1
Feb
2010

Beatles als Boygroup

Die anderen Mädchen standen alle auf die Bay City Rollers. Aber doch nicht die Prinzessin und ich! Uns waren die Bay City Rollers viel zu bieder. Wir waren etwas Besonders. Wir waren Beatles-Fans. Wir waren 12 oder 13, und irgendwann begann sich für uns alles um die Pilzköpfe zu drehen. Die Beatles wurden unsere Boygroup.

Wir organisierten uns gut: Sie schwärmte für Paul McCartney. Ich, die Intellektuelle von uns beiden, für John Lennon. Sie, die Experimentierfreudige, mochte das Album "Sgt. Pepper's".



Ich stand auf "Help".



Die Eltern der Prinzessin hatten einen Hund. Den musste die Prinzessin an schulfreien Nachmittagen Gassi führen. Oft begleitete ich sie. Dann wurde aus dem "Ämtli" meist ein langer Spaziergang. Wir gingen über die Hügel hinter unserer Vorortssiedlung und bauten schottische Luftschlösser. Wir erzählten einander Geschichten, in denen wir John, Paul, George und Ringo trafen und mit ihnen ganz und gar unglaubliche Stories erlebten. In meiner Erinnerung dauern diese Spaziergänge ewig und die Geschichten hören nie auf. Es störte uns nicht im geringsten, dass es die Band seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr gab. Unsere Geschichten waren zehnmal besser als die Realität. Und die Musik war ja noch da.

Unsere Enthusiasmus hielt mehrere Jahre an. Als John Lennon 1980 erschossen wurde, war ich 15. (Hier ein lesenswerter Eintrag von nömix zum Thema). Die Prinzessin und ich waren immer noch Beatles-Fans. Natürlich besprachen wir die Sache im Bus zum Gymnasium. Natürlich war das ein Schock. Aber es war ein Schock für Fünfzehnjährige. Viel "Jesses" und "Eia!" Aber das alles war ja weit weg passiert, in New York. Und für uns waren die Vier sowieso fiktive Figuren. Echte Tränen gab es damals keine.

Dann verschwand die Prinzessin von der Bildfläche. Und ich begann andere Bands zu mögen.

Erst als George Harrison 2001 starb, verspürte ich einen Moment lang wirklichen Schmerz.

Ich habe mir lange überlegt, ob ich hier den Clip zu "Help" bringen soll. Der hätte meine Gefühle als Teenager gut illustriert. Aber dann wurde mir klar, dass die Beatles mehr für mich waren als eine Boygroup. Sie haben für mich den Begriff "Englishness" definiert (noch bevor er überhaupt Eingang in die deutsche Sprache fand). Und das ist nicht nichts. Schliesslich habe ich sieben Jahre meines Lebens dem Studium Englischer Literatur gewidmet. Deshalb hier ein anderer Lieblingssong von mir, der visuell etwas besser auf den Punkt bringt, was ich damit meine: Bobbies und Pferde und Fussgängerstreifen und ein ganz und gar anderes Alltagsdesign:

A day in the life

31
Jan
2010

Mein Comeback

Es geht mir relativ gut (in Gesprächen klopfe ich mir jeweils an dieser Stelle mit der Faust dreimal an den Schädel. Dazu sage ich: "Holz aalänge")*. An den meisten Tagen höre ich am Morgen auf dem rechten Ohr annähernd 100 Prozent. Ich höre sogar links etwas besser. Nur die Abende sind öfter begleitet von Gepfeife, Gegurgel und Hörnachlass.

Dennoch schien es mir letzte Woche an der Zeit, mein Comeback im öffentlichen Leben unseres Städtchens in die Wege zu leiten. Am Montag bot sich eine gute Gelegenheit: Herr T. hatte Mitstreiter aus der Kulturszene zum Essen eingeladen. Leute, mit denen ich früher öfter beruflich zu tun gehabt hatte.

Nun, die Gäste kamen, setzten sich und... begannen über Geld zu streiten. Ich hätte es wissen müssen. Kulturschaffende reden fast immer über Geld. Und wenn sie nicht über Geld reden, dann streiten sie über Geld. Sie stritten höflich. Aber so ausdauernd, dass darob das Essen in Vergessenheit geriet. Und zu spät essen hat verhängnisvolle Folgen für Frau Frogg's Gehör: Meistens stürzt mein gutes Ohr ab, wenn ich zu lange nichts zu mir nehme.

Da mich der Streit langweilte, zog ich mich in mein Zimmer zurück. Als mein Ohr abzustürzen begann, schlich ich in die Küche und holte eine Schale voller Gemüse aus den wartenden Pfannen. Aber es war schon zu spät. Als der Abend endlich gemütlich wurde, war mein Gehör auf einem Tiefpunkt und meine Laune ebenfalls. Ich ging früh zu Bett.

Am nächsten Tag bot sich bereits ein weiterer, diesmal richtig öffentlicher Anlass zum Üben: ein Podium. Das Thema hat nicht viel zur Sache. Es ging um ein kulturelles Luftschloss unseres Städtchens. Klingt alles wunderbar, wird aber sehr wahrscheinlich scheitern. Am Geld. Mir gings aber sowieso nicht um die Sache. Mir gings ums Sehen und Gesehen werden. Ich sorgte vor und ass (mein Ohrenleiden wird mich zur Kugelfröschin machen). Ich ging hin. Ich sah. Ich hörte. Ich merkte: Ich habe mich verändert. Ich brauche es weniger, beachtet zu werden.

Am Schluss stand ich an der Bar, mit Herrn T., einem alten Bekannten aus der Polit-Szene und meiner Stadtparlamentarierin, von der ich bislang nur den Namen und das politische Programm gekannt hatte. Sie ist jung, bildschön und entschlossen, etwas zu leisten (Herr T. und ich sind uns noch unseins, ob sie auch klug ist. Aber ich halte zu ihr.).

Es war ein schöner Abend. Noch musste ich mich der Frage nicht stellen, was ich dereinst an einem Podium machen werde, wenn ich es nicht mehr richtig verfolgen kann. Erst dem Heimweg klang mein Ohr, als wäre ein Tauchsieder drin. Aber am nächsten Tag fühlte ich mich gut. Als wäre alles wie früher.


* "Holz aalänge" heisst auf Deutsch: Holz berühren. Indem man Holz berührt kann man nach einem bei uns verbreiteten Aberglauben Übel abwenden: jenes Übel, das man zu provozieren droht, indem man zu erkennen gibt, dass man mit dem Lauf einer bestimmten Sache zufrieden ist.

29
Jan
2010

Winter

Eigentlich mag Frau Frogg den Winter nicht. Wenn ich jeweils im September sein Nahen bemerke, befällt mich eine geradezu archaische Lebensmüdigkeit. Mit genau demselben Gefühl mögen meine steinzeitlichen Ahnen in den Himmel geblickt haben, wenn es am Abend immer früher dunkel wurde. "Oh nein, es wird wieder Winter!", werde sie gedacht haben und: "Werde ich das noch einmal überstehen?! Diese grauen Tage! Die Kälte! Die Nässe!"

Es wundert mich im Grunde nicht, dass ich jeweils im Herbst meine schlimmsten Hörstürze habe. Es ist, als verweigere mein Gehör den Winter. Aber ich habe es immer noch besser als meine Urahnen. Die werden Mitte Vierzig in irgendwelchen Höhlen tatsächlich und vollständig verendet sein. Mit oder ohne Gehör.

Nun ja, so im Dezember gewöhne ich mich dann jeweils an den Winter. So sehr, dass mich im Frühjahr sein viel zu langsames Ausklingen meist gar nicht mehr stört.

Und gestern früh, da war ein ganz besonderer Moment. Als ich die Zeitungen aus dem Briefkasten holen wollte, sah ich, dass auf dem kurzen Wegstück zwischen Tür und Briefkasten frischer Schnee lag. Es war klirrend kalt. Ich stand da, im Morgenmantel, mit "I schänke Dir mis Härz" im Ohr und den dicken Pantoffeln an den Füssen. Dann holte ich Luft, machte behutsam einen Schritt und setzte die erste Spur in die weisse Decke. Es knirschte leise.

Das war der Winter, und ich liebte ihn!

24
Jan
2010

Klirren in der Küche

Es ist unglaublich, wie viele Informationen uns ein einigermassen funktionstüchtiges Gehör liefert. Zum Beispiel neulich gegen Abend:

Ich liege auf dem Sofa und höre Herrn T. in der Küche hantieren. Da klirrt es. Ein Geschirrstück aus Porzellan ist ihm auf den Boden gefallen. Kleider rascheln. Ich glaube, er bückt sich. Kurze Zeit später sagt er: "Zum Glück ist sie nicht kaputtgegangen." Das hätte er mir nicht sagen müssen. Ich habe es bereits gehört. Das war nicht das Klirren berstenden Porzellans gewesen. Sondern das kompakte Scheppern eines ganz gebliebenen Stücks. Ich frage: "War das eine weisse oder eine braune Untertasse?" Denn auch dass da eine Untertasse gefallen ist, hat mir mein Ohr bereits mitgeteilt. Nur Untertassen klirren so satt und kompakt, wenn sie auf den Küchenboden treffen.

Für eine Untertasse war es jedoch ein eher schweres Klirren gewesen. Deshalb vermutete ich, es stamme von einer der massiven, weissen Stücke, die ich in unsere eheähnliche Gemeinschaft gebracht habe. Die brechen auch nicht so leicht. Herrn T.s Espresso-Untertässchen sind dagegen fragile Fliegegengewichte.

Aber da habe ich mich denn doch getäuscht. "Es war eine braune", ruft Herr T. aus der Küche

22
Jan
2010

Teenager-Katastrophe

Kaum etwas kann mich so elektrisieren und so verstören wie die Musik von Jimi Hendrix. Kürzlich einmal ging ich durch den Wald. Ich hörte gerade wieder gut und hatte den MP3-Player am Ohr. Plötzlich blieb ich stehen und starrte entsetzt und entrückt zugleich in den wintrigen Zwischenraum zwischen zwei Bäumen. Die ersten Akkorde von "Voodo Child" waren mir ans Trommelfell getänzelt. Ich hatte den Song lange nicht gehört.



Er legte in Sekundenbruchteilen Erinnerungen frei, die ich gut vergraben hatte. Erinnerungen an eine Katastrophe meiner jungen Jahre.

Es war am Open Air in St. Gallen, 1982. Ich war 17. Ich habe meinen Eltern bis heute nicht erzählt, wie ich überhaupt dorthin und wieder zurück gekommen bin. Ich wollte unbedingt hin, denn die Clique, zu der ich gehören wollte, war dort. Axel war dort.

Axel hatte grüne Augen. Ich kannte ihn von jenem belebten Platz am Fluss, an dem wir uns damals trafen. Wenn er über die Brücke kam, erkannten wir Mädchen ihn unter Hunderten an seinem Gang. Er schritt über den Steg, als würde er im nächsten Moment in die blauen Lüfte entschweben. Keine, die nicht in ihn verliebt war. Axel kiffte und redete gern über schwarze Magie. Alle munkelten, er nehme auch LSD.

Erst schien die Sonne. Ich fand Axel an der Sitter, und wir badeten im Flüsschen. Wir lagen im Gras und küssten uns und er redete wirres Zeug über „Sympathy for der the Devil“ von den Rolling Stones und kritzelte Pentagramme auf Papierfetzen. Er redete noch, als es zu regnen begann. Wir fanden Unterschlupf im Zelt eines Freundes. Es stand am Hügel, und wir hatten Tribünensicht auf die Bühne. Axel redete weiter wirres Zeug. Er war da und doch nicht da.

In der Nacht wurden wir patschnass. Das Zelt leckte genau in der Ecke, in der wir lagen. Das Wasser rann hangabwärts und hinein in meinen Schlafsack. Gegen Morgen verschwand Axel. Es hörte auf zu regnen, und die Sonne trocknete mich. Ich irrte zwischen den Zelten umher und suchte ihn. Ich fand ihn nicht. Niemand hatte ihn gesehen. Abends sorgte ich dafür, dass ich nach Hause kam.

Drei Tage später hörte ich, die Polizei habe ihn am Montag vom Festival-Gelände geholt. Er sei völlig von Sinnen gewesen, habe einen Baum umarmt. Jetzt sei er in der Psychiatrischen Klinik. Diagnose: Schizophrenie.

Im Herbst kam er heraus. Aber im nächsten Sommer war er wieder drin. Als sie ihn an einem Samstag Ende August für ein Wochenende nach Hause entliessen, sprang er aus dem achten Stock. Aus der Wohnung seiner Eltern. Er war sofort tot.

Ich erinnere mich nur noch an eine Band, die damals in St. Gallen aufspielte: jene von Rory Gallagher. Warum ausgerechnet Hendrix mich an diese Geschichte erinnerte? Ich weiss es nicht.

Aber an jenem Tag im Dezember glaubte ich, Axel als Gespenst zwischen den Bäumen zu sehen.
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