12
Okt
2010

Alptraum

Als ich letzten Winter krank war, hatte ich fast Nacht für Nacht denselben Traum. Immer führte er mich zurück zur Stunde Null meiner Existenz. Es war 1993 oder 94, eine Zeit totaler Verwirrung. Ich hatte gerade fertig studiert. Ich wohnte in zwei Städten und pendelte zwischen bis zu drei Städten und einem behäbigen Kantonshauptort. Meine Jugendliebe hatte ich mir selber vom Hals geschafft. Meine Freunde sassen überall - nur nicht dort, wo ich jeweils gerade war. Und dann musste ich auch noch lernen, dass ich mich im Beruf meiner Wahl vertan hatte: Ich taugte nicht zur Bibliothekarin. Ich war 28 und wusste nicht, ob ich überhaupt zu etwas taugte.

Immer suche ich im Traum wie verrückt einen Job, eine Wohnung, ein Zuhause. Immer habe ich den Stress von damals, die Verlorenheit. Immer läuft alles anders als es dann wirklich gelaufen ist. Wenn ich aufwachte, brauche ich oft Minuten, bis ich sicher bin: Mein Gott, drüben liegt doch Herr T. und schläft! Ich habe doch eine Stelle! Ich habe das alles hinter mir. Ich bin jedesmal wahnsinnig erleichtert. Auch als ich im Wachzustand ein kaputtes Gehör hatte.

"Warum habe ich diesen vermaledeiten Traum?!" dachte ich manchmal. "Ich habe doch so schon genügend Probleme!"

Gestern Nacht hatte ich wieder denselben Traum. Aber ich schlief unruhig, und im Halbschlaf verstand ich ihn plötzlich.

Irgendwie stehe ich jetzt wieder an der Stunde Null meiner Existenz. Ich habe fast alle Pläne sistiert, die ich einmal gehabt habe. Ich habe keine Ahnung, was meine Gesundheit in den nächsten Jahren mit mir machen wird. Ich habe nicht einmal mehr Wunschträume.

Es ist, als wollte ich nochmals von vorne beginnen und alles anders machen. Es ist, als suchte ich die Kräfte, die ich damals gehabt habe.

11
Okt
2010

Herr T. bloggt!

Damit hat nicht einmal Frau Frogg gerechnet: Ihr Liebster hat endlich einen eigenen Blog eingerichtet:

Hier!

Darf ich hier noch ein paar Anmerkungen machen, die Herr T. sich bisher, sicher aus Bescheidenheit, verkniffen hat?

- Der tolle Header ist eine Fotografie (copyright bei Herrn T.) des Londoner Laban Centres.

- Den Beitrag zur hiesigen Lehrpfad-Begeisterung empfehle ich sehr zur Lektüre. Die zündende Idee zu dieser ausgesprochen berechtigten Schimpftirade hatte Herr T. übrigens auf einem gemeinsamen Spaziergang am Schacher Seppli-Lehrpfad (über den ich hier gelästert habe).

10
Okt
2010

Jeder braucht jemanden

Ich weiss nicht viel über ihn. Aber eins weiss ich: Solomon Burke war ein grossartiger Songschreiber. Deshalb will ich hier gebührend Abschied von ihm nehmen. Denn die schwergewichtige Soul-Legende ist gestorben. Ich habe es eben am Radio gehört.

Solomon Burke hat einen Song komponiert, den die Rolling Stones zu einem Juwel meiner Jugend gemacht haben.



Noch als 20-Jährige liebte ich das penetrante, schleppende Bassriff. Ich liebte sogar die Stimme von Mick Jagger, die mir sonst nicht viel bedeutet. Ich liebte den Sprechgesang, das Geheul, den rauen Refrain.

Wie so vieles von anno dazumal schafften es die Stones mit diesem Song nicht bis in meine CD-Ära. Als nächstes begegnete ich ihm in einer flotten Version der Blues Brothers. Der gleichnamige Film der Band wurde in den späten achtziger Jahren in der Schweiz überraschend zum Kultfilm.



Aber schon diese Version lässt das Missbrauchs-Potenzial des Songs ahnen: Live eignet er sich bestens zur Publikums-Anmache nach dem Motto: "Jeder braucht jemanden zum Liebhaben. Wir brauchen Dich und Dich und Dich!" Im Film kommt das noch ein bisschen ironisch herüber. Die Band begrüsst ja auch die Polizisten, die sie festnehmen wollen. Aber wer die Live-Aufnahmen des Songs auf YouTube durchguckt, merkt: Meistens wirkt das nur plump.

Da ist die Studio-Version der Stones aus meinem Geburtsjahr 1965 etwas ganz anderes! Sie brachte für Teenager Frogg eine simple und zugleich höchst komplexe Wahrheit auf den Punkt. Ja, ich brauchte jemanden zum Liebhaben. Aber manchmal hatte das himmelschreiende Konsequenzen. Heulende Konsequenzen. Und der Song warf eine Frage auf: Ist das wirklich für alle so? Er war wie ein intimes Zwiegespräch zwischen mir und Mick.

Das ist alles lange her. Aber dennoch: Danke Mick. Und: Danke Solomon!

9
Okt
2010

Unten grau, oben blau

Man sollte potenzielle Schweiz-Reisende nicht die Lust auf unser Land vergällen. Aber, sorry, ich kann es nicht lassen und erzähle es jetzt doch: Wieder einmal hat sich herbsttypisches Hochdruck-Wetter über unsere Städte gelegt. Es lässt die Schweizer Niederungen überall etwa so aussehen.

DSCN1860
(heute morgen, irgendwo im Mittelland)

Gut zu sehen auf dem Bild: der graue Schleier, der über allem liegt. Man nennt ihn Hochnebel. Manchmal bleibt er wochenlang liegen. Denn die Wetterlage, die ihn heranbringt, ist eine der Stabilsten, die es hier in der Gegend überhaupt gibt. "Sie hält sich pro Jahr ungefähr sechs Monate lang", behauptet mein Kollege Fröhlich. Aber das ist böswillig übertrieben. Denn gelegentlich zieht das Hoch ab. Dann hellt es einen halben Tag lang auf. Und dann folgen mehrere Tage Dauerregen oder -schneefall. Bis sich ein neues Hoch etabliert hat.

Man sollte sich dennoch nicht von einer Herbstreise in die Schweiz abhalten lassen. Denn zu dieser Jahreszeit kann man hierzulande Zeuge eines merkwürdigen Phänomens werden: einer stillen Völkerwanderung. Am Samstagmorgen schlafen Herr und Frau Schweizer nicht aus. Nein. Wer kann, steht beizeiten auf, zieht Sportbekleidung an und macht sich auf den Weg zur nächsten Bergbahn. Es zieht uns an solchen Tagen in die Höhe. In hellen Scharen. Wer Drängeleien nicht scheut, sollte es uns nachtun. Ab 1000 Metern über Meer erwarten ihn ein blaues Wunder und das Nebelmeer.

DSCN1875
(heute Mittag, Fräkmüntegg)

8
Okt
2010

Kein besseres Leben

Eigentlich wollte ich ja damit angeben, dass ich seit meinem Hörsturz ein besseres Leben habe. Dass ich ein bisschen besser weiss, worauf es ankommt. Ich hatte Feierabend und war dabei, in meinem Kopf eine Geschichte darüber zu komponieren. Es war 16 Uhr. Draussen schien die Sonne. Schön, ich kann jetzt hinausgehen, dachte ich. Ich ging an den Jungs vom Newsdesk vorbei. Die diskutierten gerade aufgeregt. Steve Lee war gestorben. Der Job meiner Kollegen war es, das Unglück bis Mitternacht angemessen ins Blatt zu rücken.

Ich hörte Wortfetzen. Ich spürte das Adrenalin in mir hochschiessen. Steve Lee hatte ich nur dem Namen nach gekannt. Aber so eine Geschichte... Da schlägt das Herz von Newsjunky Frogg ein paar Takte schneller. Für so ein Ereignis will ich die richtigen Worte finden. Einschätzungen. Will aufgeregt mitdiskutieren. Will etwas zu melden haben.

Ich erinnerte mich an meinen letzten nennenswerten Einsatz am Newsdesk. Es war an jenem Sonntag letzten Herbst, als Roman Polanski in Zürich verhaftet wurde. Ich erinnere mich daran, wie die ersten Agenturmeldungen hereinliefen. Wie mir der Kiefer runterklappte. Wie sogar wir beinahe einen Momant lang sprachlos gewesen wären. Da trifft Dich in der Redaktionsstube das Jetzt wie ein Gongschlag. Da spürst Du, wie die Zeit Dich mitreisst, ein mächtiger, schneller Strom.

Nachher wurde ich krank. Seither ist mein Leben eigentlich langweilig. Sterbenslangweilig. "Was will ich an der Sonne?" dachte ich. Was hätte ich dafür gegeben, in jenen Stunden am Desk zu sitzen!

Naja... ähm... viel hätte ich dafür gegeben. Aber nicht mein Gehör.

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Journal einer Kussbereiten

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