So gross wie die Titanic
Sie sagt: "Hast Du es schon mit Achtsamkeit versucht?" Ich sitze da, beisse auf die Stockzähne und nicke freundlich.
Sie heisst Thea. Wir sehen uns erst zum Drittenmal. Sie ist eine alte Freundin von Herrn T. und eine liebenswürdige Person. Ich habe mich durch ihre Fragen dazu verleiten lassen, etwas ausführlicher von meinem Ohrenleiden zu erzählen. Da sehe ich plötzlich diesen Gesichtsausdruck an ihr, höre diesen Ton. Er sagt: Sieh mich an, mir geht es gut, ich habe mein Leben im Griff. Und wahrscheinlich weiss ich auch, was Dir guttut. Die englische Sprache kennt ein gutes Adjektiv für diese Mischung aus Fürsorglichkeit und Herablassung. Es heisst "patronizing".
"Ich meine: So etwas will einem doch manchmal etwas sagen. Hast Du es schon mit Achtsamkeit versucht?"
Ich sitze da, und ich muss nicht sehr achtsam sein, um zu merken: Ich habe einen Zorn im Leib so gross wie die Titanic.
Daran trägt Thea höchstens ein winziges Schräubchen Mitschuld. Ich habe genug andere Probleme. Mit chronischen Krankheiten ist es so: Wer den Schaden hat, braucht für die Kollateralschäden nicht zu sorgen. Aber in diesem Moment würde sie gerne ein bisschen an meinem Zorn teilhaben lassen. Nur eine kleine, giftige Replik... Doch das wäre unachtsam - gegenüber Thea und gegenüber Herrn T. Ich sage ruhig: "Weisst Du, es gibt Rätsel im Leben, auf die wir nie eine Antwort finden."
Das war gestern.
Heute war ich in Solothurn. Der Zufall führte mich auf die Krummturmschanze, ein lauschiges Pärkchen. Die Sonne fällt durch dichtes Laub und beleuchtet eine eindrückliche Sammlung von Kanonen und Haubitzen aus dem Zweiten Weltkrieg. Ich betrachte die Geschütze lange, ihre Mechanik, ihre Räder, ihre komplizierten Zielvorrichtungen.
Sie riechen wohltuend nach Schmieröl - wie damals die Knetmaschine in der Bäckerei meines Grossvaters. Ich ertappe mich beim Gedanken, dass ich den Rest meines Lebens dort verbringen möchte.
Sie heisst Thea. Wir sehen uns erst zum Drittenmal. Sie ist eine alte Freundin von Herrn T. und eine liebenswürdige Person. Ich habe mich durch ihre Fragen dazu verleiten lassen, etwas ausführlicher von meinem Ohrenleiden zu erzählen. Da sehe ich plötzlich diesen Gesichtsausdruck an ihr, höre diesen Ton. Er sagt: Sieh mich an, mir geht es gut, ich habe mein Leben im Griff. Und wahrscheinlich weiss ich auch, was Dir guttut. Die englische Sprache kennt ein gutes Adjektiv für diese Mischung aus Fürsorglichkeit und Herablassung. Es heisst "patronizing".
"Ich meine: So etwas will einem doch manchmal etwas sagen. Hast Du es schon mit Achtsamkeit versucht?"
Ich sitze da, und ich muss nicht sehr achtsam sein, um zu merken: Ich habe einen Zorn im Leib so gross wie die Titanic.
Daran trägt Thea höchstens ein winziges Schräubchen Mitschuld. Ich habe genug andere Probleme. Mit chronischen Krankheiten ist es so: Wer den Schaden hat, braucht für die Kollateralschäden nicht zu sorgen. Aber in diesem Moment würde sie gerne ein bisschen an meinem Zorn teilhaben lassen. Nur eine kleine, giftige Replik... Doch das wäre unachtsam - gegenüber Thea und gegenüber Herrn T. Ich sage ruhig: "Weisst Du, es gibt Rätsel im Leben, auf die wir nie eine Antwort finden."
Das war gestern.
Heute war ich in Solothurn. Der Zufall führte mich auf die Krummturmschanze, ein lauschiges Pärkchen. Die Sonne fällt durch dichtes Laub und beleuchtet eine eindrückliche Sammlung von Kanonen und Haubitzen aus dem Zweiten Weltkrieg. Ich betrachte die Geschütze lange, ihre Mechanik, ihre Räder, ihre komplizierten Zielvorrichtungen.
Sie riechen wohltuend nach Schmieröl - wie damals die Knetmaschine in der Bäckerei meines Grossvaters. Ich ertappe mich beim Gedanken, dass ich den Rest meines Lebens dort verbringen möchte.
diefrogg - 3. Okt, 18:39
4 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
katiza - 6. Okt, 14:37
Achtsamkeit gehört zu meinen Werten; diese Art der Frage (so ein RatSchlag wird allzu gerne in Frageform verpackt) empfinde ich als UNachtsam.
Rockhound - 6. Okt, 17:30
Aber angesichts dessen, dass die grosse Titanic auch versinken konnte, hoffe ich, dass Dein Zorn inzwischen auch wieder versunken ist. Obwohl ich Dich sehr gut verstehe, weisst Du ja wahrscheinlich selber, dass Thea es "nur gut gemeint" hat, helfen wollte. Und - die Frage finde ich zwar unpassend, weil ich weiss, wieviel Du verändern musstest wegen der Krankheit, aber trotzdem naheliegend. Ich weiss ja nicht, wieviel Du ihr erzählt hast. Und ich weiss auch nur das, was ich hier lese. Im Grunde war es doch eine der ersten Massnahmen, die Du ergriffen hast, um die Krankheit in den Griff zu kriegen, diese Achtsamkeit. Aber es gibt halt viele Menschen, die leiden an etwas, sind aber nicht bereit bei sich selber eine Veränderung vorzunehmen. Daher kann ich Thea schon etwas verstehen. Es würde mich aber auch tierisch nerven...
Und manchmal darf man auch etwas Zorn verspüren. Ich bin überzeugt, es regt den Blutkreislauf an und bringt einen zum Nachdenken. So schlecht kann das also nicht sein.
Und manchmal darf man auch etwas Zorn verspüren. Ich bin überzeugt, es regt den Blutkreislauf an und bringt einen zum Nachdenken. So schlecht kann das also nicht sein.
diefrogg - 6. Okt, 18:00
@alle
Danke für Eure Rückmeldungen! Ich bin froh drum, weil sie mir deutlich machen: Endlich ist es mir mal gelungen zu artikulieren, was mich an diesen vielen, wirklich gut gemeinten Ratschlägen so auf die Nerven geht (ich glaube, es war gut gemeint. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Thea mich für einen prinzipiell unachtsamen Menschen hält. Aber man weiss nie ;)).
Wegen dieser vielen guten RatSchläge habe ich auch aufgehört, allen Leuten die Geschichte zu erzählen (abgesehen davon, dass das ja auch für die Zuhörer - gelinde gesagt - etwas monoton werden kann).
Was das Bild von der Titanic betrifft: Guter Hinweis, danke Rockhound. Ich hatte das nicht so gesehen, sondern eher dahingehend, dass ich ihn eigentlich ein bisschen fürchte, weil er auch etwas Zerstörerisches hat.
Wegen dieser vielen guten RatSchläge habe ich auch aufgehört, allen Leuten die Geschichte zu erzählen (abgesehen davon, dass das ja auch für die Zuhörer - gelinde gesagt - etwas monoton werden kann).
Was das Bild von der Titanic betrifft: Guter Hinweis, danke Rockhound. Ich hatte das nicht so gesehen, sondern eher dahingehend, dass ich ihn eigentlich ein bisschen fürchte, weil er auch etwas Zerstörerisches hat.
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