22
Jan
2010

Teenager-Katastrophe

Kaum etwas kann mich so elektrisieren und so verstören wie die Musik von Jimi Hendrix. Kürzlich einmal ging ich durch den Wald. Ich hörte gerade wieder gut und hatte den MP3-Player am Ohr. Plötzlich blieb ich stehen und starrte entsetzt und entrückt zugleich in den wintrigen Zwischenraum zwischen zwei Bäumen. Die ersten Akkorde von "Voodo Child" waren mir ans Trommelfell getänzelt. Ich hatte den Song lange nicht gehört.



Er legte in Sekundenbruchteilen Erinnerungen frei, die ich gut vergraben hatte. Erinnerungen an eine Katastrophe meiner jungen Jahre.

Es war am Open Air in St. Gallen, 1982. Ich war 17. Ich habe meinen Eltern bis heute nicht erzählt, wie ich überhaupt dorthin und wieder zurück gekommen bin. Ich wollte unbedingt hin, denn die Clique, zu der ich gehören wollte, war dort. Axel war dort.

Axel hatte grüne Augen. Ich kannte ihn von jenem belebten Platz am Fluss, an dem wir uns damals trafen. Wenn er über die Brücke kam, erkannten wir Mädchen ihn unter Hunderten an seinem Gang. Er schritt über den Steg, als würde er im nächsten Moment in die blauen Lüfte entschweben. Keine, die nicht in ihn verliebt war. Axel kiffte und redete gern über schwarze Magie. Alle munkelten, er nehme auch LSD.

Erst schien die Sonne. Ich fand Axel an der Sitter, und wir badeten im Flüsschen. Wir lagen im Gras und küssten uns und er redete wirres Zeug über „Sympathy for der the Devil“ von den Rolling Stones und kritzelte Pentagramme auf Papierfetzen. Er redete noch, als es zu regnen begann. Wir fanden Unterschlupf im Zelt eines Freundes. Es stand am Hügel, und wir hatten Tribünensicht auf die Bühne. Axel redete weiter wirres Zeug. Er war da und doch nicht da.

In der Nacht wurden wir patschnass. Das Zelt leckte genau in der Ecke, in der wir lagen. Das Wasser rann hangabwärts und hinein in meinen Schlafsack. Gegen Morgen verschwand Axel. Es hörte auf zu regnen, und die Sonne trocknete mich. Ich irrte zwischen den Zelten umher und suchte ihn. Ich fand ihn nicht. Niemand hatte ihn gesehen. Abends sorgte ich dafür, dass ich nach Hause kam.

Drei Tage später hörte ich, die Polizei habe ihn am Montag vom Festival-Gelände geholt. Er sei völlig von Sinnen gewesen, habe einen Baum umarmt. Jetzt sei er in der Psychiatrischen Klinik. Diagnose: Schizophrenie.

Im Herbst kam er heraus. Aber im nächsten Sommer war er wieder drin. Als sie ihn an einem Samstag Ende August für ein Wochenende nach Hause entliessen, sprang er aus dem achten Stock. Aus der Wohnung seiner Eltern. Er war sofort tot.

Ich erinnere mich nur noch an eine Band, die damals in St. Gallen aufspielte: jene von Rory Gallagher. Warum ausgerechnet Hendrix mich an diese Geschichte erinnerte? Ich weiss es nicht.

Aber an jenem Tag im Dezember glaubte ich, Axel als Gespenst zwischen den Bäumen zu sehen.

21
Jan
2010

Die beste Zeit

Meinen vorletzten Eintrag über die späten neunziger Jahre habe ich mit diesen Sätzen beendet: "Es war eine gute Zeit. Vielleicht die beste." Mir war klar, dass das mit Blick auf meine gesundheitlichen Perspektiven düster klang. Dass die Kommentare so mitfühlend ausfallen würden (so interpretiere ich sie jedenfalls), hatte ich nicht erwartet. Sonst hätte ich versucht, weniger deprimiert herüberzukommen. (Aber danke trotzdem, für das Mitgefühl!)

Denn es ist die Erinnerung, die mir jene Zeit in so güldenem Licht erscheinen lässt. Damals erschien mir mein Leben nicht besonders angenehm. Ich wusste zwar, dass es ein vergleichsweise interessantes Leben war. Ich war selbstbewusst. Ich war körperlich gut im Schuss. Aber ich war ungern single. Und meinen Job fand ich oft genug bescheuert. Nur: All den Alltagskram, den Ärger, den Stress von anno dazumal hat mein Gehirn in eine entlegene Kammer gezügelt und weggesperrt.

Das hat es auch mit anderen Epochen in meinem Leben getan. Auch mein Leben mit 22 erscheint mir heute in einem weit erträglicheren Licht als damals. Nur weiss ich heute objektiv: Ich möchte nie wieder 22 sein! Ich war ja so verstört mit 22! Mit 34 dagegen, da hatte ich die wesentlichen Dinge allmählich im Griff. Wenn ich wählen könnte, dann möchte ich noch einmal 34 sein.

Im Wissen darum bin ich guter Hoffnung: Wahrscheinlich wird mein Gedächtnis auch in Zukunft der Lage sein, mir meine vergangenen Epochen glücklicher erscheinen zu lassen als sie es wirklich waren. Und vielleicht werde ich einmal rückblickend sagen können: Im Winter 2009/2010, mit 44, erlebte ich grosse Glücksmomente. Dank meinen Hörstürzen entdeckte die Musse. Und ich entdeckte, was mir Musik wirklich bedeutet. Es war auch eine gute Zeit. Ganz objektiv.

19
Jan
2010

Arbeiten ist bescheuert

Vor einer Woche habe ich an dieser Stelle vollmundig behauptet, arbeiten sei schön. Darf ich jetzt das genaue Gegenteil behaupten? Arbeiten ist bescheuert: Kostendruck, Gemurkse, Zeitdruck, Herumdiskutieren, Produktionsdruck, Gemurkse, Kritik, Stress, Gemurkse, Kostendruck, Streit, Zeitdruck... es hört nie auf. Gestern hat es mir zum Erstenmal seit Jahren wieder den Schlaf geraubt.

14
Jan
2010

Musik für Arbeitstiere

Plötzlich verbreitete sich der Sound in den Schweizer Bars wie ein Lauffeuer. Kein Szenenrestaurant, wo man in jenem Sommer 1998 nicht Buena Vista Social Club hörte. Die Musik wehte durch die sommerlichen Strassen, warm, süss und südlich. Es war Latino-Sound. Aber er war mehr als das. Er hatte etwas, was ihn unwiderstehlich machte. Vielleicht war es die Slide-Guitar von Ry Cooder. Vielleicht das schiere Glück dieser aus dem Elend Kubas zurück ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit geholten Musiker.



Frau Frogg wollte sich das Album erst gar nicht kaufen. Sie hatte gerade wieder Liebeskummer, und den Sound hatte sie zum Erstenmal mit dem Verflossenen (es war Nummer Fünf) gehört. Aber die Musik war sowieso allgegenwärtig. Und unwiderstehlich. Mein Lieblingssong wurde "El carretero". Ich habe kein Video zum Einbetten gefunden, aber hier ist ein Link. Schaut ihn Euch an! Hört Euch das Lied an. Es ist toll. Und der Streifen hat Untertitel. Ihr werdet besser verstehen, warum ich ausgerechnet diesen Song gewählt habe.

Ich war 33, single, und ich hatte einen guten Job bei einer auflagenstarken Wochenzeitschrift. Nennen wir sie "brav & bieder". Es war nicht mein Traumjob. Aber ich hatte Leser, ich hatte was zu melden und ich verdiente zum Erstenmal richtig Geld. Ich arbeitete hart, ich war in einer grossen Stadt. Ich hatte viele Kolleginnen. Wir arbeiteten alle hart, aber in meiner Erinnerung hatten wir viel Zeit, in Bars herumzuhängen. Wir waren selbstbewusst. Cool. Wir waren Frauen, die etwas zu sagen hatten und die Worte dafür zu wählen wussten. Wenigstens, wenn wir unter uns waren.

Als ich einmal in den Süden fuhr, kaufte ich ein leuchtend oranges Strandkleid. Wenn ich diesen Song höre, dann sehe ich mich immer aus unserem Büro kommen. Wie in einem Traum. Es ist Feierabend, ich bin müde. Es ist heiss. Ich trage mein oranges Strandkleid. Ich stehe an der Autobahnauffahrt vor unserem Büro und warte, bis es grün wird. Ich bin voller Hitze und voller Leben.

Der Song spielt auf dem Land und dreht sich um die bescheidenen Hoffnungen eines jungen Bauern. Für mich wurde er zum Song eines Mädchens, das sich in der Stadt eine Namen als Profi machen will.

Es war eine gute Zeit. Vielleicht die beste.

12
Jan
2010

Und der Krimi?

Wenn es mir länger als einen halben Tag gutgeht, dann fange ich an, mir über meinen Krimi Gedanken zu machen. Ich meine: Ein bisschen arbeiten, bloggen, lesen und YouTube-Videos gucken... das kann's doch nicht sein für eine Frau in den besten Jahren! Da braucht es doch eine Mission, ein Projekt!

Vor einem halben Jahr habe ich meinen Roman aus der Hand gelegt. Seither weiss ich zwar, was ich damit machen müsste. Aber ich habe nicht die Kraft gehabt, es zu tun.

Was nicht heisst, dass nichts damit passiert ist. Ich meine: man tut zwar nicht viel, wenn man krank ist. Aber man denkt. Man hat merkwürdige Zustände. Frau Frogg hatte Visionen. In einer dieser Visionen sehe ich meine Heldin. Ich sehe sie vor mir, als wäre sie jemand, die ich kenne. Sie ist gross und etwas schlacksig. Sie hat rotbraunes Haar, einen Pagenschnitt und hat ein seltsam flaches Gesicht. Ihr Gesichtsausdruck ist mal etwas ungeduldig, mal entschlossen. Sie kräuselt gerne die Lippen. Sie trägt ein dunkles Stirnband. Sie trägt eine Tunika mit einem grosszügigen geometrischen Muster in Grün, Okker, weiss und Schwarz. Sie trägt schwarze Leggins. Sie kann sowas tragen. Damit habe ich gar nicht gerechnet. Aber ich weiss, dass sie es ist. Ich habe sie noch nie so klar gesehen.

Und doch... wenn ich es mir recht überlege: Ich glaube, ich werde mir einen freien Raum in meiner Seele behalten. Einen grossen, leeren Würfel. Für mich. Für die schiere Grösse der Welt.

Der Krimi muss warten.
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