Schwarze Pädagogik
"Lustig, ich habe vor ein paar Tagen an Dich gedacht!" sagt Felix. Das ist tatsächlich merkwürdig. Denn damals, als wir zusammen die Matura machten, hatten wir uns nicht viel zu sagen. Wir verloren uns sofort aus den Augen.
Dennoch bin ich drauf und dran zu antworten: "Ja, lustig! Ich habe kürzlich jemandem von Dir erzählt!" Ich erwähne Felix stets, wenn ich Bekannten von den haarsträubenden pädagogischen Methoden unseres Lateinlehrers erzähle. Dieser nannte ihn nicht Felix, sondern Fixi, lieber noch: Fixi-Säuli. Der Altphilologe besass ein schwarzes Büchlein mit einer Liste unserer Namen. Zu Beginn jeder Stunde zückte er dieses Büchlein und sagte zu Felix: "Fixi-Säuli, sag eine Zahl!" Felix sagte jeweils eine Zahl. Zum Beispiel: "Sieben". Der Lehrer stach blind mit einem Stift in die Namensliste und zählte bis sieben. Das Ritual war spannungsgeladen, ja bedrohlich. Denn die Person, die der Lehrer dann aufrief, musste nach vorne und die Aufgaben aufsagen. Wer versagte, wurde coram publico mit Schimpf und Schande überdeckt.
Ich habe nie verstanden, warum sich Felix nicht gegen seine Rolle in diesem Spiel wehrte. Ich hätte das alles als Demütigung empfunden. Ich hätte mir das nicht bieten lassen. Aber Felix war anders als ich. Er war eigentlich ziemlich frech. Vielleicht verstand er sich nicht als Opfer, sondern als Komplize dieses Spiels. Und vielleicht war er einfach weniger empflindlich als ich.
Doch jetzt gleich damit anzufangen, wäre bösartig. "Ach wirklich? Warum hast Du denn an mich gedacht?" frage ich statt dessen.
Dennoch bin ich drauf und dran zu antworten: "Ja, lustig! Ich habe kürzlich jemandem von Dir erzählt!" Ich erwähne Felix stets, wenn ich Bekannten von den haarsträubenden pädagogischen Methoden unseres Lateinlehrers erzähle. Dieser nannte ihn nicht Felix, sondern Fixi, lieber noch: Fixi-Säuli. Der Altphilologe besass ein schwarzes Büchlein mit einer Liste unserer Namen. Zu Beginn jeder Stunde zückte er dieses Büchlein und sagte zu Felix: "Fixi-Säuli, sag eine Zahl!" Felix sagte jeweils eine Zahl. Zum Beispiel: "Sieben". Der Lehrer stach blind mit einem Stift in die Namensliste und zählte bis sieben. Das Ritual war spannungsgeladen, ja bedrohlich. Denn die Person, die der Lehrer dann aufrief, musste nach vorne und die Aufgaben aufsagen. Wer versagte, wurde coram publico mit Schimpf und Schande überdeckt.
Ich habe nie verstanden, warum sich Felix nicht gegen seine Rolle in diesem Spiel wehrte. Ich hätte das alles als Demütigung empfunden. Ich hätte mir das nicht bieten lassen. Aber Felix war anders als ich. Er war eigentlich ziemlich frech. Vielleicht verstand er sich nicht als Opfer, sondern als Komplize dieses Spiels. Und vielleicht war er einfach weniger empflindlich als ich.
Doch jetzt gleich damit anzufangen, wäre bösartig. "Ach wirklich? Warum hast Du denn an mich gedacht?" frage ich statt dessen.
diefrogg - 23. Mär, 21:18
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jueb - 24. Mär, 11:22
Gestatten Sie mir, Madame Frogg, eine Assoziation aus meiner Schulzeit beizusteuern? Wir hatten im Gymnasium eine Mathematiklehrer, der war fast so sadistisch wie unser Lateinlehrer (nebenbei: Warum haben besonders Lateinlehrer einen Hang zu skrupellosen Unterrichtsmethoden?), also wir sind bei diesem Mathematiklehrer, der rief die Schüler auf, mich zum Beispiel, und stellte eine Rechenaufgabe, etwa 17 x 37, dann sah er mich an und auf seine Rollexuhr und dann begann er mit seinem speckigen Fingern zu schnalzen, als sei er der Vorsteher einer Swingband, schnalzte mit den Fingern und zählte Eins, Zwei, Drei... Die Antwort leider nicht gewusst! Setzen! Habe ich erwähnt, dass er ein besonders hässlicher Mann war? Aber ich nehme an, das wollten Sie gar nicht wissen, weil Sie sich es bereits gedacht haben...
steppenhund - 24. Mär, 11:42
angeberisch:
17*37
1 ... eins __ 20*37 = 740
2 ... zwei __ 3 * 37 = 111 (weiß ich immer auswendig, weil mich das schon in der Kindheit fasziniert ha)
3 ... drei __ 740-111 = 629
Und die Lehrerin dabei mitleidig angelächelt. (War eine andere Aufgabe, aber ähnlich) Hat mir einmal eine gehörige Strafaufgabe über Ostern eingebracht. Alle Übungsbeispiele aus dem Mathematik-Lehrbuch. Der Gesichtsausdruck der Lehrerin war allerdings unbezahlbar!
17*37
1 ... eins __ 20*37 = 740
2 ... zwei __ 3 * 37 = 111 (weiß ich immer auswendig, weil mich das schon in der Kindheit fasziniert ha)
3 ... drei __ 740-111 = 629
Und die Lehrerin dabei mitleidig angelächelt. (War eine andere Aufgabe, aber ähnlich) Hat mir einmal eine gehörige Strafaufgabe über Ostern eingebracht. Alle Übungsbeispiele aus dem Mathematik-Lehrbuch. Der Gesichtsausdruck der Lehrerin war allerdings unbezahlbar!
diefrogg - 24. Mär, 11:48
Gerne gestatte ich Ihnen...
diesen Beitrag, Herr jueb! Ich wollte einen kleinen Eindruck von der Stimmung vermitteln, die damals in einigen unserer gymnasialen Schulstuben herrschte. Sie haben diesen Eindruck bestimmt vertieft, was mir gefällt. Unser Lateinlehrer war einer von drei berüchtigten Altphilologen an unserer Schule. Er trug als Übernamen den Namen eines griechischen Gottes, der mit Blitz und Donner hantierte. Warum sie alle so sadistisch (und ziemlich exzentrisch) waren, ist tatsächlich eine Frage, die uns damals auch beschäftigte. Unsere Mathematiklehrer dagegen waren zum Glück recht modern, und ich fand einen oder zwei von ihnen ziemlich sexy. Dafür hatten wir einen Französisch- und Deutschlehrer, von dessen Wissen nichts als Staub in unsere Schulhefte rieselte (per stundenlangem Diktat, nota bene).
steppenhund - 24. Mär, 11:50
Habe heute eine Reise nach Geneve gewonnen. Da bin ich auch richtig gut gelaunt:)
diefrogg - 24. Mär, 13:12
@Herrn Steppenhund?
Reise nach Genf gewonnen? Mit Ihren überwältigenden mathematischen Kenntnissen? Oder reichte Glück? Wie auch immer: Gratuliere tunlich und wünsche, dass das Wetter hält! Bei den Kenntnissen der Mathematik halte ich es eher mit Herrn jueb. Nur ungern erinnere ich mich, wie ich in der mündlichen Matur unter dem kühlen Blick meines sehr blauäugigigen damaligen Mathematiklehrers an einer Kreisgleichung gescheitert bin!
steppenhund - 24. Mär, 13:59
Es ist ein Brauch aus einer alten Firma (1986-1988) in der ich regelmäßig gereist bin, "eine Reise zu gewinnen". Es kam ein Telex herein und die Sekretärin meldete ein bisschen schadenfroh, "Du hast wieder eine Reise gewonnen. - Nach Moskau." Es war die Zeit des Dauervisums und des ständigen Pass-Mitführens. Um 9:00 in der Firma, um 11:55 unvermutet im Aua-Flieger nach Moskau.
Seither werden Dienstreisen "gewonnen".
Geneve ist eine angenehme Geschäftsanbahnungsreise, bei der ich auch ein Experiment im CERN beobachten darf. Insofern ist es wirklich ein Gewinn.
Seither werden Dienstreisen "gewonnen".
Geneve ist eine angenehme Geschäftsanbahnungsreise, bei der ich auch ein Experiment im CERN beobachten darf. Insofern ist es wirklich ein Gewinn.
diekolumnistin - 24. Mär, 14:42
Aber kam der Felix dann vielleicht nicht dran beim Aufgabenaufsagen?
diefrogg - 24. Mär, 16:12
Doch, doch!
Natürlich kam er auch dran! Die Zählerei unseres Lateinlehrers war durchaus willkürlich. Wer zu spät kam, kam zum Beispiel garantiert dran, egal, welche Zahl Felix nannte.
jueb - 24. Mär, 18:43
Heißt Felix nicht der Glückliche oder Fruchtbare? Nomen est Schall & Rauch.
diefrogg - 24. Mär, 20:49
Natürlich heisst...
er in Wirklichkeit nicht Felix. Der Name ist aber bewusst gewählt. Ich finde, er passt zu ihm. Felix hat mir immer den Eindruck gemacht, als berührten ihn die Niedrigkeiten des Lebens nicht. Als könne er sich stets seine Pfiffigkeit, seine Unberührtheit und einen Touch Ironie wahren.
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