4
Dez
2010

Über diesen Blog

"Man sollte einen Themenblog haben", hat Acqua einmal gesagt. Ich pflichtete ihr bei. Wir gingen beide davon aus, dass ein Themen- oder Konzeptblog im Grunde etwas intellektuell Wertvolleres ist als ein Feld-, Wald,- und Wiesen- und Selbsterfahrungsblog wie unsere beiden*. In der Tat fallen mir in einer Sekunde rund ein halbes Dutzend Themen- oder Konzeptblogs ein, die ich gerne und regelmässig lese:

ivinfo zu den skandalösen Zuständen im schweizerischen Invalidenversicherungswesen
notquitelikebeethoven, der sich fast ausschliesslich mit Fragen zur Schwerhörigkeit befasst
der Journalistenschredder (der Name ist Programm)
enzyglobe, der reine Spass an der Möglichkeiten der Sprache
londonleben, eine Deutsche erzählt von ihrem Leben in der Britenmetropole
Postkartenvomfranz, ein Hingucker

Themen- oder Konzeptblogs gelten mittlerweile sogar als preiswürdig. Auch ich hätte das Zeug, einen Konzeptblog zu machen:

- Ich traue mir zu, halbwegs kompetent über Bücher zu schreiben (aber wer würde das ständig lesen wollen?)
- Ich verstehe ein bisschen was von Filmen (ditto)
- Ich könnte das Flaneurinnentum zum Haupt-Blogthema erheben (auch kein Mainstream-Thema)
- Mein Wohnort böte geradezu unendlich viel Stoff (nicht, dass das meine treue Wiener Leserschaft interessieren würde, fürchte ich)
- Da wären meine musikalischen Studien (siehe Bücher)
- Und dann habe ich da ja auch noch die Meniere'sche Krankheit

Letzteres Thema würde mir jede Menge Leser bringen. Das zeigten jedenfalls die Erfahrungen im letzten Herbst. Und ich habe ein starkes Bedürfnis darüber zu schreiben - eine Sprache zu finden, mit der sich dieses Chaos aus Dröhnen, Gurgeln, Schwindeln und gehörmässigem Verschwinden aus der Welt wenigstens ein bisschen ordnen lässt. Ja, ich könnte episch über die Menère'sche Krankheit schreiben. Gelegentlich sogar witzig.

Aber ich verbringe so viel Zeit mit meinem Blog. Will ich wirklich all diese Zeit mit Nachdenken über meine Krankheit verbringen? Dann würde die Krankheit in meinem Leben einen Stellenwert bekommen, den sie nicht hat und nicht haben sollte. Und auch in der Vorstellung meiner Leser. Nein, das kann es nicht sein. 90 Prozent von mir sind gesund und vielseitig interessiert. Und über einen Teil der Dinge, die mich interessieren, kann ich sogar schreiben, ohne mich beruflich zu kompromittieren. Das soll in diesem Blog zum Ausdruck kommen. Er Blog bleibt ein Feld-, Wald-, Wiesen- und Selbsterfahrungsblog.

* Pardon, Acqua: Du kommst in letzter Zeit der Idee eines Konzeptblogs natürlich viel näher...

3
Dez
2010

Nadj Abonji

Dieses Buch habe ich aus dem selben Grund gekauft wie viele, viele andere Leser: Weil es die Antwort der Literatur auf rechtsnationale Parolen über Migration ist. Weil es für preiswürdig befunden wurde. Weil die Autorin weiss, wovon sie schreibt. Melinda Nadj Abonji hat selber einen so genannten Migrations-Hintergrund. Ihr Buch zu lesen ist gleichsam ein politischer Akt.

Viele kaufen es. Das Buch ist seit einem Wochen auf Platz 1 der Bestseller-Listen. Es gibt einer so genannten Seconda namens Ildi Kocsis eine Stimme. Es schafft Verständnis für Scharen von Leuten, die in unserem Land aufgewachsen sind und bislang keine laute literarische Stimme hatten. Jeder sollte es lesen.

Auch wenn ich selber erst auf den letzten Seiten mit dem Buch wirklich warm geworden bin. Die Sprache finde ich weit gehend in Ordnung. Die Umstandskrämerei, die mich oft an deutschsprachiger Literatur stört, lasse ich ihr durch. Denn da und dort findet sie wirklich starke Bilder.

"Aber warum", dachte ich, "warum erzählt uns diese Frau auf den ersten Seiten ihres Buches pausenlos von einer Allee, einer Ebene, von der Luft zwischen Bäumen?" Ich meine: Bäume, Luft, eine Ebene, das ist schön und poetisch. Aber es entwickelt nicht gerade die Spannung, die mich gierig in einen Roman hineinbeissen lässt.

Erst nach ganz passablen 240 Seiten bekomme ich eine Antwort. Endlich. Denn auf Seite 241 serviert Ildi im Café ihrer Eltern am Zürichsee. Dabei hört sie sich das unbedarfte Geschwätz von ein paar Rentnern über den Jugoslawien-Krieg an - den Krieg, der gerade in der Heimat ihrer Eltern stattfindet. Sie soll über diese Heimat berichten, sagen die Rentner. Doch Ildi sagt, sie habe keine Zeit. Denn die Rentner wollten wohl nichts "über die Luft zwischen den majestätischen Pappeln und Akazien, die winzigen Blumen, die zwischen den Pflastersteinen wachsen, den Staub, den Dreck, über Béla" hören. Aha. Die ersten Seiten bringen also auf den Punkt, was Heimat für Ildi ist: Bilder, Stimmungen, die Luft zwischen den Bäumen eben.

Die Erklärung kommt spät, aber ich kann beipflichten. Die Frage "was ist Heimat" ist relevant. Und Ildis Antwort öffnet Raum für Interpretationen. Ist diese Allee, diese Ebene nur eine Erinnerung? Oder steht die grosse Weite der Vojvodina im Gegensatz zur jener Enge, die ja in der Literatur typischer Charakterzug der Schweiz ist?

Überhaupt, die Schweiz. Das Buch ist am stärksten dort, wo die junge Ildi ihrer Wut über die Schweiz und die Schweizer freien Lauf lässt. Ildi hat noch mehr Anlässe wütend zu sein als die Schweizer Jugendlichen jeder heranwachsenden Generation. Ihre Familie lässt das Prozedere einer Einbürgerung über sich ergehen, und Ildi empfindet es als Demütigung. Irgendjemand schmiert Scheisse an die Toilettenwände im Café ihrer Eltern. Ildi interpretiert es als Geste der Fremdenfeindlichkeit.

Aber sie wird erwachsen in diesem Land. Und sie wird nicht erwachsen wie die Vojvodina-Ungarin als die sie geboren ist. Sondern ausdrücklich wie eine Schweizerin.

30
Nov
2010

Wiedersehen mit Bridget Jones

Erinnert sich hier jemand an Bridget Jones? Ihr wisst schon: Die mollige Ulknudel, die im Film erst eine Affäre mit Hugh Grant hat und dann im etwas steifen Colin Firth ihren Märchenprinzen findet?

Zur Erinnerung:



Um die Jahrtausendwende liebte ich Bridget Jones. Ich entdeckte zuerst das Buch und fand es grossartig. "Diese Geschichte bringt uns Frauen der neunziger Jahre aufs kulturelle Parkett", dachte ich. Sicher, puncto literarische Qualität kam schon der erste der beiden Romane nicht ganz an Thomas Mann oder James Joyce heran. Und der zweite ist viel zu hysterisch. Aber die Geschichte brachte ein paar Dinge über unsere Generation Frauen auf den Punkt. Dass wir zwar mehr Schuldbildung mit ins Erwachsenenleben brachten als jede Frauengeneration vor uns. Dass unser Tritt im Beruf aber oft dennoch alles andere als sicher war, unsere Jobs oft genug wenig Sinn stiftend. Dass uns dafür unser Freundeskreis wichtig war, dass wir uns frei in der Stadt bewegen und rauschende Parties feiern konnten.

Dass bei Bridget schliesslich doch alles auf das Happy End mit Traummann herauslief, akzeptierte die weltläufige Frau jener Jahre als notwendigen Kompromiss mit den Erfordernissen des Kommerzes.

Den Film fand ich zwar etwas überdreht. Ich meine: Er lebt davon, dass er die verzerrte Selbstwahrnehmung von Bridget bildlich darstellt. Bridget. Jones ist nicht so doof, wie sie im Film herüberkommt. Sie sieht sich bloss selber so. Das muss man begreifen, dann ist Bridget mehr als eine Tusse, deren Charme darin besteht, dass sie schlüpfrige Witze macht und sagenhaft dämlich ist. Dann enthält diese schwungvolle Komödie sogar noch ein Quäntchen Kritik an den herrschenden Verhältnissen: Diesen Blick auf uns selbst zwingt uns Frauen das System auf, dachten wir.

Neulich kam der Film am Fernsehen, und Frau Frogg erlitt einen mittleren Schock. "War unser Leben wirklich so leer?!" staunte sie, "Bestand es wirklich nur aus Kalorien, alkoholseligen Parties und - mehr oder weniger selten - Sex? Waren unsere Freunde auch solch herzlose Idioten?! Was ist diese Bridget für ein unglücklicher Mensch! War ich auch so?"

28
Nov
2010

Bär im Bus

Neulich setzte sich der Bär im Bus neben mich. Ich erkannte ihn sofort. Als er so nahe sass, fiel mir zu ersten Mal auf, wie sehr seine Krankheit ihn gezeichnet hat. Er hat einen Kopf wie ein gerupfter Vogel mit seinen dünnen Lippen, seinen aufgeschwemmten Backen und seinem dürren Hals.

Wir waren am selben am Gymnasium. Aber ich glaube nicht, dass er sich an mich erinnert. Er galt als Musik-Crack und einmal habe ich ihn angesprochen und ihm gesagt, er solle mir alles über den Punk erzählen. Er sah nicht schlecht aus. Die Haare fielen ihm schräg ins Gesicht. Er hatte damals schon etwas Wildes im Blick. Vielleicht nannte ich ihn deshalb "der Bär".

Als ich nach Jahren anderswo in unsere Stadt zurückkam, sah ich ihn oft ziellos herumgehen. Er redete mit sich selber, und sein Blick war verstört. Er musste den Verstand verloren haben.

Ich kannte zwei Männer, die in ihren jungen Jahren psychisch krank wurden. Beide erkannten, dass ihnen das Leben in diesem sauberen Land keine Perspektiven bieten konnte. Sie hatten den Anstand, sich selber aus dem Weg zu räumen (sollte jemand Zweifel haben, ob ich das zynisch meine: Ja, ich meine es zynisch). Der eine sprang aus dem achten Stock. Der andere warf sich vor einen Zug.

Nicht der Bär. Der Bär wählte das Leben. Jahr für Jahr streifte er durch die Strassen der Stadt. Jahr für Jahr redete er auf seine Dämonen ein.

Ich habe nie mehr mit ihm gesprochen. Um ehrlich zu sein: Ich fürchte mich vor Männern, die auf der Strasse mit sich selber reden. Am Ende werde ich noch Teil seiner Paranoia, dachte ich.

Aber als er nach zwei Stationen ausstieg, war mein Herz voller Kummer.


Und hier der Song zum Sonntag.



Und zur politischen Gross- und Kleinwetterlage. Mick Jagger soll über diesen Song gesagt haben: "Es ist eine Art Ende-der-Welt-Lied, wirklich. Es ist die Apokalypse; die ganze Aufnahme."

26
Nov
2010

Das linke Ohr

Vor lauter Sorgen über mein rechtes Ohr habe ich im letzten Jahr zuweilen vergessen, dass ich ja noch ein linkes Ohr habe. Es hat sich im letzten Jahr erstaunlich unauffällig benommen. Früher war es ja mein Sorgen-Ohr. Es macht mir zu schaffen, seit ich 16 bin. Zuerst nur mit temporären Hörnachlässen*. Doch die wurden mit der Zeit permanent. Ich vergass, dass ich früher links telefoniert habe. Vor ein paar Jahren kamen die Schwindelanfälle. Was wenigstens allen Beteiligten endlich klar machte: Frau Frogg hat eine Meniere-Erkrankung.

Irgendwann während meines erzwungenen Urlaubs letzten November und Dezember hörte ich auch auf dem linken Ohr wieder besser**. So gut, dass ich theoretisch wieder links telefonieren könnte. Und dass links die lauteren Instrumente und Stimmen hereinkommen. Und dass mir das Hörgerät manchmal zu laut ist. Ich hatte gehofft, die neuen Medikamente hätten die Sache dauerhaft in Ordnung gebracht.

Aber heute Morgen wachte ich mit einem verdächtigen Druckgefühl links im Kopf auf. Und da war auch wieder mein Lieblings-Tinnitus, den ich den Alarm an der Bahnschranke nenne. Ich höre noch gleich gut wie gestern. Aber vieles deutet darauf hin, dass sich einer dieser Schübe ankündigt, die in letzter Zeit anderthalb bis zwei Jahre gedauert haben.

Hat der Stress der letzten Wochen ihn ausgelöst?
Ist es die Jahreszeit? Der Herbst ist nun mal die Zeit mit dem höchsten Schub-Risiko.
Oder war einfach wieder einer fällig?

Ich weiss es nicht.



* für Experten: An schlechten Tagen betrugen sie auf allen Frequenzen bis 60 Dezibel
** Für Experten: 20 bis 30 Dezibel auf den sprachrelevanten Frequenzen. In den Tiefen Frequenzen Abfall bis 60 Dezibel
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