20
Mai
2015

Karl und Katharina

Nicht in einem Märchenschloss begann die Liebesgeschichte von Karl und Katharina Rüedi, und nicht einmal in einer Arztvilla. Sondern in diesem biederen Mehrfamilienhaus.


Hünenbergstrasse 20, Luzern

Ihr habt ihre Geschichte lesen wollen - also gut, Ihr sollt sie haben!

Solche Häuser wurden in unserer Stadt nach dem Krieg zu Hunderten gebaut. Hier schuftete Katharina 1958 als Kindermädchen. Ihre Arbeitgeber hiessen sinnigerweise Burgherr. Der Burgherr habe etwas Geld mit einem Patent gemacht, erinnert sich Katharina. Gearbeitet habe er jedenfalls nicht.

Katharina lebte hier schlimmer als einst Aschenbrödel. Sie musste auf die beiden Söhne aufpassen, ging mit ihnen auf den Spielplatz und wurde gelegentlich zum Einkaufen geschickt. Sonst durfte sie nicht aus dem Haus, nie. Freien Tag hatte sie keinen, Lohn auch nicht. Das Arbeitsverhältnis war gewiss auf 100 Arten ungesetzlich. Katharina war um die zwanzig, sie wehrte sich nicht. Sie war aus Kärnten gekommen. „Wenn Du jemandem etwas sagst, stellen wir dich einfach an die Grenze“, drohten Burgherrs. Damit hatte es sich.

Gelegentlich schickte Frau Burgherr Katharina in die nahe Metzgerei. Dort sollte sie 100 Gramm Hackfleisch holen. Die Hausfrau machte dann zu Hause Bolognese für fünf Personen. Sie goss die Sauce zuunterst in die Schüssel, obendrauf kamen Spaghetti. Die oberste Schicht Teigwaren schöpfte die Chefin weg und gab sie Katharina - ganz ohne Sauce. Dann erst rührte sie die Spaghetti um und bediente die Familie.

Wenn das Mädchen in die Bäckerei musste, war das Geld genau abgezählt. Sie musste jeweils zwei Schnecken kaufen, für die Buben.


(Quelle: www.baeckerei-mathieu.ch)

Für sie selber gab es nicht einmal eine Semmel.

Katharina wäre gerne tanzen gegangen. Tanzen, das konnte sie. Aber ausgehen - undenkbar! Erst als Burgherrs einmal für drei Tage wegfuhren, schöpfte sie Hoffnung. Ein Ehepaar aus der Nachbarschaft wollte sie in ein Tanzlokal mitnehmen.

"Erst wollte ich gar nicht mit - ich hatte Angst, dass Burgherrs absichtlich früher nach Hause kommen und mich ertappen würden", sagte sie.

Ich hatte ihr bislang in unserer Quartier-Konditorei still gegenüber gesessen - nur wenige Schritte von der Hünenbergstrasse entfernt. Ich machte nur ab und zu einen ermunternden Laut. Jetzt sagte ich: "Wer macht denn so etwas?!"

Ich hatte eine kurze Antwort erwartet. Aber ich hatte nicht mit Katharinas Talent zur Abschweifung gerechnet - sofort begann sie mit einer pikanten Rückblende auf ihre Zeit in Kärnten. Aber die erzähle ich Euch nächstes Mal.

16
Mai
2015

Unglaubliche Liebesgeschichte

Meine treuen Leser wissen es: Ich habe literarische Ambitionen und arbeite an einer Liebesgeschichte. Heute Morgen grübelte ich darüber nach, ob ich meinen Lesern eine Kotz-Szene zumuten solle. In angelsächsischen Liebesromanen ist die Kotz-Szene obligatorisch. Beispiel: Die Heldin ist betrunken und hustet sich auf einem Parkplatz drei Margaritas aus dem Leib - der Held ist zur Stelle und hält ihr den Kopf. Damit erbringt er den Beweis, dass er sie liebt. Logisch, oder? Aber nicht sehr appetitlich.

Ich kam zu keinem Ergebnis. Ich ging einkaufen.

Im Coop am Schlossberg traf ich Nachbarin Katharina.
"Kommst Du mit mir einen Kaffee trinken?" fragte sie.

Ich zögerte. Katharina ist sehr redselig, seit ihr Mann vor zehn Jahren einmal nicht mehr von einer Radtour zurückgekommen ist. Er fiel in Horw wie ein Sack Zement vom Rad - Herzinfarkt. Das erzählt sie immer und immer wieder und noch viel, viel mehr. Es ist, als rede sie um ihr Leben. Ich sagte, ich hätte keine Zeit. Ja, ich gestehe es: Ich bin eine Zicke, die einsame Nachbarinnen im Stich lässt.

Auf mich wartet zu Hause schliesslich eine grosse Aufgabe.

Aber Katharina liess nicht locker. Und so ging ich mit.

Da sassen wir, im blässlichen hinteren Zimmer unserer Konditorei am Schlossberg.



Wieder quasselte sie von ihrem Karl. Sie ist aus Österreich, man hört es an ihrer Sprache.

"Wie bist Du eigentlich nach Luzern gekommen? Wo hast Du ihn denn kennen gelernt?" fragte ich.

Da passierte etwas Merkwürdiges: Aus der blabbernden Frau wurde mit einem Mal eine grosse Geschichtenerzählerin. Sie legte eine absolut bezaubernde Liebesgeschichte hin. Eine halbe Stunde lang.

Schliesslich lachte sie und sagte: "Ja, das ist doch verrückt, oder? Jemand sollte das aufschreiben." Und genau damit habe ich heute den Nachmittag verbracht. Wenn Ihr wollt, erzähle ich sie Euch - gewissermassen als Fingerübung. Aber ich brauche dafür ein paar ermunternde Kommentare. Ich muss wissen, ob das überhaupt jemand lesen will.

Sonst wende ich mich wieder den Kotz-Szenen zu.

Also, meldet Euch!

14
Mai
2015

Wandern ist blöd


Ein Lichtblick auf unserer Wanderung am Vierwaldstättersee: Liebliche Landschaft in der Nähe von Hertenstein

Der Herr T., alias Kulturflaneur will wandern gehen. Er hat ein grosses Projekt - er will den Vierwaldstättersee umrunden. "Wir werden früh aufstehen müssen", sagte er. "Gegen Abend gibt es Gewitter." Ja, seufzte Frau Frogg, und am Morgen wird es schwülheiss sein. 30 Grad! Mindestens!"

Ich hatte von Anfang an Mühe mit dem Projekt. Vierwaldstätterseewanderungen habe ich als Kind à discretion gehabt. Ich finde sie ein bisschen bieder. Aber was sollte ich machen? Sonst will ja ich immer ich mit Herrn T. spazieren gehen, und er will dann nicht. Da muss ich diese Gelegenheit schon packen.

Wobei - wenn man mir schlechte Laune bereiten will, zwingt man mich am besten zum Frühaufstehen an meinem freien Tag. Ich bin jeweils bis Mitte Nachmittag verstört, wenn ich um 6.30 Uhr morgens mit einer Ausflüglerherde durch den Bahnhof drängeln muss. Das war früher schon so. Schon deshalb bin ich nie eine begnadete Bergziege geworden.

Immerhin: Um 10.15 Uhr waren wir in Küssnacht. So früh, dass ich mir kaum vorstellen konnte, was man mit so viel Tag anfangen könnte. Heiss war es trotzdem schon.

Herr T. wollte unbedingt einen Umweg über die Hohle Gasse machen. Die Leser seines Blogs würden das von ihm wollen, sagte er. Doch, Leser, ich sage Euch: Die Hohle Gasse ist ein simpler Waldweg. Für so etwas könnt ihr zu Hause ins nächste Gehölz gehen. Gut, Wilhelm Tell war vielleicht nie in Eurem Wäldchen. Aber in der Hohlen Gasse ist er auch schon lange nicht mehr gewesen, glaubt mir. Ich refüsierte.

So hielten wir sofort Richtung Greppen und Weggis. Herr T. war bester Laune. Ich hörte bald auf, ihn auf lustige Strassenschilder oder hübsche Blümchen hinzuweisen. Er hätte sonst noch mehr Fotostops gemacht (die Früchte seines Schaffens könnt Ihr demnächst auf seinem Blog geniessen).

Der Wanderweg führte längere Zeit der Strasse entlang. Einer Strasse, die an sonnigen Tagen eine beliebte Strecke für Motorradkonvois und Cabriolets ist. Nun, ich werde mir weitere miesepetrige Bemerkungen ersparen. Ich hatte es ja gewusst.

In Greppen hatte Herr T. Erbarmen mit mir und spendierte ein Käfeli. Erfahrungsgemäss heitert ein guter Espresso meine Laune stets erheblich auf. Spätestens nach einem Käfeli nehmen meine Geschichten in der Regel eine versöhnliche Wendung. Auch die Landschaft tat kurz nach Greppen das beste, mir dabei zu helfen: Man lässt die Cabrio-Strasse hinter sich und taucht ein in eine Landschaft, in die die Jahrtausende charmante Hügelchen und Tälchen gefräst haben (Bild oben).

Einen Kilometer lang lang war ich geradezu fröhlich. Dann schoss mir ein schier unerträglicher Schmerz in die Hüften - eine Alterserscheinung, verdammt, man ist ja bald 50. Eine längere Pause wurde unumgänglich, und wir zogen in Hertenstein sogar eine verfrühte Heimreise in Betracht.

Irgendwie schaffte ich es dann doch noch bis Weggis und versöhnte mich dort mit den Herausforderungen des Lebens. Das Gewitter liess noch lange auf sich warten.

Herrn T.s wirklich sehr lesenswerte Schilderung unserer Wanderung kann man jetzt hier lesen.

2
Mai
2015

Deine fixen Ideen

Ich packte alle Sachen in ein Paket, die Du im Verlauf des Jahres zu mir gebracht hattest. Es war eine grosse Schachtel. Du hattest eine Bettdecke bei mir. Diese bescheuerte Bettdecke! Dieses Zeichen, dass Du Distanz brauchtest in meinem Bett. Distanz, meine Fresse! "Deins!" schrieb ich auf einen Begleitzettel, oder etwas in der Art. Dann schleppte ich das Paket auf die Post. Kaum war es weg, gingen mir die Augen über. Ich weinte pausenlos, wochenlang. Klassischer Fall von Liebeskummer.


(Quelle: post.ch)

Das ist lange her und kaum mehr der Rede wert. Und doch frage ich mich manchmal: Wie konnte ich zulassen, dass ausgerechnet Du mir das Herz brichst? Wir lebten nicht nur in zwei verschiedenen Städten. Wir lebten auf verschiedenen Planeten, Du und ich. Wir hätten nie zu einander gefunden. Ich wusste es von Anfang an - aber ich wollte es partout nicht einsehen. Schliesslich warst Du es, der Schluss machte. Tage nach meinem dreissigsten Geburtstag. Eine Katastrophe.

Sieben Wochen später schriebst Du mir einen Brief. Du hattest die fixe Vorstellung, dass man mit seinen Ex-Freundinnen freundschaftlichen Kontakt halten sollte. Du hattest schon eine andere. Ich hatte Tage zuvor erfahren, dass ich auch noch meinen Job verlieren würde.

Freundschaftlichen Kontakt mit Dir war das letzte, was ich brauchte. Ich schrieb zwei Sätze auf eine Karte aus grauem Recycling-Papier: "Bitte lass mich in Ruhe. Ich werde melden, wenn ich soweit bin."

Ich solle nicht so nachtragend sein, liessest Du mir ausrichten. Aber ich schwieg. Zwanzig Jahre verflossen, Freunde kamen und gingen. Da waren andere Männer. Dann kam Herr T. An Dich dachte ich nur noch selten - aber immer mit dieser vagen Vorstellung, dass da noch eine offene Rechnung zwischen uns sei.

Vor ein paar Wochen sass ich Dir dann plötzlich in einem Café gegenüber. Wir bestellten einen Salat und machten eine Viertelstunde zivilisierte Konversation. Dann wollte ich irgendwie mein Schweigen von damals erklären. Man muss doch irgendwo ansetzen. Ich begann. Du unterbrachst: "Ich habe keine Ahnung wovon Du sprichst. Ich kann mich überhaupt nicht erinnern, wie das damals alles gelaufen ist."

Ich war so fassungslos, mir blieb fast ein Salatblatt im Hals stecken.

Dies ist mein Beitrag zum famosen Projekt *txt. Das sechste Stichwort lautetet "deins". Vielleicht weil bloggen eine furchtbar ich-bezogene Sache ist, war es die schwierigste Aufgabe bis jetzt.

29
Apr
2015

Gehörlosen-Komödie

Paula Bélier hat ein grosses Talent: Sie kann singen, und wie. Eine Karriere in Paris liegt in Griffweite. Aber zuerst muss die 16-jährige Bauerntochter ein paar Hürden überwinden. Die schwierigste: Mutter, Vater und Bruder sind gehörlos - Paula ist als Hörende ihre Gebärden-Dolmetscherin und somit der Draht der Familie zur Aussenwelt

Das ist die Ausgangslage der französischen Erfolgskomödie La famille Bélier.


Familie Bélier, links Paula. Quelle: cdn.im6.fr

Kritiker schreiben, der Streifen habe erhebliche Schwächen im Handlungsaufbau. Ja, das stimmt. Trotzdem empfehle ich ihn unbedingt. Gut, ich bin da mit meinen Gehörproblemen vielleicht etwas voreingenommen. Aber ich habe auch Argumente. Hier:

1) Papa und Mama Bélier sind als Figuren gut herausgearbeitet. Mama Bélier ist überkandidelt, ich-bezogen, kurz, keine gute Mutter. Halleluja! Einmal eine behinderte Frau, die der Welt kein leuchtendes Vorbild sein muss! Eines Abends, heftig angesäuselt, gebärdet sie zu ihrer Tochter: "Als Du zur Welt kamst und sie mir sagten, dass Du hörst, habe ich so geweint! Ich habe Hörende nie ausstehen können." Hier, an dieser Stelle, schimmert mitten im ganzen Komödien-Klamauk die potenzielle Tragik dieser Familienkonstellation auf. Man versteht, warum Paula sich zunächst für ihre schöne Stimme schämt. Man sieht an der Geschichte auch etwas Exemplarisches - ähnliche familiäre Verstrickungen erleben ja nicht nur die hörenden Kinder von tauben Eltern. Sondern - nur zum Beispiel - auch Töchter und Söhne von Alkoholikern. Gut, dass das Mädchen einen wirklich patenten Vater hat.

2) Der Film behauptet, dass Taube ehrlich, direkt und sehr sinnlich sind. Da ist etwas Wahres dran, auch wenn der Film es für meinen Geschmack zu stark überzeichnet. Ich erlebe das selber im Umgang mit meinen schwerhörigen Bekannten. Körpersprache, auch Slapstick, spielen bei uns eine wichtige Rolle. Das ist oft spassig - und dass Leute mit Hörproblemen auch Spass haben können, darf man ja ruhig einmal im Kino sagen.

Ich habe mich bloss gefragt: Warum muss man immer und überall betonen, dass Menschen mit schlechten Ohren guten Sex haben? Und: Gibt es in Frankreich auf dem Land noch keine Cochlea-Implantate?
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