3
Okt
2012

Passbilder von Frau Frogg

Wenn man von Frau Frogg das Unmögliche verlangt, dann tut sie es auch. Aber sie bekommt dabei diesen stoischen Blick:



Hier sieht man sehr gut: Es ist äusserst unglücklich, dass ausgerechnet Passbild-Automaten das Unmögliche von ihren Benutzern verlangen.

Die Regeln lauten:

1) Sorgen Sie dafür, dass Ihr Gesicht genau in den vorgegebenen Rahmen passt
2) Blicken Sie gerade in die Kamera
3) Tragen Sie keine Brillen oder Kopfbedeckungen und halten Sie die Ohren frei
4) Lachen Sie nicht, halten Sie den Mund geschlossen

Frau Frogg hielt sich genauestens an alle diese Vorschriften - glaubte sie jedenfalls. Und doch meldete der Apparat beim ersten Versuch: "Ihr Passbild entspricht den Anforderungen nicht."

"Woran das wohl liegen mag?" sinnierte Frau Frogg. Der Automat schwieg sich darüber aus. Lag es daran, dass die Ohren nicht ganz frei waren? Aber die Frau auf dem Beispielbild hatte doch lange Haare und deshalb auch keine freien Ohren. Und wenn Frau Frogg die Frisur von den Ohren zieht, dann sieht man das Hörgerät. Und dann stellt sich die Frage: Ist ein Hörgerät gleich zu behandeln wie eine Brille oder Kopfbedeckung und auszuziehen? Oder nicht?

Ich habe es nie herausgefunden. Beim zweiten Versuch meldete der Automat wiederum sibyllinisch: "Ihr Passbild entspricht den Anforderungen nicht." Vor Ärger drückte ich die OK-Taste zu früh. Heraus kam die Visage oben mit dem stoischen Blick und der geradezu kubistischen Verzerrung der linken Gesichtshälfte.

Ich versuchte es kein drittes Mal. So eine Passbild-Karikatur kostet 8 Franken. Da lohnt sich der Mut zur Hässlichkeit. Die städtischen Verkehrsbetriebe werden damit zurechtkommen müssen.

29
Sep
2012

Das Kind und die Touristen

Mein Gottenbub* Tim (7) ist ein sehr blondes Kind. Zusammen waren wir neulich auf dem Zentralschweizer Top-Aussichtspunkt Titlis. Dort oben tummelten wir uns unter Dutzenden von asiatischen Touristen. Der Titlis ist eine beliebte Bollywood-Szenerie. Und auch Japaner und Chinesen sind offenbar begeistert vom Ausflug mit der rotierenden Bergbahn.


(Quelle: www.imspycher.ch)

Wir spazierten so durch den Sulzschnee auf dem Gipfel, als uns plötzlich - schwups - ein paar Japanerinnen klein Tim entrissen. Sie führten ihn zwei Meter weiter zu einem Grüppchen, stellten ihn in die Mitte und posierten für ein Gruppenfoto.

Ganz offensichtlich waren sie von seinen blonden Haaren begeistert. "Ein richtiger Geissenpeter!" schwärmten sie wohl auf Japanisch - es heisst ja, die seien alle Heidi-Fans, die Japaner.

Das alles ging sehr schnell. Tim kam gar nicht auf die Idee, die Fassung zu verlieren. Aber seine Mutter erzählte mir später: "Einmal wollten Asiaten ihm im Bus die Haare anfassen. Da wurde er ziemlich hässig."

* Mein Patensohn

23
Sep
2012

Hochzeiten, Beerdigungen

Mein letzter Eintrag war vielleicht etwas kryptisch. Ich finde, ich sollte noch ein paar Erläuterungen hinzufügen.

Natürlich - er dreht sich um mein schwaches Gehör. Damit sieht es im Moment etwa so aus: Wenn ich unendlich sorgsam mit mir umgehe; wenn ich keinerlei Stress habe; wenn ich lebe wie eine Einsiedlerin; dann kann ich manchmal wieder ein paar Stunden oder Tage lang Musik hören. Und sie klingt sogar wie früher. Vorausgesetzt, das Wetter ist richtig.

Aber der geringste Stress kann das fragile Gleichgewicht der Flüssigkeiten in meinem einst guten Ohr zum Kippen bringen. Manchmal reicht ein Föhnlüftchen oder ein Kaltfröntchen. Und dann klingt Musik wieder nur wie Lärm.

Dabei unterscheidet mein Ohr überhaupt nicht mehr zwischen gutem und schlechtem Stress. So ist Frau Frogg ein durchaus geselliger Mensch. Aber in letzter Zeit bekommt sie schon einen Hörsturz, wenn sie nur an eine grössere Menschenansammlung denkt - egal ob Hochzeit oder Beerdigung.

Aber kann man für den Rest seines Lebens Hochzeiten und Beerdigungen fernbleiben, nur um zwischendurch ein paar Takte Musik hören zu können?

22
Sep
2012

Abschied

Neulich ging ich auf dem Golfplatz am Hügel spazieren. Der Rasen leuchtete, als würde das Leuchten morgen verboten. Fast zuoberst sah ich meine gitarrenbewehrten Schutzpatrone am Weg stehen. Sie hatten ihre Instrumente eingepackt und standen da wie auf einem Plattencover der Achtziger - Page, Green und White. Entschlossen. Als wüssten sie, wo sie hinwollten.

"Wir verlassen Dich jetzt", sagte Page. "Wir können nichts mehr für Dich tun." Green senkte den Kopf und bekam krumme Beine. Er hatte ein schlechtes Gewissen.

"Du musst ohne uns weitermachen. Du musst leben", sagte Page.

Ich vergoss ein paar Tränen. Ich sagte: "Ich weiss nicht, wie das gehen soll. Ich bin doch sozusagen für die Musik geboren."

Die drei schauten einander an. "Ähem... sorry, aber wir sind für die Musik geboren", sagte Green, "Du bist zum Schreiben geboren."

"Bastards!" sagte ich.

White hatte nichts gesagt. Aber am selben Abend hörte ich ein paar Stunden lang ziemlich gut. Da fuhr mir plötzlich aus einem Fernseh-Werbespot sein Riff aus "Seven Nation Army" ins Rückenmark. Nichts fährt so ins Rückenmark wie ein gutes Gitarrenriff, glaubt mir.

"Hey, Jungs", rief ich! Irrtum! Es ist noch nicht soweit!" Aber der Irrtum war ganz auf meiner Seite. Am nächsten Morgen war ich wieder stocktaub.

17
Sep
2012

Ein Bier-Beitrag

Auf meinen Spaziergängen sehe ich in diesen Tagen oft Hopfenblüten.



Natürlich: Die meisten Leute denken diesem Anblick zuerst an Bier. Ich nicht. Ich habe Bier nie gemocht. Ich habe ein schönes Glas Wein stets bevorzugt. Oder einen Schnaps. Mir ist die Hopfenblüte vielmehr ein Schlüssel zur literarischen Schatzkammer in meinem Oberstübchen. Deshalb wird dieser Beitrag eher schöngeistig als bierselig.

Mir fallen bei Anblick der Blüte immer die Geschichten von der Hopfenernte in England ein. Wer sich da allerdings pastorale Idyllen vorstellt, täuscht sich. Die Hopfenernte war vor allem für sozialkritische Schriftsteller ein Thema. Für Jack London. Oder George Orwell. Nicht zufällig, wie dieser Link zeigt. Er gewährt auch wieder mal Einblicke in die kulinarischen Kenntnisse von Grosseltern - diesmal von jenen Englands.

Während der Hopfenernte in Kent zogen Leute aus London in Scharen aufs Land. Für die Ärmsten der Stadt war die Hopfenernte Sommerferien-Ersatz. Selbst Penner hatten für eine Weile Lohn und Logis - allerdings beides hundsmiserabel.

Und ohne weiteres fällt mir dann auch jene grossartige Doku-Serie über die Strassen von London ein, von der ich neulich auf BBC 2 einen Teil gesehen habe. Wirklich, von sowas könnte sich das deutschsprache Fernsehen eine Scheibe abschneiden!

In einer Folge wird erzählt, wie im Sommer ganze Familien aus einer ärmlichen Strasse in Southwark nach Kent ins Hopfenlager zügelten. Schon kleine Kinder pflückten sich in den Gärten die Händchen kaputt.

Inzwischen gibt es in England kaum noch Hopfenfelder. Der Anbau lohnt sich nicht mehr.

Das alles ist ja nicht schön. Und es hat im Grunde nichts mit mir zu tun. Was die Frage aufwirft: Warum freut es mich trotzdem, dass der Hopfen mir den Schlüssel zur Kiste mit diesen Geschichten in die Hände? Warum schreibe ich sogar darüber?

Vielleicht nur, um mir zu beweisen, dass - gerade angesichts von Existenzängsten - auch ein reich mit Geschichtenkisten bestücktes Oberstübchen ein Asset ist.
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Freni - 28. Nov, 20:21
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Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
diefrogg - 11. Jan, 15:20
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diefrogg - 9. Jan, 18:14
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ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
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