Eingeschlossen
Herr T. und ich arbeiteten uns in einer finsteren Winternacht durch die Briefe von Fred Feuerstein. Wir lasen fieberhaft. Herr T.s Grossvater sprach zu uns wie ein Geist. Eilig griffen wir die Umschläge vom Sommer 1944 und danach heraus. Wo war Fred damals? Was erzählt er?
Es muss ihm etwas Merkwürdiges passiert sein. Am 20. August 1944 schreibt er seiner Frau Erna noch ohne Ortsangabe: "Es ist nun schon 16 Tage her, seit wir abgeschnitten sind und acht Tage, seit wir zur Übergabe aufgefordert wurden durch einen Parlamentär. Noch sind wir immer gut verpflegt, wenn auch nur noch der gefahrvolle Seeweg offen ist. Um uns herausnehmen zu können, fehlen die Mittel... Andererseits haben wir Befehl zum Ausharren bis zum letzten Schuss und zum letzten Blutstropfen. … Einige wenige Kameraden sind desertiert... Es ist weit bis zu den anderen Deutschen hinter uns und erst bis zur Reichsgrenze. … Eines ist sicher: dass es nach Abschluss hier für die Überlebenden nur noch die Gefangenschaft gibt."
Dann bricht der Strom seiner Briefe ab.
Abgeschnitten? Nur über den Seeweg erreichbar? Rätselhaft. Und das Schweigen dauert.
Der nächste Brief ist vom 2. Dezember. Auf dem Umschlag klebt ein Streifen mit Hakenkreuz und der Aufschrift: "Geöffnet von der Reichszensurstelle". Fred schreibt jetzt mit Bleistift auf grobfasriges Papier: „Es sind nun 117 Tage, seit wir wie Gefangene eingeschlossen sind." Und er hat seit dem 21. Juni keine Nachricht von Erna. Mehr als fünf Monate.
Im Dezember 1944 folgen mehrere Briefe einander. Sie haben alle Kleber von der Reichszensurstelle, sind alle ähnlichen Inhalts. Fred ist eingeschlossen. Er wartet auf Briefe von Erna. Er ist hungrig. "Man ist halt ab und zu ausgebrochen und hat sich Kartoffeln, Geflügel und Vieh vor der Nase der Feinde bei den französischen Bauern kurzerhand geholt. In der Not wird der Krieger zum Dieb. Freilich gabs dabei auch mal Zünder, aber wir haben ja auch Waffen und Blei."
Seine Isolation versteht er als Sühne für das, was er seiner Familie angetan hat.
Diese Briefe tragen wenigstens eine - nicht sehr gut leserliche - Ortsangabe: Er hat sie in an einem Ort namens Plouhamel oder Plouharnel geschrieben. Am 21. Dezember dann eine Karte mit einem gedruckten Text. Fred darf Weihnachtsgrüsse in die Heimat schicken: „Nachstehende Nachricht wurde durch Funk aus der eingeschlossenen Festung L’Orient am 10. Dezember übermittelt."
Wir griffen nach Google und Wikipedia.
Es muss ihm etwas Merkwürdiges passiert sein. Am 20. August 1944 schreibt er seiner Frau Erna noch ohne Ortsangabe: "Es ist nun schon 16 Tage her, seit wir abgeschnitten sind und acht Tage, seit wir zur Übergabe aufgefordert wurden durch einen Parlamentär. Noch sind wir immer gut verpflegt, wenn auch nur noch der gefahrvolle Seeweg offen ist. Um uns herausnehmen zu können, fehlen die Mittel... Andererseits haben wir Befehl zum Ausharren bis zum letzten Schuss und zum letzten Blutstropfen. … Einige wenige Kameraden sind desertiert... Es ist weit bis zu den anderen Deutschen hinter uns und erst bis zur Reichsgrenze. … Eines ist sicher: dass es nach Abschluss hier für die Überlebenden nur noch die Gefangenschaft gibt."
Dann bricht der Strom seiner Briefe ab.
Abgeschnitten? Nur über den Seeweg erreichbar? Rätselhaft. Und das Schweigen dauert.
Der nächste Brief ist vom 2. Dezember. Auf dem Umschlag klebt ein Streifen mit Hakenkreuz und der Aufschrift: "Geöffnet von der Reichszensurstelle". Fred schreibt jetzt mit Bleistift auf grobfasriges Papier: „Es sind nun 117 Tage, seit wir wie Gefangene eingeschlossen sind." Und er hat seit dem 21. Juni keine Nachricht von Erna. Mehr als fünf Monate.
Im Dezember 1944 folgen mehrere Briefe einander. Sie haben alle Kleber von der Reichszensurstelle, sind alle ähnlichen Inhalts. Fred ist eingeschlossen. Er wartet auf Briefe von Erna. Er ist hungrig. "Man ist halt ab und zu ausgebrochen und hat sich Kartoffeln, Geflügel und Vieh vor der Nase der Feinde bei den französischen Bauern kurzerhand geholt. In der Not wird der Krieger zum Dieb. Freilich gabs dabei auch mal Zünder, aber wir haben ja auch Waffen und Blei."
Seine Isolation versteht er als Sühne für das, was er seiner Familie angetan hat.
Diese Briefe tragen wenigstens eine - nicht sehr gut leserliche - Ortsangabe: Er hat sie in an einem Ort namens Plouhamel oder Plouharnel geschrieben. Am 21. Dezember dann eine Karte mit einem gedruckten Text. Fred darf Weihnachtsgrüsse in die Heimat schicken: „Nachstehende Nachricht wurde durch Funk aus der eingeschlossenen Festung L’Orient am 10. Dezember übermittelt."
Wir griffen nach Google und Wikipedia.
diefrogg - 6. Mär, 16:05
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walküre - 6. Mär, 19:33
Ich auch, und deswegen weiß ich jetzt, dass Lorient sich erst zwei Tage nach der offiziellen Kapitulation ergeben hat. Eine Ortschaft namens Ploemel befindet sich südöstlich von Lorient, eine namens Ploemeur grenzt an Lorient (Sie wissen dies wahrscheinlich bereits); aus diversen Feldpostbriefen ist mir erinnerlich, dass viele Soldaten, die der jeweiligen Landessprache des besetzten Gebietes nicht mächtig waren, die Ortsbezeichnungen zum Teil recht ordentlich verwurstelt haben. Weit kann Herr Feuerstein jedenfalls nicht gekommen sein in diesen Dezembertagen.
edit: Pluméliau und Plumelin befinden sich im Nordosten. Ziemlich viele Pls dort, so wies ausschaut.
edit: Pluméliau und Plumelin befinden sich im Nordosten. Ziemlich viele Pls dort, so wies ausschaut.
diefrogg - 6. Mär, 22:24
Sie nehmen mir...
die Forschungsarbeit vorweg, Frau Walküre! Das ist prima, dann braucht mein nächster Beitrag weniger Platz. Es war so: Fred war ursprünglich in Quiberon stationiert (habe ich erst vor zwei Tagen herausgefunden), auf einer Landzunge südlich von L'Orient. Eingeschlossen wurde er dann in Plouharnel am Ansatz der Landzunge. Von dort setzte er wohl per Schiff nach L'Orient über, um seine Botschaft abzusetzen. Gehörte aber im Prinzip alles zur selben Festung.
Bei Fred lags wohl weniger am Französisch als an der Handschrift. Er mochte die französische Sprache und beherrschte sie auch in der Schrift immer besser. Da er gelegentlich französische Briefe schrieb (oder solche auf Schweizerdeutsch), wenn ihm die Kameraden über die Schultern schauten, erkennt man, dass seine Französischkenntnisse sich in Frankreich verbesserten. Er war offensichtlich gerne Dolmetscher. "Nach dem Krieg" wollte er sogar die Reichs-Dolmetscherschule in Meissen besuchen.
Bei Fred lags wohl weniger am Französisch als an der Handschrift. Er mochte die französische Sprache und beherrschte sie auch in der Schrift immer besser. Da er gelegentlich französische Briefe schrieb (oder solche auf Schweizerdeutsch), wenn ihm die Kameraden über die Schultern schauten, erkennt man, dass seine Französischkenntnisse sich in Frankreich verbesserten. Er war offensichtlich gerne Dolmetscher. "Nach dem Krieg" wollte er sogar die Reichs-Dolmetscherschule in Meissen besuchen.
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