Vom Luxushotel in den Gulag
Diese Treppe lässt vergangene Eleganz ahnen. Sie führt auf einen grossen, leeren Kiesplatz. Das war natürlich nicht immer so. Im 19. Jahrhundert war die Treppe den Zugang zu einem Luxushotel. Dem Hotel Sonnenberg. Reiche Damen und Herren genossen hier die hinreissende Aussicht auf die nahe Stadt Luzern. Oder vergnügten sich auf dem Golfplatz.
Aber im 20. Jahrhundert liefen die Geschäfte nicht mehr so gut.
Im Zweiten Weltkrieg machte das Hotel dicht. Das Haus wurde ein Flüchtlingslager für Frauen: Zu Kriegsende wohnten hier hauptsächlich Frauen aus der Sowjetunion. Sie waren als Zwangsarbeiterinnen nach Deutschland verschleppt worden und von dort ausgebüxt.
Das Leben im Hotel war hart, aber fair. Fröhlich war es nicht. Es gab genug zu essen, täglich zwei Appelle, und die Frauen arbeiteten. Der "auf äusserliche Musterhaftigkeit und demonstrativ begrenzte Zuwendung ausgerichtete Tagesrhythmus lässt die internierten Frauen deutlich spüren, dass sie halt doch keine 'Gäste' sind, sondern gegen den Willen des Staates 'hier Gestrandete', die jetzt eine verordnete Fürsorge erhalten", schreiben Jürg Stadelmann und Samantha Lottenbach*. Oh, ja. Das glaube ich. Jede Minute eines jeden Tages werden die Frauen erfahren haben, dass sie nicht willkommen waren. Und sowieso allein mit dem Entsetzen über das, was ihnen vorher passiert war. Eine harte Schale haben in der Schweiz heute noch sehr viele. Nicht wenige haben dazu auch einen harten Kern.
Die Mädchen aus der Sowjetunion blieben auch nach Kriegsende. Ihre Rückreise war Gegenstand eines diplomatischen Seilziehens zwischen Bern und Moskau, das Stadelmann und Lottenbach etwas vage beschreiben. Fakt scheint: Stalin wollte die Frauen zurück.
Sie reisten dann auch aus: am 13. September 1945. "Heute wissen wir, dass diese Reise ... für viele der ... Heimkehrer in den sibirischen Gulag und in den Tod führen sollte", schreiben Stadelmann und Lottenbach. "Sie fragen weshalb? Nun, die jungen Menschen stellten in Stalins Augen eine Gefahr dar: Immerhin waren sie über Monate hinweg mit dem Kapitalismus des Westens in Berührung gekommen." (S. 74)
Das Hotel verfiel nach dem Krieg. In den fünfziger Jahren durfte die Armee es übungshalber sprengen. Als ich 30 Jahre später wenige hundert Meter davon entfernt aufwuchs, hatte man es und seine Gäste vollkommen vergessen.
Neben dem Kiesplatz liegt heute ein Spielplatz. Dort spielen am Sonntag die Kinder aus den Vorortsquartieren.
* Im Buch "Sonnenberg: Hotel, Bahn, Flüchtlingsheim", Hrsg: Museum Bellpark, Kriens, 2002, S.66.
diefrogg - 10. Mär, 19:00
5 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
MadProfessor - 12. Mär, 13:14
ich liebe solche Beiträge. Der leider stillgelegte Blog http://onefor.twoday.net/ schrieb neben vielen Fussballanalysen auch historisches über
bestimmte Plätze in Wien. Vielleicht ist da was für Sie dabei ...
bestimmte Plätze in Wien. Vielleicht ist da was für Sie dabei ...
diefrogg - 13. Mär, 19:27
Oh! Eben erst...
gesehen, den Kommentar! Danke für den Tipp! Dem Blog werde ich dann vor unserer Reise mal ein Stündchen widmen!
MadProfessor - 13. Mär, 22:46
Sorry
die Links (Wienschau) in dem Blog funktionieren scheinbar alle nicht mehr - schade
Klaus Puchleitner - 17. Mär, 19:21
Auf dem Golfplatz? Glaub ich nicht.
Die reichen Damen und Herren müssen sich damals anderswie, anderswo vergnügt haben. Vielleicht auf einer Wiese, die später einmal ein Golfplatz geworden ist... Im 19. Jahrhundert hat es in der Schweiz noch so gut wie keine Golfplätze gegeben. Der allererste des Landes wurde 1891 im Engadin gegründet, um Luzern gab´s nur Wasser und Berge. Liebe Grüße!
diefrogg - 17. Mär, 19:33
Na gut, nicht im...
19. Jahrhundert, sondern ab 1903. Ich habs jetzt extra grad schnell nachgeschlagen. Der Golfplatz Sonnenberg war der vierte der Schweiz - nach St. Moritz 1891, Samedan 1898 und Montreux-Aigle 1900. Laut Stadelmann und Lottenbach wurde dort das erste internationale Tournier ausgetragen. Der Golfplatz existierte aber schon lange nicht mehr. Heute gibts da wieder Landwirtschafts-Land (das allerdings aus auffallend weichen Hügeln besteht).
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