13
Okt
2008

Sex ist gefährlich

Kennt Ihr den Slogan "weil ich es mir wert bin?" Klar kennt Ihr ihn. Schliesslich gibt es da eine Kosmetikfirma, die ihn uns so penetrant aufs Auge drückt, dass wir schon bald keinen Lidschatten mehr in die Hände nehmen können, ohne dabei unsere Locken zu schlenkern und zu hauchen: "Weil ich es mir wert bin..."

Ich habe den Slogan nie gemocht. Er ist sooo 90-er Jahre. Klingt so penetrant therapeutisch. So verdammt nach Frauen, die sich nach einem langen Nachmittag beim Shoppen voller Selbstmitleid (naja, shoppen ist wirklich nicht einach...) in den Spiegel schauen und sich zuhauchen: "Ach, ich bin ja so müüüüde! Ich muss mir jetzt etwas gutes tun!" Die genüsslich etwas zu viel von ihrem funkelneuen Wangenrouge auflegen. Und dann frisch gestärkt an die nächste Party sausen.

Doch lassen wir das, denn das wollt Ihr gar nicht wissen. Ihr wollt jetzt wissen, was dieser blöde Slogan mit Sex zu tun hat. Mit gefährlichem Sex.

Um es gleich klar und deutlich zu sagen: Er hat nichts mit Sex zu tun. Schon gar nichts mit gefährlichem Sex. Und genau das ist das Gute an dem Slogan. Jedenfalls glaubt das die Firma, die ihre Produkte mit ihm verkauft. Steht in dem Buch, das ich gerade lese. Es heisst The Culture Code und ist von einem Franko-Amerikaner namens Clotaire Rapaille.

Rapaille ist von Haus aus Psychologe. Er arbeitet aber für die Marketing-Abteilungen zahlreicher globaler Firmen. Seine These: Lernen ist mit Emotionen verbunden. Und: Was wir als Kleinkinder lernen, prägt unsere Wahrnehmung der Welt lebenslänglich. Mit seinen Befragungen drang er tief in die nur halb bewussten Erinnerungsschichten der Befragten und fand so heraus, was sie seit ihrer frühesten Kindheit mit Kaffee verbinden. Oder mit Jeeps.

Für die "Weil ich es mir wert bin"-Kosmetikfirma sollte er offenbar Schminke verkaufen. "Schminke?" sagte er sich. "Das hat doch etwas mit Verführung zu tun. Mit Sex." Also ging er hin und fragte die Menschen, die die Produkte der Firma kaufen sollten, was sie mit Sex verbinden. Er befragte Amerikanerinnen und Französinnen und er fand etwas Irritierendes heraus: Amerikaner fühlen sich nicht wohl mit dem Thema Verführung. Sie verwechseln Verführung mit Manipulation. Und, noch krasser: Für Amerikaner hat Sex a priori mit Gewalt zu tun. Für Amerikaner sind Sex und Verführung beunruhigende, ja verstörende Themen.

Also entschloss sich die "weil ich es mir wert bin"-Firma, das Thema Sex in der amerikanischen Make up-Werbung gar nicht erst aufs Tapet zu bringen.

Anders in Frankreich. Weil die französischen Konsumentinnen eine andere Einstellung zur Sexualität haben.

Tja, und was sollen wir deutschsprachigen Frauen daraus schliessen, dass wir am Fernsehen die amerikanischen Werbespots besagter Kosmetikfirma vorgesetzt bekommen?

Das sagt uns Herr Rapaille leider nicht. Dennoch: Das Buch ist ziemlich lesenswert. Auch wenn ich zu bezweifeln wage, dass seine Theorie über kulturelle Unterschiede in den heutigen Multi-Kulti-Gesellschaft (die medial so stark von den USA geprägt ist) wirklich funktioniert.

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Sun-ray - 14. Okt, 00:11

irgendwie ..... ganz schön panne, die amis.
was die alles verpassen im leben!
und welches heidengeld sie ausgeben,
damit sie nicht merken,
dass sie was verpassen.
ich kauf meinen lidschatten im pennymarkt -
die haben so ein feines grün im sortiment,
das zusammen mit hübschem braun
meinen augen genau den ausdruck schenkt,
der mich an mich erinnert.
mehr muss ich gar nicht wissen ..... ;o)

diefrogg - 14. Okt, 09:51

Herr Rapaille...

würde das sehr französisch finden! Ich halte es übrigens so mit meinem Lippenstift. Dunkelrot. Weil er mich ziemlich dramatisch aussehen lässt. Das steht mir.
Sun-ray - 14. Okt, 18:55

versteh ich - aus- und eindrücklich. ;o)
bis vor einiger zeit präferierte ich lippiges dunkel ebenfalls.
aber dann kam jener schicksalsträchtige tag,
an dem ich zwei winzige fältchen entdeckte,
die sich nur deshalb exhorbitant bemerkbar machten,
weil sich dunkles rot in sie geschlichen hatte.
an diesem tag beschloss ich neue lippen-ära.
älter werden geht voll in ordnung -
krampf- wie unglaubhaft jung rausputzen nicht.
weib geht mit der zeit - der eigenen. ;o)
diefrogg - 14. Okt, 21:32

Ach ja, die Falten...

Sie halten die merkwürdigsten Überraschungen bereit! Welche Farbe präferieren sie seither?
walküre - 14. Okt, 11:34

Ich wüsste gerne, wie die französische Version des Spots aussieht.

Und: Ja, ich stimme Monsieur Rapaille zu. Kultureller Hintergrund ist wie ein dichtes Gewebe, dass nur schwer zerrissen werden kann. Veränderungen durch von außen hinzukommende Einflüsse gab es immer schon und wird es immer geben, aber bis diese Einflüsse wirklich dauerhafter Teil der tragenden Struktur einer Kultur werden, vergehen mindestens Jahrzehnte.

diefrogg - 14. Okt, 18:37

Rapaille schreibt über...

die französischen Spots: "They were very sensuous and oozed seduction." (S. 49). "Sie waren sehr sinnlich und trieften vor Verführung." (naja, kein gutes Deutsch, aber auf Englisch geht das durch). Die würde ich auch gerne mal sehen. Wahrscheinlich würde ich sie weniger doof finden.

Ich bin mir nicht sicher, ob Rapailles These mit dem kulturellen Hintergrund mich wirklich überzeugt. Aber vielleicht können wir ja mal den Test machen: Woran erinnern Jeeps Sie, Frau Walküre? Welches waren Ihre ersten Erinnerungen an Jeeps? Was assoziieren Sie mit ihnen?
walküre - 14. Okt, 20:30

Zunächst sicher den Zweiten Weltkrieg, weil ich als Kind in etlichen Büchern "die Vier im Jeep" (Besatzungssoldaten, Wien war in vier Zonen geteilt) abgebildet gesehen hatte und auch "Der dritte Mann" kannte; später dann auch an größenwahnsinnige Sonntagsjäger, die glaubten, ein Jeep sei ein Symbol für Männlichkeit und ein Beweis dafür, dass der Besitzer ein Macher ist. Sie glaubten es allerdings nur.

Mir ist bis jetzt noch keine Frau begegnet, die Besitzerin eines Jeep war.

PS: Ich kenne die Rezension des Buches mit dem Jeep-Beispiel, diese Tatsache beeinflusst aber meine Assoziationen nicht. Die hatte ich nämlich schon vorher.
diefrogg - 14. Okt, 21:23

Ich erinnere...

mich an Jeeps nur an etwas sehr Bedrohliches. Als Kind (Jahrgang 1965) fand ich sie richtige monströs, weil sie Autos waren, aber nicht auf der Strasse fuhren. Plötzlich begegnete man so einem Ding mitten im Wald, und man sieht auch noch, dass es durch den Schlamm gefahren ist. Und dann noch diese Form! Unheimlich! Ich assoziierte sie schon mit Krieg, aber nicht spezifisch mit dem Zweiten Weltkrieg. Mehr mit Militär, und zwar mit den Unseren, was sie mir aber auch nicht sympathischer machte. Ich wäre wahrscheinlich ein hoffnungsloser Fall für einen Jeep-Werber.

Was ich damit aber sagen will (und was meines Erachtens Rapailles These schwächt): Verblasst die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, so verblasst auch die europa-übliche Codierung von Jeep mit "Befreiung" etc. Das dauert vielleicht zwei Generationen. Wenn es um Themen wie "Liebe" oder "Sex" geht, dauert das vielleicht ein bisschen länger. Aber sind da Codierungen nicht auch sehr individuell?

walküre - 16. Okt, 12:43

Nicht so sehr, wie man manchmal gerne glauben möchte; den Einfluss der Medien auf junge Menschen bei der Bildung solcher Codierungen sollte man nicht unterschätzen, denn wer zu einer bestimmten Gruppe gehören will, muss so und so aussehen, sich so und so verhalten, diese und jene Vorlieben haben.

Das Buch habe ich mir übrigens gestern bestellt und bin schon sehr neugierig darauf.
diefrogg - 16. Okt, 17:03

Ich hoffe,...

Sie werden nicht enttäuscht sein. Das Buch ist schon sehr USA-lastig.
Übrigens wirft Ihr Kommentar eine interessante Frage auf: Nehmen wir mal an, dass es tatsächlich die Medien sind, die solche Inhalte transportieren, also hauptsächlich die Sprache (und, natürlich, Bilder). Sitzen sie uns dann nur im Hirn fest. Oder gewissermassen im Fleisch? Rapaille labert irgendetwas davon, dass solche Codierungen in unserem Stammhirn festgefahren sind. Also dort, wo das Bewusstsein gar nicht richtig hinreicht. Also, ich habe das Gefühl, all diese Codierungen sitzen eher in der Sprache und sind deshalb letztlich eine soziale Sache. Aber dann können sie sich auch ändern! Jawoll!
walküre - 16. Okt, 18:38

Mir war klar,

dass ein Franko-Kanadier aus der Werbebranche eher im Hinblick auf die USA schreibt, was mich aber keineswegs stört.

Und: Ich denke, dass sowohl Sie als auch Monsieur Rapaille recht haben, denn meines Erachtens sind Codierungen selbstverständlich eine soziale Angelegenheit, jene Bilder und Worte, die Sie ansprechen, sickern aber in ins Unterbewusstsein und beinflussen uns von dort. Sicher kann man diese Codes ändern - leicht zu bewerkstelligen ist dies aber vor allem beim erwachsenen Menschen nicht.
diefrogg - 17. Okt, 09:38

Dann bin ich froh...

dass ich bei Ihnen keine falschen Erwartungen geweckt habe. Übrigens stammt Rapaille aus Frankreich, was Sie aber ohnehin merken werden, wenn Sie das Buch lesen. Er soll ausserdem in der Schweiz gearbeitet haben. Aus dem einen Satz, den er über die Schweiz schreibt, merkt man das aber wiederum überhaupt nicht: "Swiss culture evolved the way it did, forging multiple cultures into one very strong one, in response to regular threats to Switzerland's survival as a sovereign state." Das bringt die Wahrheit bei weitem nicht auf den Punkt. Die Kulturen in der Schweiz sind viel verschiedener als die von Ex-Jugoslawien. Wahrscheinlich hat nur die Tatsache, dass wir von zwei Weltkriegen verschont geblieben sind, uns davon abgebracht, einander an die Gurgel zu gehen.
walküre - 17. Okt, 18:41

Ich habe ja eher den Eindruck, dass die Schweiz mitunter Ähnlichkeit mit einem alten Ehepaar hat, welches nur des Geldes wegen noch zusammenlebt ... *fg*
diefrogg - 18. Okt, 12:52

Man könnte die Sachlage...

nicht besser auf den Punkt bringen, geschätzte Frau Walküre!
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