Bezaubernder Roman
Um zu erklären, was ich an dieser Liebesgeschichte so bezaubernd finde, beginne ich am besten mit einer Leseprobe:
"Das Unheil war vergangenen November über mich hereingebrochen.
In keiner Weise ahnend, was mich dort erwarten würde, radelte ich morgens fröhlich zur uniwersitejt; im Rucksack verstaut Laptop, Notizblock, Schreibetui, zwaj bichlech über Wirtschaft und eine Banane mit einem brojnen Fleck. Es war ein wolkenloser, aber ausgesprochen kalter tog, und als ich die Uni betrat, beschlug meine briln sofort. Nachdem ich sie abgenommen ... hatte, stieg ich die ... Treppe zum Vorlesungssaal hinauf. Vor dessen Tir hatte sich eine Stauung von Menschen ergeben. Ich stelle mich an.
Da rief neben mir eine junge froj: 'Laura!'"
...
Noch nie hatte ich eine derart scheijne froj erblickt, und unwillkürzlich sprach ich leise den Segensspruch beim Sehen von Bäumen oder anderen Geschöpfen von aussergeöhnlicher Schönheit..." (Seite 35).
Was Ihr an diesem Text als nicht Hochdeutsch erkennt, ist nicht etwa Schweizerdeutsch, wie die Nationalität des Autors Thomas Meyer vermuten liesse - sondern Jiddisch. Meyers Erzähler Motti (kurz für Mordechai) Wolkenbruch ist ein junger, orthodoxer Jude aus Zürich Wiedikon. Doch Meyer gelingt in diesem Buch ein Kunststück, an dem sich viele Schweizer Autoren vergeblich abmühen: Es amalgamiert eine Mundart so stimmig mit der Hochsprache, dass wir mit seinem Roman ein leuchtendes, kleines Kunstwerk vor uns haben.
Die Mundart ist ja ein Kreuz für die Schweizer Autoren. Ob "Frühstück", "Morgenessen" oder "Zmorge" - ob "Strassenbahn" oder "Tram": Jeder, der über das Leben in der Schweiz schreibt, muss den für seine Kunst richtigen Abstand zu ihr finden. Wer ihr zu nahe tritt, wird schwer lesbar oder klingt volksdümmlich. Wer sich zu weit von ihr entfernt, wirkt leblos - oder wie ein ahnungsloser Deutscher.
Nur wenigen Autoren gelingt nebst dem sprachlichen Spagat auch noch eine runde Geschichte, die zur Turnübung passt. Meyer ist einer von ihnen. Sein junger Held Motti steht zwischen der jüdischen Tradition und dem westlichen Stadtleben im 21. Jahrhundert. Die ganze Story dreht sich um die Frage, was er wählen wird.
Der Roman ist auch deshalb köstlich, weil er mit sehr irdischer Komik aufwartet - und seinen Figuren doch mit einer himmlischen Zärtlichkeit begegnet.
"Das Unheil war vergangenen November über mich hereingebrochen.
In keiner Weise ahnend, was mich dort erwarten würde, radelte ich morgens fröhlich zur uniwersitejt; im Rucksack verstaut Laptop, Notizblock, Schreibetui, zwaj bichlech über Wirtschaft und eine Banane mit einem brojnen Fleck. Es war ein wolkenloser, aber ausgesprochen kalter tog, und als ich die Uni betrat, beschlug meine briln sofort. Nachdem ich sie abgenommen ... hatte, stieg ich die ... Treppe zum Vorlesungssaal hinauf. Vor dessen Tir hatte sich eine Stauung von Menschen ergeben. Ich stelle mich an.
Da rief neben mir eine junge froj: 'Laura!'"
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Noch nie hatte ich eine derart scheijne froj erblickt, und unwillkürzlich sprach ich leise den Segensspruch beim Sehen von Bäumen oder anderen Geschöpfen von aussergeöhnlicher Schönheit..." (Seite 35).
Was Ihr an diesem Text als nicht Hochdeutsch erkennt, ist nicht etwa Schweizerdeutsch, wie die Nationalität des Autors Thomas Meyer vermuten liesse - sondern Jiddisch. Meyers Erzähler Motti (kurz für Mordechai) Wolkenbruch ist ein junger, orthodoxer Jude aus Zürich Wiedikon. Doch Meyer gelingt in diesem Buch ein Kunststück, an dem sich viele Schweizer Autoren vergeblich abmühen: Es amalgamiert eine Mundart so stimmig mit der Hochsprache, dass wir mit seinem Roman ein leuchtendes, kleines Kunstwerk vor uns haben.
Die Mundart ist ja ein Kreuz für die Schweizer Autoren. Ob "Frühstück", "Morgenessen" oder "Zmorge" - ob "Strassenbahn" oder "Tram": Jeder, der über das Leben in der Schweiz schreibt, muss den für seine Kunst richtigen Abstand zu ihr finden. Wer ihr zu nahe tritt, wird schwer lesbar oder klingt volksdümmlich. Wer sich zu weit von ihr entfernt, wirkt leblos - oder wie ein ahnungsloser Deutscher.
Nur wenigen Autoren gelingt nebst dem sprachlichen Spagat auch noch eine runde Geschichte, die zur Turnübung passt. Meyer ist einer von ihnen. Sein junger Held Motti steht zwischen der jüdischen Tradition und dem westlichen Stadtleben im 21. Jahrhundert. Die ganze Story dreht sich um die Frage, was er wählen wird.
Der Roman ist auch deshalb köstlich, weil er mit sehr irdischer Komik aufwartet - und seinen Figuren doch mit einer himmlischen Zärtlichkeit begegnet.
diefrogg - 1. Mai, 15:49
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