Der Selbsthass der Journalisten
Manche Sätze lösen ein befreiendes Rauschen im Kopf aus. Sie rufen einen Schwarm von Gedanken herbei, die sich irgendwann ordnen und die Welt stimmig erklären. So ging es mir mit: "Etwas um seiner selbst willen gut zu machen, ist eine Fähigkeit, ... die sich bei den meisten Menschen findet, aber diese Fertigkeit geniesst in modernen Gesellschaften nicht das Ansehen, das sie eigentlich verdiente." Er stammt aus dem Vorwort dieses Buches*:
Er versetzte mich in die Zeit zurück, als ich für eine Zeitung mit einer Auflage von etwa 120000 Stück schrieb. Plötzlich begriff ich, was ich in jenen Tagen manchmal so schmerzhaft fand: Es war der Hass der Journalisten auf ihr eigenes Handwerk. Niemand sprach darüber. Aber ich spürte ihn, und er tat weh. Denn ich war eine Journalistin, die gute Texte schreiben wollte. Texte, die Freude am Lesen bereiten. Texte, die relevante Informationen vermitteln. Doch Texte bestehen leider Gottes aus Buchstaben. Und Buchstaben waren Zeitungsmachern ein Gräuel. Der Journalistenjargon kennt ein hässliches Wort für eine Seite mit zu vielen Buchstaben: Bleiwüste.
Ich hänge gewiss nicht dem Glauben an, nur ein langer Text sei ein guter Text. Aber in jenen Jahren war im Grunde jeder Text zu lang. Es war die grosse Zeit der Gratiszeitungen. Bezahlzeitungen ahmten die am Markt erschreckend erfolgreichen, neuen Produkte nach. Das A und O des guten Zeitungsmachens waren starke Bilder und fetzige Titel. Der Rest? Etwas für Schöngeister und Wirrköpfe.
Wir Schreiberlinge klagten selten. Was hätten wir sagen sollen? Es war ein Privileg, überhaupt seinen Lebensunterhalt mit Schreiben zu verdienen. Journalist/in war ein Traumjob. Gleichzeitig verschwanden die Jobs in der Branche jährlich zu Hunderten. Auch bei uns verschwanden Kollegen. Wir hatten keine Zeit, unseren Selbsthass zu spüren. Wer es trotzdem tat, galt als eitel oder unbelehrbar.
"Du bist bei uns nicht am richtigen Ort", hat einmal ein Chefchen zu mir gesagt. "Du willst im Grunde etwas ganz anderes." Er wusste nicht, was er genau sagen wollte. Und ich habe ihn nicht verstanden. Ich wollte doch nie etwas anderes als schreiben. Gute Texte schreiben.
Ich fühlte mich wie ein Idiot.
Aber seit ich den Satz von Sennett gelesen habe, verstehe ich das alles. Ich will nicht behaupten, dass ich eine brilliante Journalistin hätte werden können. Aber ich fühle mich wenigstens nicht mehr wie ein Idiot.
* Richard Sennett: "Zusammenarbeit", Hanser, Berlin, 2012
Er versetzte mich in die Zeit zurück, als ich für eine Zeitung mit einer Auflage von etwa 120000 Stück schrieb. Plötzlich begriff ich, was ich in jenen Tagen manchmal so schmerzhaft fand: Es war der Hass der Journalisten auf ihr eigenes Handwerk. Niemand sprach darüber. Aber ich spürte ihn, und er tat weh. Denn ich war eine Journalistin, die gute Texte schreiben wollte. Texte, die Freude am Lesen bereiten. Texte, die relevante Informationen vermitteln. Doch Texte bestehen leider Gottes aus Buchstaben. Und Buchstaben waren Zeitungsmachern ein Gräuel. Der Journalistenjargon kennt ein hässliches Wort für eine Seite mit zu vielen Buchstaben: Bleiwüste.
Ich hänge gewiss nicht dem Glauben an, nur ein langer Text sei ein guter Text. Aber in jenen Jahren war im Grunde jeder Text zu lang. Es war die grosse Zeit der Gratiszeitungen. Bezahlzeitungen ahmten die am Markt erschreckend erfolgreichen, neuen Produkte nach. Das A und O des guten Zeitungsmachens waren starke Bilder und fetzige Titel. Der Rest? Etwas für Schöngeister und Wirrköpfe.
Wir Schreiberlinge klagten selten. Was hätten wir sagen sollen? Es war ein Privileg, überhaupt seinen Lebensunterhalt mit Schreiben zu verdienen. Journalist/in war ein Traumjob. Gleichzeitig verschwanden die Jobs in der Branche jährlich zu Hunderten. Auch bei uns verschwanden Kollegen. Wir hatten keine Zeit, unseren Selbsthass zu spüren. Wer es trotzdem tat, galt als eitel oder unbelehrbar.
"Du bist bei uns nicht am richtigen Ort", hat einmal ein Chefchen zu mir gesagt. "Du willst im Grunde etwas ganz anderes." Er wusste nicht, was er genau sagen wollte. Und ich habe ihn nicht verstanden. Ich wollte doch nie etwas anderes als schreiben. Gute Texte schreiben.
Ich fühlte mich wie ein Idiot.
Aber seit ich den Satz von Sennett gelesen habe, verstehe ich das alles. Ich will nicht behaupten, dass ich eine brilliante Journalistin hätte werden können. Aber ich fühle mich wenigstens nicht mehr wie ein Idiot.
* Richard Sennett: "Zusammenarbeit", Hanser, Berlin, 2012
diefrogg - 29. Aug, 13:45
6 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
walküre - 29. Aug, 22:07
Sie haben den meisten Ihrer Berufskollegen und -kolleginnen eine wesentliche Fähigkeit voraus:
Sie können schreiben.
Lassen Sies raus - sowas verlernt man nicht.
Sie können schreiben.
Lassen Sies raus - sowas verlernt man nicht.
diefrogg - 31. Aug, 13:17
Herzlichen Dank,
Frau Walküre! Ich freue mich schon sehr darüber, dass jemand diesen Text überhaupt zu Ende gelesen hat. Ich habe mir nämlich aus purer Lust am Schreiben die journalistische Todsünde eines langsamen Einstiegs erlaubt.
Umso glücklicher bin ich, dass es auch Leute gibt, die lesen können!
Umso glücklicher bin ich, dass es auch Leute gibt, die lesen können!
Jossele - 30. Aug, 20:32
Die vermeintliche Nachfrage, und die wird nur an der verbreitbaren Auflage gemessen, sagt aber überhaupt nichts über Qualität aus.
Was und wie Massenblätter schreiben ist Beleg genug.
Sie können schreiben!
Was und wie Massenblätter schreiben ist Beleg genug.
Sie können schreiben!
diefrogg - 31. Aug, 13:18
Danke auch Ihnen,
Herr Jossele! Nun fehlt mir nur noch ein zahlender Abnehmer für meine Produkte. Aber Sie kennen ja wahrscheinlich selber die Fallstricke des Gewerbes ;)
Was ich vielleicht zur Klärung noch hinzufügen muss: Damals war ich getrieben vom Glauben, für ein übergeordnetes Interesse zu arbeiten: Wir nehmen einen Informationsauftrag wahr. Oder wir machen unser Produkt gut verkäuflich. Wir tragen das Licht der Demokratie. Oder etwas in der Art.
Dass es ganz in Ordnung sein könnte, etwas einfach für sich selber schön und gut machen zu wollen, daran dachte ich damals nicht.
Was ich vielleicht zur Klärung noch hinzufügen muss: Damals war ich getrieben vom Glauben, für ein übergeordnetes Interesse zu arbeiten: Wir nehmen einen Informationsauftrag wahr. Oder wir machen unser Produkt gut verkäuflich. Wir tragen das Licht der Demokratie. Oder etwas in der Art.
Dass es ganz in Ordnung sein könnte, etwas einfach für sich selber schön und gut machen zu wollen, daran dachte ich damals nicht.
Falkin - 1. Sep, 08:30
"aus dem OFF"
wert-geschätzt-e Frau Frogg, durch Sie inspiriert entstand ein Klang.Farben-Experiment, welches ich Ihnen widme-t-e. Wenn Sie wünschen, dass Ihr Name im Zusammenhang nicht genannt wird, lassen Sie es mich, bitte, wissen. Er wird dann umgehend aus den entsprechenden Stellen entfernt!
Mit beschwingtem Gruße und dem Wunsch für ein Sie rundum bereicherndes WE!
Mit beschwingtem Gruße und dem Wunsch für ein Sie rundum bereicherndes WE!
Trackback URL:
https://froggblog.twoday.net/stories/138659790/modTrackback