30
Sep
2015

Schweizer auf Reisen

Frau Schweizer sass im Reisecar und blickte auf die Schotterfelder am Rand eines syrischen Dorfes. Es war im Oktober 1998. Frau Schweizer sagte: "Dass die aber auch ihre Plastiksäcke einfach wegwerfen!" In den Dornen am Strassenrand hingen viele zerrissene Plastiktüten. "Die sollten doch ein bisschen Umweltbewusstsein haben!"

Frau Frogg verdrehte die Augen, blickte auf ein ärmliches Haus am Strassenrand und sagte: "Ich kann mir schlecht vorstellen, dass man hier, mitten in der Wüste genügend Geld hat für ein paar Männer in orangen Gwändli*."

"Ach, was, es gibt sehr viel Geld in diesem Land", platzte plötzlich Herr Schweigsam vom hinteren Sitz heraus. Es war das erste Mal, dass er überhaupt etwas sagte. "Die haben hier so viel Erdöl und Phosphate! Aber es fliesst halt alles in die Taschen der Reichen."

Frau Frogg sagte nichts mehr. Aber sie dachte: "Sollen sie doch Kuchen essen!" Ihr erinnert Euch: Die französischen Königin Marie-Antoinette (1755 bis 1793) soll gesagt haben: "Sollen sie doch Kuchen essen, wenn sie kein Brot mehr haben." Man hatte ihr gesagt, ihre Untertanen seien so arm, dass sie sich kein Brot mehr kaufen könnten. Zwar stimmt die Geschichte offenbar gar nicht. Aber wenn es nicht wahr ist, ist es gut erfunden. Es zeigt, was passiert, wenn die einen keine Ahnung davon haben, wie die anderen leben. Marie-Antoinette bezahlte ihre Ahnungslosigkeit mit dem Leben, als bei den Franzosen der Hunger in Wut kippte und sie eine Revolution anzettelten.

Wir hatten alle keine Ahnung in unserem Bus. Ich auch nicht. Aber hinter den dicken Scheiben unseres Reisecars mutmassten wir munter drauflos.

Aber, nun, ich will mal nicht den Teufel an die Wand malen. Ich will nur sagen: Ahnungslosigkeit ist kein gutes Rezept.

* Gwändli: schweizerdeutsch für Überkleid, oft Arbeitskleidung.

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steppenhund - 3. Okt, 17:25

Eine sehr tiefsinnige Betrachtung, die mittlerweile auch in unseren Breiten an Bedeutung gewonnen hat.

diefrogg - 3. Okt, 18:57

Ja, das stimmt,

und ich habe grösste Bedenken, dass man diesen Text als Angsmacherei lesen könnte. Deshalb habe ich den Schluss noch ein bisschen angepasst. Ich will nicht Wasser auf die Mühlen der Islamophobiker und Fremdenhasser giessen. Ich will wirklich nur sagen: Ahnungslosigkeit ist gefährlich.
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