21
Aug
2013

Überbewerteter Krimi

Diesen Krimi gibt es zwar erst auf Englisch. Aber er wird auch im deutschen Sprachraum ein todsicherer Bestseller werden. Er ist das Werk, das Harry-Potter-Autorin J. K. Rowling unter falschem Namen herausgegeben hat.

Ich musste es lesen - denn ich liebte Harry Potter! Es soll ja auch enthusiastische Kritiken gehabt haben, noch bevor die wahre Identität von Robert Galbraith aufflog. Und es hat Stärken: Es erzählt kompetent über das Leben in der Londoner Schickeria - darüber weiss die Autorin Bescheid, sie gehört ja selber dazu. Sie beweist auch ein gutes Händchen für Dialoge. Und, klar: Das Buch ist ein "pageturner", wie es im britischen Buchhändler-Slang heisst. Zu Deutsch: Man verschlingt es.

Insgesamt scheint es mir aber überbewertet.

Seine offensichtlichste Schwäche ist sein charmanter Plauderton. Er passt nicht zum Helden. Privatdetektiv Cormoran Strike ist eine arme Sau. Er hat in Afghanistan ein halbes Bein verloren - und zurzeit übernachtet er im Büro, weil ihm auch noch sein Privatleben um die Ohren geflogen ist. Ein solcher Held muss sich behaupten, seine Männlichkeit beweisen. Aber Rowling zeigt ihn nicht dabei. Wie ein Autor seinen Helden in einer solchen Lage zeigen kann, hat anno dazumal Raymond Chandler vorgemacht. Da kommt jeder Satz knapp und schnell wie aus der Pistole. Es sind Sätze für einen Selbstbehauptungs-Künstler. Unerreicht.

Mir gefällt auch nicht, wie die Autorin die Leserin durch den Fall führt: Sie breitet die Story aus wie einen Orienttepich mit einem labyrinthischen Muster. Reihenweise Dialoge mit unendlich vielen Hinweisen. In vielen Krimis - zum Beispiel bei Elizabeth George - haben Detektive Partner. Mit ihnen diskutieren sie Hinweise und führen den Leser so auf die richtige, oft auch erst mal auf ein paar falsche Fährten. Strike aber tauscht sich nicht einmal mit seiner cleveren Sekretärin Robin aus. Er lässt den Leser über den Teppich tappen, orientierungslos, viel zu lange. Und zaubert schliesslich die Lösung unter ihm hervor hervor wie ein Lehrmeister in Hogwarts.

Auch als ich das Buch zum zweitenmal las, konnte ich nicht restlos nachvollziehen, wie er das gemacht hat.

Ja, Ihr habt richtig gesehen: Ich habe das Buch zweimal gelesen - und beim zweiten Mal ein paar köstliche Aha-Erlebnisse gehabt und auch gelacht.

Aber ob das ein Zeichen von Qualität ist? Ich bin mir nicht sicher.

16
Aug
2013

Adieu sächsische Schweiz!



Das Bild hier habe ich Mitte Juni auf der Bastei in der sächsischen Schweiz gemacht. Die merkwürdige Stange auf dem Felsen ist eine Wetterfahne in Gestalt eines Mönchs - vom Wind zum magersüchtigen Sportsfreund verdünnt.

Ich könnte noch wochenlang von der sächsischen Schweiz erzählen. Ich könnte von der Bastei und Pirna und den Dampfschiffen erzählen. Ich könnte berichten, wie ich im unwetterversehrten Bad Schandau vergeblich ein Eis zu kaufen versuchte. Touristische Frivolitäten haben in solchen Zeiten ihre Grenzen, musste ich lernen. Disziplin aber muss auch in solchen Zeiten sein: In Pirna verlängerten die Angestellten der Stadtbibliothek noch 5000 Leihfristen, bevor das grosse Wasser kam. Das lasen wir in der Sächsischen Zeitung.

Überhaupt: die Sächsische Zeitung. Sie wurde zu unserem Leib- und Magenblatt. Die Kioskfrau an der Ecke rollte sie jeweils für Herrn T. zusammen, noch ehe er "Guten Morgen" gesagt hatte. Die Sächsische Zeitung erklärte uns auch, dass ein harmloser Fluss namens Potatschke jene Wohnung in Königstein verschlammt hatte, die wir dann nie sahen. Als die Elbe in den Städtchen stand, blieb die Potatschke klein und harmlos. Aber das Hagelgewitter danach brachte ihr so viel Dreck, dass sie ihren eigenen Kanal zuschlammte. Eine weitere Katastrophe für Königstein.

Überhaupt: das Grosse Wasser. Wir bemühten uns ja, ihm nicht zu grosse Aufmerksamkeit zu schenken. Aber als wir am 26. Juni wieder in die Schweiz kamen, ertappte ich meine Augen bei einer merkwürdigen Aktivität: Auf der Zugfahrt nach Luzern suchten sie die Landschaft draussen automatisch nach den Spuren eines Hochwassers ab. Ich musste mich wieder daran gewöhnen, einfach ins Land zu blicken und zu sehen: Es ist alles heil und ganz. Gott sei Dank.

Und so weiter.

Aber draussen reifen die Brombeeren an den Büschen - ein untrügliches Zeichen, dass der Sommer bald vorbei ist. Zeit für einen Themenwechsel.

Deshalb adieu, sächsische Schweiz! Möge die Wetterfahne auf dem Mönchstein dem Wind zuflüstern, dass er uns ein andermal wieder herbringen soll!

14
Aug
2013

Am Königsweg gescheitert

Die sächsische Schweiz kennt jede Menge Flurnamen, die uns Schweizer exotisch anmuteten: Das Wort "Kirnitzschtal" etwa ist für uns ein köstlicher Zungenbrecher. Dann gibts den Kuhstall, der kein Holzbau, sondern ein Felsentor ist. Es gibt die Affensteine und den Weiberfährenweg, der zu keiner Fähre führt. Es gibt den Diebshöhlenbach, den Zahnsgrund und den Klüftelweg. Und für erschöpfte Wanderer die Gaststätten "Stiller Fritz" oder "Erbgericht".

Die Berge erinnern mit ihren Namen häufig daran, dass Deutschland früher eine Gesellschaft mit einer vielstufigen Rangordnung gehabt hat: Der Pfaffenstein ist der bescheidenste unter den felsigen Häuptern der sächsischen Schweiz. Edler ist der Lilienstein, wie geschaffen als Namensgeber für eine noblen Familie. Und natürlich den Königstein.

Es gibt auch den Königsweg. Warum er allerdings so heisst, wird mir wohl für den Rest meines Lebens ein Rätsel bleiben. Er führt mitten durch den Nationalpark südöstlich von Bad Schandau. Aber ich fand ihn überhaupt nicht königlich.

"Königsweg" nennt man ja auch den besten Weg zu einem schwer erreichbaren Ziel. Klar, dass wir ihn für unseren Abstieg von den Winterbergen wählten. Es war unsere letzten Wanderung. Wir hatten auf dem Grossen Winterstein noch einmal die wahrhaft majestätische Aussicht auf das Elbtal genossen.


(Im Hintergrund noch einmal der Lilienstein)

Die ganze Gegend dort oben ist umwerfend. So umwerfend, dass Menière-Patientin Frogg ausgerechnet dort oben einen leichten Schwindelanfall bekam. Zunächst hielt ich ja noch tapfer die Ohren steif. Bis ich feststellte, dass der Königsweg nicht nur zwischen Felsen verlief - sondern einer rund 200 Meter hohen Felswand entlang. Ohne Geländer.

Ich muss gestehen: Ich zwang Herrn T. zur Umkehr.

Ich scheiterte übrigens nicht nur am Königsweg - sondern auch an der Himmelsleiter, einem charmanten Aufstieg beim Kuhstall:



"Ich will noch nicht in den Himmel", sagte ich entschieden zu Herrn T. und kehrte um.

Dennoch fand ich beide Erlebnisse sehr bedenklich. Ich hätte sie weniger bedenklich gefunden, wenn die Wege nicht "Himmelsleiter" oder "Königsweg" geheissen hätte.

10
Aug
2013

Das Schloss im Osten

In Ostdeutschland hauen einem die Touristiker ja nicht gleich die unappetitlichen Details aus der Zeit der sowjetischen Herrschaft um die Ohren. In Tschechien ist das anders - oder wenigstens im Schloss Děčín .



Das noble Haus ist das touristische Bijou der Stadt. Man kann es mit Audioguides besichtigen - und die sagen es Deutsch und deutlich: Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Schloss ein Stützpunkt für sowjetische Soldaten. Und die sollen sich barbarisch benommen haben. Die edel gearbeiteten Holztüren etwa hätten sie gerne als Zielscheiben beim Messerwerfen benutzt - und zum Zigarettenausdrücken. Aber die Tschechen haben das Schloss seither schön herausgeputzt.



Es gehörte einst den Herren von Thun aus Österreich, über die im Schloss niemand etwas Schlechtes sagt. Auf den westlichen Betrachter wirkt der mächtige Bau ohnehin nicht westlich - sondern ausgesprochen slawisch. Es beginnt schon bei der Auffahrt.



Noch bei keinem westeuropäischen Schloss habe ich eine Zufahrt ohne Aussicht auf die Umgebung gesehen. "Was soll denn das?!" fragte sich Frau Frogg. Die Auffahrt ist tatsächlich etwas Besonderes. Sie hat sogar einen Namen: Sie heisst "die lange Fahrt" - oder "dlouha jizda". Erst später habe ich gelesen: Die Architekten wandten einen Trick an, um sie länger scheinen zu lassen als sie wirklich war. Die Bögen auf der Seite werden immer niedriger. Man sieht es auf dem Bild zuoberst.

Architektonisch ist die "Lange Fahrt" also mit der potemkinschen Treppe in Odessa verwandt.


(Quelle: Wikimedia)

Die Treppe ist unten viel breiter als oben. So lässt sie die Stadt oben viel mächtiger aussehen als sie wirklich ist. Im Schloss Děčín dagegen diente der Trick zur Vergrösserung des Ruhms derer von Thun.

Vor der Führung besichtigten wir auch die Waffen- und die Gemäldesammlung des Hauses. Dabei folgt uns eine Aufseherin auf Schritt und Tritt. Sie achtete freundlich, aber sehr bestimmt darauf, dass wir die Filzpantoffeln anbehielten, die den Holzboden schützen sollen. Wir waren dort die einzigen Besucher - und die Szene entbehrte nicht einer gewissen Beklemmung und Komik. Ich muss gestehen: Ich fühlte mich wie Roman Polanski im Schloss des Grafen Dracula in Tanz der Vampire.

Dafür war ich restlos hingerissen vom Rosengarten.

4
Aug
2013

Der eiserne Vorhang

Schon kurz nach Ende der Flut donnerten wieder endlose Güterzüge durch die sächsische Schweiz. Sie brachten Autos aus den Fabriken Tschechiens in die Länder Westeuropas.



Autos, soweit das Auge reicht. Tschechien ist einer der grössten Autohersteller Europas. Wenn ich solche Bilder sehe, dann bekomme ich Fernweh. "Komm, wir gehen nach Tschechien", sagte ich zu Herrn T.

Es sah ganz leicht aus: Die S1 fuhr von unserem Bahnhof in Bad Schandau in 40 Minuten über die Grenze und bis in die Kleinstadt Děčín. Alle Durchsagen im Zug waren zweisprachig - Deutsch und Tschechisch. "Und Geld wechseln können wir, wenn wir dort sind", sagte ich. Am 21. Juni fuhren wir.

Wir erwarteten ein dynamisches Städtchen an der Grenze zu Westeuropa. Wir fanden eine Stadt in stiller Verzweiflung. Nirgendwo habe ich mich je deplatzierter gefühlt als an jenem Tag im Bahnhof von Děčín.

Herr T. suchte einen Stadtplan, aber niemand half ihm weiter. Hier, am Ende der S1 aus Dresden, konnte schlicht niemand Deutsch. Ich suchte dringendst ein stilles Örtchen und fand es schliesslich auch. Eine Wärterin wachte am Eingang. Sie wies resolut auf ein Schildchen: Darauf stand "60 Kronen". Das sind etwa 2.50 Euro. Ich hätte ihr 3 Euro gegeben, aber das wollte sie nicht. Sie machte ein Gesicht, als betrachte sie es als Geringschätzung ihrer Währung und ihrer Person, dass ich nicht mit 60 Kronen in der Hand zu ihr hinunterstieg. Aber Geringschätzung war es nicht, nur schiere Dringlichkeit.

Wir erwarben schnellstens einen hübschen Stoss tschechische Kronen.

Ich bin in den neunziger Jahren ein paarmal in Osteuropa gewesen - im Baltikum und in Russland. Ich fühlte mich damals nie unwillkommen. Es herrschten Aufbruchstimmung und Neugier. Die Menschen im Děčíner Bahnhof aber begegneten uns mit einer Art aktiver Gleichgültigkeit. "Auf die beiden haben wir gerade noch gewartet!" schienen sie zu denken. Ich fühlte mich, als wäre hinter uns an der deutschen Grenze der eiserne Vorhang niedergerasselt. Das Geräusch schnitt mir die Luft ab.

Was war hier bloss los? Gut, in Děčín hatte eben die zweite Jahrhundertflut in zehn Jahren alle Erdgeschosse am Elbufer bis unter die Decke verschlammt. Aber das war in Sachsen ja auch so.

Vielleicht lag es daran, dass in Prag eben die Regierung gestürzt war. Der sparwütige neoliberale tschechische Ministerpräsident war über eine Korruptionsaffäre gestolpert. Ich bin noch nie in einem Land gewesen, in dem die Regierung gerade gestürzt ist. Ich weiss nicht, wie sich das anfühlt. Vielleicht so wie in Děčín.

Endlich fanden wir eine Brücke hinüber die Altstadt. Wir sahen ein Café mit phantastischen Torten. Wir stürzten hinein und bestellten Kaffee. Die Serviererin war freundlich. Ich überlegte, ob ich den ganzen Tag hier sitzen und Torten anstarren - und unter Gebrauch unserer neu erworbenen Tschechischen Kronen - auch ein paar Stücke essen sollte.

Erst später habe ich der Malaise von Děčín mit einer Internet-Recherche auf den Grund zu gehen versucht. Ich lernte, dass die Wirtschaftskrise in der EU Tschechien hart getroffen hat. Im Westen hat haben ja alle die Euro-Sorgenkinder Griechenland und Co. angestarrt und Osteuropa ganz vergessen. Aber in Tschechien schauen viele Menschen der blanken Not ins Gesicht. Die Politik ist durchdrungen von Korruption.

In der Gegend von Děčín hatten die Wähler schon letztes Jahr genug von dieser unappetitlichen Mischung aus Sparwut und Korruption. Im Bezirk Ústecký kraj, in dem das Städtchen liegt, amtiert mit Oldřich Bubeníček erstmals seit der Wende wieder ein Kommunist als Landeshauptmann. Die Kommunisten sind der Korruption unverdächtig, weil nach der Wende zunächst niemand mit ihnen politisiseren wollte.

Schliesslich gingen wir doch wieder in die Stadt hinaus. Wir fühlten uns ja nicht gefährdet. Nur fehl am Platz. Wir hielten uns an die touristischen Trampelpfade und fanden ein irrwitziges Schloss. Aber dazu später mehr.

Die reichen Schweizer



Dieses Bild ist vom britischen Fotografen Martin Parr und zeigt reiche Leute in St. Moritz 2011. Es ist zurzeit im Museum für Gestaltung in Zürich zu sehen. Parr führt Schweiz-Klischees vor: den Konformismus, die asiatischen Touristen und eben und immer wieder, die Reichen.

Wir haben die Ausstellung gestern besucht. Ein idealer Tag fürs Museum. Es war so heiss, dass alle anderen in die Badi* gingen. Das Museum war fast leer und nicht zu warm. Neben den Schweiz-Bildern hängen dort noch andere aus Parr's Serien: Mexiko, Grossbritannien, "bored couples":


(Gelangweiltes Paar in Finnland auf einer Fähre 1991)

Auf seinen Schweizer Bildern hat Martin Parr nicht die Schweiz fotografiert, in der ich lebe. Ich war noch nie am Opernball, noch nie in St. Moritz. Zum Konformismus habe ich eine komplizierte Beziehung.

Schliesslich hatten Herr T. und ich alles gesehen und hingen träge an einem Tischchen in der Eingangshalle. Plötzlich sehe ich, dass eine Japanerin uns fotografiert.

Fotografien anschauen schult den Blick. Sofort registriere ich, wie wir dasitzen, welche Kleider wir tragen: Ich eine khakigrüne Hose und rot lackierte Zehennägel, eine zierlich karierte und bestickte Bluse von Street One. Der Kulturflaneur einen leicht franisg gewordenen Strohhut. Ich frage mich: Hat die Japanerin uns als reiche Schweizer fotografiert? Als Konformisten?

Oder als "bored couple"?
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Journal einer Kussbereiten

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diefrogg - 11. Jan, 15:20
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diefrogg - 9. Jan, 18:14
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ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
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