19
Nov
2009

Stille Spaziergänge

Eins ist bei mir im Moment so sicher wie Hochnebel Mitte November: Auf einen ohrenmässig guten Tag folgt meist ein schrecklicher. Oder wie Frau Frogg schon vor Jahren über ihr Ohrenleiden, die Meniere'sche Krankheit gesagt hat: "It always gets better before it gets worse."

Zum Beispiel vorgestern: Ich erwachte und hörte beglückt die Heizung in meinem Zimmer. Doch schon nach dem Frühstück verabschiedeten sich sämtliche Zimmergeräusche unter Gedröhn und lauter werdendem Georgel. Mit den Tönen geht jeweils auch meine gute Laune. Sie weicht einem Entsetzen, das mir ins Gesicht geschrieben sein muss, auch wenn ich noch ein normales Gespräch führen kann. Das schliesse ich aus dem besorgten Blick, mit dem mich dann meine Mutter jeweils ansieht.

Trotzdem entschloss ich mich am frühen Nachmittag zu einem Spaziergang. Denn ob ich will oder nicht: Ich lebe weiter, auch wenn ich taub bin. Ich stieg auf einen Hügel über der Stadt. Dort spazierte ich durch ein Wohnquartier mit einer wenig befahrenen Strasse. Es war ein fast unreal sonniger Tag, und es war gespenstisch still. Wenn ein Auto vorbeifuhr, dann klang das, als führe es mit Schneeketten. Motorengeräusche hörte ich keine. Und: Ich konnte die Stadt nicht hören, jenes dunkle Hallen und Brummen, das wie eine Glocke über grösseren Siedlungen liegt und auch auf den ruhigen Vorortshügeln stets an den Betrieb im Tal erinnert.

Auf der anderen Strassenseite redete ein alter Mann mit seinem Hund. Er bewegte den Mund, und ich hätte ihn eigentlich hören müssen. Sein Gesicht war zu einer seltsam beredten, grotesken Fratze verzogen. Mir fiel Goya ein. Nachdem der Meister taub geworden war, malte er solche Bilder:



Plötzlich verstand ich, wie man die Welt so sehen kann. Ich tröstete mich damit, dass diese Gemälde heute als Meisterwerke gelten. Vielleicht bringt ja auch die Frogg mit geschwächtem Gehör eines Tages noch etwas Vernünftiges zu Stande.

Gestern war dann alles ganz anders: Ich hörte den ganzen Tag bestens. Spazieren ging ich schon am Morgen, hinunter zum Göttersee. Diesmal packte ich die Sache ganz anders an: Ich nahm Ohropax mit. Denn ich weiss unterdessen, dass mir der Lärm der Züge, die dort unten im Fünfmiutentakt vorbeidonnern, furchtbar in den Ohren wehtut. Ich ging fast den ganzen Weg mit Ohropax. Es war wunderbar. Stille ist etwas Wunderbares, wenn man sie selber wählt.

Erst spät am Abend nach längerem, leisem Schwindel stürzte das Gehör wieder ab. Heute ist wieder ein schlimmer Tag.

15
Nov
2009

Kämpferisches Bücherorakel

Acqua hat mich auf die Idee gebracht, im Zusammenhang mit meinem labilen Gesundheitszustand wieder einmal das Bücherorakel in Anspruch zu nehmen. (Wie es geht: hier).

Die Frage lautete: Wie werde ich wieder gesund?

Die Antwort: "In diesen Romanen wurde entweder über die jüngste Weimarer Vergangenheit berichtet (Kapp-Putsch bei Marchwitza, Ruhrkämpfe bei Grünberg), oder es wurden über die aktuellen Konflikte in Betrieb (Maschinenfabrik N & K) und Strassenzelle (...) Zeugnis abgelegt oder ein so zentrales soziales und politisches Thema wie der Paragraph 218 in den Mittelpunkt gestellt." (Quelle: J. B. Metzler: DeutscheLiteraturGeschichte, Stuttgart, 1984, S. 334).

Patientin Frogg schreitet zur Exegese und sagt hiermit zu Acqua: "Du hast gestern also Recht gehabt! Ich brauche ein Projekt - zumindest, so lange ich krank geschrieben bin. Danke für gleich zwei gute Ratschläge!"

Nur: Wie soll dieses Projekt aussehen?

Ist es der Krimi? Nun... Der Krimi ist ein ambitiöses Projekt. Ich gebe ihm zu einem Teil die Schuld für den Zusammenbruch meiner Gesundheit. Auf der anderen Seite: Der Gedanke an meine beiden Helden macht mich richtig glücklich. Was machen bloss die liebeskranke Journalistin Marlene Fuchs und der übergewichtige Kunstbuchautor Edi Emmenegger ohne mich?

Oder ist es wieder mal ein Reise-Blog?
Diesmal einer, der meinen kürzlichen viertägigen Trip ins nahe Kantonsspital in der allseits beliebten frogg'schen Form beschreibt?

Oder soll ich doch endlich meine Autobiografie in Blog-Form niederschreiben? ("Neein!" ruft da eine innere Stimme, "Das würde ja aussehen, als stürbest Du bald! Aber soweit ist es doch auf keinen Fall!")

Nun, Ihr seht: Die Frogg ist wieder mal im Dilemma. Gute Ratschläge, Wünsche und Bestellungen sind diesmal willkommen. Morgen Mittag entscheide ich!

14
Nov
2009

Zermürbende Berg- und Talfahrt

Ach, war das ein schöner Tag neulich! Leider folgte gestern eine weitere Talfahrt. Und heute Morgen war ich dann wieder in luftigen Höhen. Ich hörte alles, naja fast alles! Wie wunderbar zart und voller Klänge die Welt doch war!

Die nächste Talfahrt begann um die Mittagszeit.

Während der gestrigen Talfahrt war ich noch einmal im Spital. Der Arzt dort, ein kluger Arzt, hat endlich begriffen: Wenn ich sage, ich sei am Rande eines Nervenzusammenbruchs, dann ist das keine Redensart. Dann ist das schier unerträgliche Realität. Ich kämpfe gegen die Panik, das Zittern, die Erschöfpung mit allem, was ich weiss und habe: mit Atemübungen, mit einem Antidepressivum, mit regelmässigen Spaziergängen, mit der Hilfe meiner ganzen Verwandt- und Bekanntschaft. Und doch halte ich den totalen Kollaps nur knapp auf Armeslänge. Sagen wir, auf Unterarmeslänge. Das ist eigentlich auch nicht überraschend, dauert doch dieser Chilbetrieb in meinem Kopf jetzt doch schon mehr als einen Monat!

Ein längst pensionierter Hausarzt hat einmal gesagt: "Taubwerden ist etwas vom Schwierigsten, was es gibt. Leute, die taub werden, werden fast verrückt. Die leiden während der Ertaubung psychisch viel mehr, als solche, die blind werden." Ich fragte ihn, warum. Er konnte es nicht erklären.

Ich weiss jetzt, warum. Aber ich kann es auch nicht erklären.

Und so bekam ich bekam diesmal vom klugen Ohrenarzt keine Cortison-Spritze, sondern ein Schlafmittel. Damit ich mich ein wenig erholen kann.

Ausserdem sagte er: "Frau Frogg, bleiben Sie gelassen! Denken Sie immer an das, was ich Ihnen jetzt sage: Sie können den Lauf der Dinge nicht aufhalten!"

12
Nov
2009

Zustandsmeldung

Es geht besser als gestern. Erstaunlich viel besser. Der Hörtest am Morgen zeigte rechts ein praktisch normales rechtes Ohr. "Ihnen hat jemand die Hand aufgelegt", sagte Herr Oberarzt.

Damit liegt er nicht ganz falsch. Aber die Geschichte erzähle ich Euch ein andermal!

Im Moment bin ich auf Erholungsurlaub. Ich höre - ganz leise und nicht zu lang - Musik. Zum Beispiel den Song hier - weil die Frau die Stimme eines Engels hat, der einen unbedingt im Diesseits der Hörenden behalten will:

11
Nov
2009

Stille, Dröhnen

Ein neuer Absturz. Da draussen nur Stille und Dröhnen. Ich kann kaum noch Radio hören, kaum noch fernsehen, mit knapper Not telefonieren. Die Ärzte sagen, ich solle mich schonen und wollen es morgen nochmal mit Cortison probieren.

Ich tue mein Bestes.
logo

Journal einer Kussbereiten

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Impressum

LeserInnen seit dem 28. Mai 2007

Technorati-Claim

Archiv

Mai 2025
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
 
 
 
 

Aktuelle Beiträge

Kommentar
Liebe Frau frogg, schauen Sie bitte bei WordPress...
Freni - 28. Nov, 20:21
Ein schreckliches Tal
Soglio im Bergell, Oktober 2013. Was habe ich Freunde...
diefrogg - 6. Okt, 20:27
Liebe Rosenherz
Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
diefrogg - 11. Jan, 15:20
Ja, die selektive Wahrnehmung...
auch positives oder negatives Denken genannt. In den...
diefrogg - 9. Jan, 18:14
liebe frau frogg,
ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
la-mamma - 5. Jan, 14:04

Status

Online seit 7535 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 14. Apr, 12:45

Credits


10 Songs
an der tagblattstrasse
auf reisen
bei freunden
das bin ich
hören
im meniere-land
in den kinos
in den kneipen
in den laeden
in frogg hall
kaputter sozialstaat
kulinarische reisen
luzern, luzern
mein kleiner
offene Briefe
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren