24
Aug
2013

Gescheiterte Emanzipation

Kann man einem Schriftsteller trauen, der eine Geschichte aus der Sicht einer attraktiven Blondine erzählt? Einem Autor, der seine - durchaus intelligente - Ich-Erzählerin dazu noch kläglich scheitern lässt? Oder will er damit nur alle Frauen schlecht machen?

Ich weiss es nicht. Ich weiss nur, dass ich den neuesten Roman von Ian McEwan unter grössten Zweifeln zu lesen begann.

Er lässt darin die schöne Serena Frome von ihrer kurzen beruflichen Laufbahn beim britischen Geheimdienst erzählen. Schon im ersten Abschnitt schickt sie voraus: "Innert 18 Monaten wurde ich gefeuert. Ich hatte Schande über mich gebracht und meinen Liebhaber ruiniert."

Was folgt, ist ein spannender Spionage- und Liebesroman mit einem postmodernen Erzähltrick am Schluss. Es eine geradezu exemplarische Chronik weiblichen Scheiterns in der Berufswelt. Die ganze Lektüre scheint durchsetzt von Seufzern darüber, dass sie ihre Möglichkeiten nicht annähernd auszuschöpfen vermag. Es mag merkwürdig klingen, aber gerade dieser Seufzer wegen liebte ich das Buch. Oder jedenfalls Serena Frome. Ich sprach zu ihr, als wäre sie meine Schwester. Ich mass meine Erkenntnisse und Frustrationen von Jahren an den ihren.

Klar: Wir sprechen hier nicht von heutigen Frauen. Serenas Geschichte spielt in den Siebzigern des letzten Jahrhunderts. Aber all jenen Frauen, denen es nichts über sich selbst sagt, wird es wenigstens etwas über ihre Mütter sagen.

Serena gehört zur ersten Generation Mittelschichts-Frauen, für die eine höhere Schulbildung überhaupt im Bereich des Möglichen liegt. Aber schon der Weg dorthin ist voller Fallstricke. Es beginnt mit unrealistischen Erwartungen: Serena würde gern Literatur studieren, hat aber auch ein bisschen Talent für Mathematik. Hier tritt ihre Mutter auf den Plan. "Sie sagte, es sei meine Pflicht als Frau, in Cambridge Mathematik zu studieren", berichtet Serena auf Seite 3 und gehorcht. Allerdings legt sie dann doch nur einen unbefriedigenden Abschluss hin.

Eine Affäre mit einem Professor verschafft ihr den Job beim Geheimdienst. Dort vegetiert sie im Archiv dahin, dem Depot für Frauen mit Uni-Abschluss. Nur eine einzige kämpft sich in höhere Ränge vor - die Quotenfrau, die den anderen stets als Messlatte vorgehalten wird. Schliesslich bekommt sie doch noch eine interessante Aufgabe angeboten - aber nur, weil sie eben schön und blond ist.

McEwan lässt zwar seiner Heldin am Ende einen Weg offen, auf dem es gar keine Rolle mehr spielt, dass sie ihre Berufsehre verloren hat.

Aber der ist vollkommen traditionell.

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steppenhund - 24. Aug, 19:51

Heute würde ich sagen, dass der größte Feind der Karriere einer Frau andere Frauen sind. Was an Zickenkrieg beobachtet werden kann, findet keine Entsprechung in der Männerwelt.
Zwar verhalten sich einige Männer ähnlich intrigant und teilweise brutal im Konkurrenzkampf, doch es scheint eine Art Ehrenkodex unter Männern zu geben, nach dem sich erbittertste Konkurrenten wieder zusammenraufen können, wenn sich die Ausgangslage verändert hat.
Vielleicht sehe ich das zu schwarz. Es gibt aber einige Frauen, die mir in diesem Punkt schon ohne Rückhalte Recht gegeben haben.

la-mamma - 24. Aug, 19:58

ich nicht.
diefrogg - 24. Aug, 20:15

Ach, Herr Steppenhund!

Das musste ja kommen! So sicher wie das Amen in der Kirche!

Nein, da habe ich andere Erfahrungen. Ich habe zwar nicht mit Scharen von Frauen zusammengearbeitet - da ich in einem Beruf tätig bin, in dem Männer immer noch höhere Präsenz und mehr Macht haben.

Im Allgemeinen habe ich den Eindruck, dass andere Frauen insgesamt höhere Bereitschaft haben, meine Arbeit a priori ernst zu nehmen - und nicht gleich ein Fragezeichen zu setzen, weil ein "a" am Ende meines Vornamens steht. Und dieselbe Bereitschaft habe ich anderen Frauen gegenüber auch. Es gibt unter den Frauen in meinem Beruf eine hohe Bereitschaft zur Solidarität.

Dass Frauen einander mobben, habe ich nie erlebt.
steppenhund - 24. Aug, 20:29

Wie das Amen im Gebet? D. h. meine Aussage wird als typisch männlich hingestellt. Oder wieso ist sie sonst so erwartbar? Im Prinzip ist es mir ja egal. Ich habe beruflich mit sehr vielen und kompetenten Frauen zu tun gehabt.
Genauso habe ich es aber erlebt, dass eine Frau einem Kollegen gesagt hat: Du, sag der, dass sie das und das machen soll. Die zwei Frauen konnten selbst professionell nicht miteinander kommunizieren. Ich war damals ungefähr dreißig und konnte nicht glauben, dass das tatsächlich in der Firma geduldet wurde.
Zwei Schreibfräuleins versuchen, einen Neuzugang hinaus zu mobben, was nicht gelingt. Am Ende wird die Tätigkeit nur mehr vom Neuzugang getätigt, die zwei wurden gekündigt. Komischerweise gab es danach keine "Arbeitsüberlastung". Das war ebenfalls zu dieser Zeit.
Vielleicht hat sich einiges seither verbessert. Aber inzwischen schaue ich sehr genau auf die Professionalität von Frauen und reagiere vielleicht zu stark, wenn ich wieder einmal ein Zickenkrieg-Verhaltensmuster entdecke.
Schön für Sie beide, wenn Sie keine derartigen Erfahrungen gemacht oder beobachtet haben.Vielleicht leben wir ja in zwei verschiedenen Welten.
diefrogg - 24. Aug, 20:34

Ja, sie ist erwartbar...

genau das meine ich.

Und das Wort "Schreibfräulein" lässt ja durchblicken, wie ernst Sie Ihre drei Kolleginnen genommen haben - und auf welcher Hierarchiestufe sie im Betrieb standen.
steppenhund - 24. Aug, 20:46

Sie schrieben nicht für mich. Nur bei Bösendorfer hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, dass eine Frau meine gesprochenen Reiseberichte tippte. Dies ging jeweils mit einer Klage einher, dass sie nicht wüsste, wann sie es tun könnte. Dann war in der Regel innerhalb von drei Stunden alles geschrieben. Das war nach ihrem Reden nach zu schließen nicht "erwartbar".

Die Jammerei ging mir so auf die Nerven, dass ich häufig selbst getippt habe.
Ansonsten brauche ich niemanden, der mir etwas tippt. In der Regel bin ich schneller, wenn ich es selbst mache.

Ich reagiere auf Vorurteile mit noch größeren Vorurteilen, die sich in sarkastischen Bemerkungen niederschlagen. Allerdings könnte das dann verletzend werden.
diefrogg - 24. Aug, 20:51

Meinen Sie jetzt mich...

mit den Vorurteilen? Was soll ich denn für Vorurteile haben?
steppenhund - 24. Aug, 20:56

Lassen wir's gut sein. Wir kommen in dieser Frage nicht zusammen. (Ich bezog mich auf die Schlussfolgerung, die sie aus den "Schreibfräuleins" gezogen haben.
In Deutschland hätte man wohl Tippsen gesagt. Tatsächlich ist das ein Berufszweig, der in meiner Branche mehr oder weniger ausgestorben ist.
diefrogg - 24. Aug, 21:13

Einverstanden,

Herr Steppenhund - lassen wirs gut sein.
iGing - 2. Sep, 13:25

Ohne das Thema eingehend vertiefen zu wollen ... aber leider, leider, leider muss ich (als Frau) Herrn Steppenhund fast uneingeschränkt recht geben. Er beschreibt leider das vorherrschende Grundmuster unter Frauen auf der von ihm angesprochenen Betriebsebene. Andere Erfahrungen wird man auf anderen Ebenen/in anderen "Zirkeln" möglicherweise machen können, aber ... und von vorn ...
Teufels Advokatin - 24. Aug, 20:55

Totale Männerphantasie!

Ich habe das Buch bereits gelesen, als es auf Englisch herauskam. Für mich war diese Serena Frome die totale Männerphantasie! Das reine Sexobjekt: Blondine, die sich selber unrettbar verstrickt und nachher gerettet werden muss.

Die Überraschung am Ende des Buches macht das Ganze überhaupt nicht besser. Er verdoppelt ja den Eindruck, dass die Frau den Männern total ausgeliefert ist.

diefrogg - 24. Aug, 21:53

Ja, ich verstehe,

dass man das so lesen kann. Serena ist gewiss keine Heldin wie sie Feministinnen gefällt.

Aber in der Analyse des Scheiterns finde ich das Buch bemerkenswert.
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