blieb trocken. Sogar der Pfarrer weinte.
Dann verschwanden die Vögel wieder, wie sie gekommen waren. Der Pfarrer sagte mit brüchiger Stimme: "Die haben sich jetzt für das Opfer bedankt!"
Onkel Jakob starb in einer heissen Juliwoche 2006, kurz vor seinem 70. Geburtstag. Tante Magda bestellte mich für den Nachruf. Deshalb bekam ich die Vorbereitungen live mit.
Onkel Jakob starb auf seinem Bauernhof weit, weit hinten im Kanton. Die - selbstverständlich katholische - Kirche steht dort noch im Dorf, und es gibt dort Dinge zwischen Himmel und Erde, die ein Agglo-Mensch fast nicht begreifen kann.
Zwei Tage vor der Beerdingung stritten die Cousinen und der Cousin. Es ging um das Opfer. Für alle, die mit den Begrifflichkeiten einer katholischen Messe nicht vertraut sind: Kurz vor der Kommunion lässt der Pfarrer jeweils zwei Körbchen unter den Versammelten herumreichen. Jeder legt ein paar Münzen oder auch ein Nötli hinein. Das Geld, das so zusammenkommt, heisst "das Opfer" und wird einem guten Zweck gespendet. An einer Beerdigung dürfen offenbar die Trauernden über die Verwendung bestimmen.
Cousine Claire sagte: "Papi liebte Vögel. Die Spende sollte der Vogelwarte zugute kommen." Cousin Moritz war anderer Meinung. "Wir sollten sie der Kirche geben", sagte er, "Du weisst doch: Die Renovationsschuld ist immer noch nicht abgezahlt." Die beiden anderen Cousinen und Tante Magda waren unentschlossen. Eine Stunde lang ging es zu und her wie in einem Parlament. Dann gab es einen Kompromiss: Die eine Hälfte des Opfers sollte der Vogelwarte zugute kommen. Die andere der Kirche.
Die Beerdigung war an einem schwülen Tag. Bleischwer lag die Luft auf dem Dorf. Nie werde ich den Weinkrampf der hoch schwangeren Cousine Luzia vergessen. Sonst lief alles gut. Auch das Opfer. Der Pfarrer liess die Körbchen herumreichen und verkündete den Verwendungszweck der Spende - wobei er die Idee mit der Vogelwarte Sempach ein bisschen ins Lächerliche zog. Was ich nicht ganz in Ordnung fand. Aber wir waren hier auf dem Land. Ich musste nicht alles verstehen.
Dann war die Messe vorbei. Die Männer trugen den Sarg hinaus. Über dem Tal kündigten graue Wolken ein baldiges Unwetter an. Die Trauergemeinde war gross. Es dauerte eine Weile, bis alle vor dem offenen Grab standen. Dann wurde es still. Ganz still.
Genau in diesem Moment wirbelte ein halbes Dutzend Mauersegler übers Kirchdach auf den Friedhof. Laut jubilierend zogen die Vögel ein paar Kreise über dem Sarg von Onkel Jakob.
Es war phänomenal. Kein Auge blieb trocken. Sogar der Pfarrer weinte.
Dann verschwanden die Vögel wieder, wie sie gekommen waren. Der Pfarrer sagte mit brüchiger Stimme: "Die haben sich jetzt für das Opfer bedankt!"
diefrogg - 31. Okt, 12:49
8 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
katiza - 31. Okt, 14:50
Was für eine wunderbare Allerheilgen/Allerseelen-Geschichte, liebe Frau Frogg, danke.
Kulturflaneur - 31. Okt, 15:26
Besser als die Patrouille Suisse
Ich habe immer gemeint, es seien Alpensegler gewesen - anyway die Loopings dieser gefiederten Flugkünstler waren besser als die der Patrouille Suisse (offizielle Jet-Kunstflugstaffel der Schweizer Luftwaffe). Kein Wunder, blieb kein Auge trocken, als sie im Formationsflug und ohne Nachbrenner übers offene Grab düsten.
diefrogg - 31. Okt, 15:39
Schade, dass...
acqua nicht dabei war. Die hätte sicher gewusst, ob es Alpen- oder Mauersegler waren ;) Wenn ich mich richtig erinnere, waren sie grau. Alpensegler haben weisse Bäuche. Aber eben. Es ist vier Jahre her.
acqua - 31. Okt, 19:48
Ich kann euch immerhin sagen, dass letzte Woche Alpensegler bei Sonnenuntergang um den Galataturm segelten. Ich weiss es sicher, denn ich hatte meine ornithologische Freundin M. dabei. Dank ihr erkenne ich nun auch eine Nebelkrähe.
steppenhund - 1. Nov, 10:13
Eine wunderbare Geschichte.
Solche Ereignisse treffen häufiger zu, als wir es wahrnehmen. Die Bereitschaft zum Wahrnehmen ist anläßlich eines Begräbnisses vermutlich stark gesteigert. Ich glaube, dass sie anläßlich eines Begräbnisses die Menschen nicht nur mit dem Tod der Dahingeschiedenen sondern auch mit ihrem eigenen Tod beschäftigen. Dann ist die Empfindlichkeit sicher gesteigert.
Solche Ereignisse treffen häufiger zu, als wir es wahrnehmen. Die Bereitschaft zum Wahrnehmen ist anläßlich eines Begräbnisses vermutlich stark gesteigert. Ich glaube, dass sie anläßlich eines Begräbnisses die Menschen nicht nur mit dem Tod der Dahingeschiedenen sondern auch mit ihrem eigenen Tod beschäftigen. Dann ist die Empfindlichkeit sicher gesteigert.
diefrogg - 1. Nov, 18:52
Ja, der Gedanke...
an den eigenen Tod macht einen sicher offener für allerhand wunderliche Wahrnehmungen. Was sicher auch mitgespielt hat, war das ländliche, geradezu archaische Setting. Es gibt Dinge, die in der Stadt einfach anders aussehen.
walküre - 2. Nov, 11:26
Anders, aber auch wieder nicht. Es kommt beispielswiese auch auf den jeweiligen Friedhof an, auf die Trauergäste, auf die ganze Stimmung.
Ich habe das Begräbnis meines Schwiegervaters noch sehr gut in Erinnerung; die Verwandtschaft ist recht groß, nicht auf Wien beschränkt und wurde rechtzeitig über die Trauerfeierlichkeiten informiert, wobei aus Altersgründen nicht alle den weiten Weg auf sich genommen haben. Auch ist es vom 13. Bezirk, wo wir wohnen, zum Zentralfriedhof an der südlichen Peripherie Wiens, auf dem sich das Familiengrab befindet, kein Spaziergang, sondern eine ordentliche Strecke, egal, ob per Auto oder mit den Öffis. Der Tag des Begräbnisses war ein eisiger Wintertag, grau, nieselig, windig und wenig einladend. Jedenfalls waren wir alle von einem Begräbnis im größeren familären Rahmen ausgegangen, geworden ist es dann eine sehr große Menge Menschen, weil sich nämlich ohne unser Wissen der Tod meines Schwiegervaters unter seinen ehemaligen Patienten, von denen ihn viele höchstgeschätzt haben, wie ein Lauffeuer herumgesprochen hatte. Das Wetter und die weite Strecke spielten keine Rolle, sie wollten sich ein letztes Mal bedanken für das, was er ihnen hatte zuteil werden lassen ...
PS: Ihre Geschichte ist wunderbar.
Ich habe das Begräbnis meines Schwiegervaters noch sehr gut in Erinnerung; die Verwandtschaft ist recht groß, nicht auf Wien beschränkt und wurde rechtzeitig über die Trauerfeierlichkeiten informiert, wobei aus Altersgründen nicht alle den weiten Weg auf sich genommen haben. Auch ist es vom 13. Bezirk, wo wir wohnen, zum Zentralfriedhof an der südlichen Peripherie Wiens, auf dem sich das Familiengrab befindet, kein Spaziergang, sondern eine ordentliche Strecke, egal, ob per Auto oder mit den Öffis. Der Tag des Begräbnisses war ein eisiger Wintertag, grau, nieselig, windig und wenig einladend. Jedenfalls waren wir alle von einem Begräbnis im größeren familären Rahmen ausgegangen, geworden ist es dann eine sehr große Menge Menschen, weil sich nämlich ohne unser Wissen der Tod meines Schwiegervaters unter seinen ehemaligen Patienten, von denen ihn viele höchstgeschätzt haben, wie ein Lauffeuer herumgesprochen hatte. Das Wetter und die weite Strecke spielten keine Rolle, sie wollten sich ein letztes Mal bedanken für das, was er ihnen hatte zuteil werden lassen ...
PS: Ihre Geschichte ist wunderbar.
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