18
Feb
2008

Flachgewälzert

Es steht in allen Zeitungen: Philip Roth soll einen neuen Roman herausgegeben haben. Exit Ghost heisst er, und ich müsste ihn lesen. Denn seit mich um das Jahr 2000 sein Buch American Pastoral total gepackt hat, finde ich, eigentlich müsste ich jedes Buch von Roth lesen.

Nur: Exit Ghost ist ein Altherrenroman. Sein Held ist 71 und hat Prostatakrebs. Und von Altherrenromanen und Prostatakrebs habe ich gerade genug, ich lese nämlich seit bald einem Monat Richard Ford’s The Lay of the Land, auch einen Altherrenroman mit einem prostatakrebskranken Helden. Nicht, dass mich das Thema nicht interessieren würde. Es interessiert mich immer, wie Menschen mit der Nachricht umgehen, dass sie eine üble Krankheit haben. Aber zweimal hintereinander Prostatakrebs… das ist mir denn doch zu viel.

Dabei hatte ich mich auf The Lay of the Land gefreut. Der Titel gefiel mir, er verspricht Erdiges und einen gewissen Perspektivenreichtum, und die Besprechung auf DRS2 war geradezu euphorisch. Aber, Freunde, ich leide. Ich meine: 726 Seiten! Und das Buch hat noch nicht mal einen spannenden Plot. Nein. Held Frank Bascombe mäandert darin in seiner Heimat an der Küste von New Jersey herum wie weiland Leopold Bloom in Dublin. Frank badet ihm eiskalten Meer, versucht ein paar Häuser zu verkaufen (Er ist Immobilienhändler), bekommt Besuch von seinem lebenden Sohn, gerät in eine Barschlägerei, denkt über den Krebs, seinen verstorbenen Sohn und seine entlaufene Ehefrau Sally nach. Er wird sogar Verdächtiger in einem Bombenanschlag, was aber das Buch keineswegs an Dramatik gewinnen lässt. Im Gegenteil: Sämtliche Schilderungen bleiben geruhsam, wohl reflektiert, ausführlich. Jeder Moment wird ausgekostet. Das hat Witz und Weisheit, zieht die Lektüre für Voreinschlaf-Leserinnen wie die Frogg aber in uneeeendliche Längen. So ab Seite 550 wünschte ich Bascombe nur noch, dass er endlich seine Frau zurückbekomme, damit er aufhören könne zu erzählen. Ich erwog sogar, mit Lesen aufzuhören. Aber das ging nicht. Dafür habe ich zu viel Respekt vor Herrn Ford. Zudem wollte ich wissen, ob er Sally tatsächlich zurückbekommt.

Dennoch werde ich vorderhand keinen weiteren Altherrenroman lesen!

Alternativen gibt’s genug. In der Sonntagszeitung lese ich die euphorische Besprechung Jonathan Littell’s (41) Roman Die Wohlgesinnten. Ja, das müsste ich lesen. Der „Held“ ist eine Täterfigur im Dritten Reich, was für eine Ausgangslage! Aber, jesses, der Wälzer hat 1384 Seiten! Unzumutbar.

Nein, nein. Wenn ich erst Richard Ford fertig gelesen habe, ist ein kompletter Richtungswechsel angesagt. Weg von den Feuilletons mit ihren hoch aktuellen Altherren-Epen. Ich werde mich lektüremässig meinen Freundinnen und der Vergangenheit zuwenden. Jener Zeit, als junge, wilde Autoren noch Bücher im Bereich der Anstandsgrenze von 500 Seiten schrieben. Ich werde zum zweiten Mal White Teeth, den Erstling von Zadie Smith lesen (naja, 541 Seiten…). Weil ich den Roman meiner Freundin Veronika zur Lektüre für unsere London-Reise im März richtiggehend aufgedrängt habe. Weil ich ihn um das Jahr 2000 grossartig fand. Und weil Veronika über das Buch diskutieren wollen wird, wenn wir im März nach London reisen.

Und dann, ja, dann, ist endlich Armistead Maupin an der Reihe!

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acqua - 18. Feb, 19:14

Ich wollt' grad sagen: Maupin! Wenn du die ersten sechs Bücher von den Tales of the City gelesen hast, verträgst du dann auch wieder den Altherrenroman Michael Tolliver Lives. Der hat zum Glück keinen Prostatkrebs. Nur AIDS, aber das hat er im Griff.

diefrogg - 18. Feb, 19:17

Sorry...!

Schon geändert!
acqua - 18. Feb, 19:27

Oh! Der zeigt ja sogar zu mir.
seifenblasenpusterin - 18. Feb, 22:49

ist es wirklich so, daß dich seitenzahlen schrecken? das kann ich irgendwie kaum glauben... herzlich in den abend :)

diefrogg - 19. Feb, 09:59

Doch, schon...

weil im Moment so viele Bücher bei mir rumliegen, die ich lesen möchte... sollte... Es stresst mich richtig.
Reporter - 24. Feb, 22:37

Eine Literaturbegeisterte...

Hi, streune hier ein wenig durch die Blogs und bleibe mal hier mal da kleben. Da Du die Leidenschaft, zu Lesen wie besessen mit mir zu teilen scheinst, bin ich auf deinem Blog ein Bisschen länger kleben geblieben.

Zu Exit Ghost: Ja es ist ein Altherrenroman, doch es ist Roth und der man kann einfach schreiben. Und wenn seine Altersimpotenz in nunmal stark zu beschäftigen scheint, sollte man ihm das vielleicht nachsehen. Außerdem ist das Buch bequem in einer Sitzung zu lesen, da es nur durch die Schriftgröße auf 250 Seiten aufgeblasen wird, es ist eigentlich eine längere Erzählung. Meiner Meinung nach ein Highlight des Buches: Die fiktiven GEspräche, die Zuckerman abends für sich notiert, was-wäre-wenn-Gespräche mit seiner Angebeteten, Fiktion in der Fiktion also. Das Buch endet auch mit so einem fiktiven Dialog, hat also eigentlich kein Ende...ein kurzweiliger Spaß...

Zu den Wohlgesinnten: Nach dem Trubel in Frankreich (mein bester Freund wohnt abwechselnd in Frankreich/Spanien, er hatte mir von dem Buch erzählt) und den Besprechungen in der Presse wollte ich mir am Samstag direkt ein eigenes Bild machen: Ich bin also in meine Buchhandlung und habe angefangen eine Kopie zu lesen. Das Buch beginnt mit einem rasanten Erzählstil, der mich ohne Unterbrechung bis Seite 40 gezogen hat. Der Mann schreibt interessant, ungewöhnlich und entwickelt durch seine Erzähltechnik einen ungewöhnlichen Sog. Nur der Preis lies mich dann vor dem Kauf zurück schrecken: 36 Euro sind mir zu viel. Jetzt bekomme ich von einer Freundin aus dem Buchhandel ein Leseexemplar ausgeliehen. Ich werde es versuchen, wenn ich scheitere ist es aber auch nicht schade drum.

Ich habe seit einiger Zeit "On Beauty" auf meinem Nachttisch liegen, hast du das vielleicht auch gelesen? Wollte es immer schon anfangen, hab aber nie den finalen Anreiz gefunden. Habe es damals für 2,99 bei Jokers gekauft...

Viele Grüße

diefrogg - 24. Feb, 22:52

Hey, danke...

für den ausführlichen Kommentar. "On Beauty" habe ich schon vor ein paar Jahren gelesen, und mit viel Genuss. Ein Campus-Roman über einen dieser liberalen Professoren, die an den amerikanischen Unis offenbar ein bisschen aus der Mode kommen. Der Mann verbeisst sich in seine Obsessionen und wird ziemlich selbstzerstörerisch. Ein ausgezeichneter Zeitgeist-Roman.

Was Roth betrifft: Ich weiss, er kann schreiben. Ein Satz, und drin ist man! Aber ich weiss nicht, ob ich Lust auf dieses fiktive Sehnsuchtsspielchen habe.

Gerne werde ich nachlesen, wie Du mit den "Wohlgesinnten" zurechtkommst!
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