27
Dez
2008

Horror im Kinderzimmer

Vater Frogg wird älter. Und ich habe gemerkt: Das hat auch Vorteile. Zum Beispiel erzählt er neuerdings gern aus seiner Jugendzeit. Am Heiligabend, leise untermalt von weihnachtlichen Klängen ab CD, kam er plötzlich ins Berichten.

Als Fünfjähriger habe er ein Zimmer mit einem Mädchen geteilt, sagte er. Sie hiess Maribeth oder ähnlich, und, so fügte er schnell hinzu: Sie war natürlich kein Mädchen im heutigen Sinne, sondern eine Magd, also, ein altes Mädchen, so Anfang 80.

Ich sollte hier noch erklärend einfügen: Vater Frogg ist 1939 geboren und auf einem Bauernhof weit draussen auf dem Lande aufgewachsen. Noch heute liegt sein Geburtshaus in einem Handyloch. Es war zwar ein grosses Haus, und Grossvater Frogg hatte auch immer reichlich Personal, um den Betrieb am Laufen zu halten. Ansonsten aber war die Familie bitter arm.

"Ich hatte schon mitbekommen, dass es der Maribeth nicht so gut gegangen ist", erzählte Vater Frogg, "Aber das war halt ganz normal, sie war ja alt. Eines Morgens aber, als ich aus dem Bett stieg, war sie über Nacht gestorben."

Ich empöre mich für ihn. Ich meine: Heutzutage würde man doch ein Kind nie immer Zimmer einer Sterbenden schlafen lassen! Vater Froggs zwei Enkelinnen jedenfalls führen da ein ganz anderes Leben: Die haben neuerdings je ein eigenes Zimmer. Und die durften sogar auswählen, welche Farbe die Wände darin haben sollen. Das von Marie-Christiane (7) ist pink, das von Carina (3) gelb.

Doch Vater Frogg erzählt, ohne zu vergleichen. Ohne Groll. Ohne Moralinsäure. Auch ohne Prahlerei. Vater Frogg gehört nicht zu den Leuten, die ständig darlegen müssen, was für tolle Hechte sie einmal gewesen sind.

"Ach weisst Du, das war halt so!" sagt er gelassen, "Damals gab es so Hierarchien in unserem Haus."

Ich glaube, er hätte gerne noch ein bisschen von diesen Hierarchien erzählt. Aber vor Empörung frage ich nicht nach, denn es ist ja klar, was gemeint ist: Er als Jüngster im Haus war gerade gleich viel Wert wie ein krankes "altes Mädchen".

Erst später wird mir plötzlich klar, welche Welten dieser stets so überaus freundliche und zurückhaltende ältere Herr in seinem Leben durchquert hat. Warum er so manches im Leben als Geschenk betrachtet. Als eine verwunderliche Gabe, die er fast nicht annehmen darf. Plötzlich verstehe ich besser, wer er ist. Wer wir sind.

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la-mamma - 27. Dez, 16:37

ich hör meinem vater auch gern zu -

der (jahrgang 1929, geboren im damaligen königreich jugoslawien ...) erzählt viel zu selten die ganz alten geschichten. und ich kann mir auch das meiste nicht mehr wirklich vorstellen ...

diefrogg - 27. Dez, 16:39

Na, das muss ja auch...

enorm spannend sein! Den würde ich sofort interviewen! Das ist nämlich ein Projekt, das mir schon lange vorschwebt: Alte Leute interviewen. Mit meiner Grossmutter habe ich das schon gemacht. War höchst ergiebig! Nur ist meine Grossmutter eine begnadete Erzählerin ihrer eigenen Geschichte. Leider habe ich noch keine Gelegenheit gehabt, zurückhaltende Leute zu befragen. Ich glaube, ich werds mit meinem Vater demnächst versuchen!
la-mamma - 27. Dez, 17:14

*lach*

ungefähr sowas hat meine schwester sich auch schon vorgestellt. es sollte wirklich nicht alles so in vergessenheit geraten!
diefrogg - 27. Dez, 17:34

Also, solltet Ihr Tipps...

brauchen: Jederzeit und gerne!!!
acqua - 27. Dez, 16:41

Mein Vater hat früher mehr von früher berichtet, als in den letzten Jahren; vor allem, wenn seine Schwester dabei war, kamen die beiden sehr oft ins Erzählen. Dass er in seinem Leben Welten durchquert hat, wie du das sehr treffend ausdrückst, ist mir erst vor ein paar Jahren aufgegangen. Ich muss ihn unbedingt wieder mal nach früher fragen.

diefrogg - 27. Dez, 16:58

Dein Vater und mein...

Vater hätten einander sicher viel zu erzählen. Auch von trotzigen Töchtern und so ;)
acqua - 27. Dez, 17:01

Wieso? Mein Vater kennt keine trotzigen Töchter...
diefrogg - 27. Dez, 17:09

Neulich...

hast Du mir aber etwas anderes erzählt! Oder habe ich da etwas falsch verstanden?
steppenhund - 27. Dez, 23:30

Ich komme mir da so in einem Zwischenbereich vor - oder soll ich sagen Zwischenreich? Die Geschichte verwundert mich überhaupt nicht. Bei mir, von einer Städterfamilie abstammend, gab es so etwas vielleicht nicht. Aber das Zuhören älteren Personen gegenüber pflege ich seit 50 Jahren. es hat mich immer fasziniert. Ich bin ja auch Mitglied in einem reinen Männerverein, wo fast alle älter als ich sind.

diefrogg - 28. Dez, 11:08

Aus Ihren...

Bildern zum Heiligabend schliesse ich, dass Sie eher schon zu den erzählenden Vätern gehören ;) Aus ihren Kommentaren, dass Sie nicht zu den Vätern gehören, denen man die Würmer aus der Nase ziehen muss!
steppenhund - 28. Dez, 16:56

Es stimmt: Einige der Postings sind als Erzählungen für die Kinder gedacht. Nicht alle allerdings:)
katiza - 28. Dez, 08:03

Mein Papa war 1930 geboren.

Er hat selten erzählt. Einmal habe ich ihn für ein Biographieservice, das ich geplant hatte, aufgenommen. Aus dem wurde nichts. Jetzt hab ich diesen Film aber keinen Papa mehr. Ich vermiss ihn.
Verspätete Weihnachtswünsche, Frau Frogg.

diefrogg - 28. Dez, 11:05

Väter sind doch...

eine merkwürdige Einrichtung, nicht wahr? Immer wird ihnen vorgeworfen, sie seien ja viel zu wenig da. Und doch vermisst man sie, wenn sie endgültig weg sind. Übrigens: Ein Biografieservice? Das klingt aber spannend! Da würde ich gern mehr drüber lesen... hier oder bei Ihnen! Ihnen übrigens auch die besten Wünsche, liebe katiza!
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