Die tiefste Stelle des Sees
214 Meter tief ist die tiefste Stelle des Vierwaldstättersees. Das Wasser wogte wie ein düsterer Vorhang, als in der Nacht auf den 31. Dezember 1995 ein Schiff auf sie zuhielt. Links und rechts standen finster die 1000 Meter hohen Flanken der Rigi und des Bürgenstocks.
Auf dem Schiff herrschte festliche Stimmung. Wein und Bier flossen in Strömen. Ich kann mich erinnern, ich war dabei und hatte selbst ein paar Gläschen intus.
Dann stellte das Schiff den Motor ab und zwei Männer stiegen aufs Deck. Einer trug ein schweres Metallrohr. Nach einer kurzen Ansprache warf er es in die schwarzen Wellen - auf dass es 214 Meter tief sinke und wenigtens dort unten eine Art Ewigkeit erhalte. Es enthielt die letzte Ausgabe der Luzerner Neuesten Nachrichten, frisch von der Druckmaschine. Das Blatt war wegfusioniert worden. Wie so viele Lokalzeitungen jener Jahre. Wir schauten zu. Ob wir applaudierten, weiss ich nicht mehr.
Ich war 29, und der Job bei den LNN war mein erster, der mir etwas bedeutete. Ich lernte in jener Nacht, wie man eine Welt gepflegt zu Grabe trägt. Für viele war das Ende des Lokalblatts das Ende eines goldenen Zeitalters. Für einige folgten Jahre der Bitterkeit und der Missgunst. Kaum etwas kann die Menschen in unserer friedfertigen Welt so tief entzweien wie ihre Lokalzeitung. Aber jenes Fest war ein fröhliches Fest, gediegen, geradezu zauberhaft.
Das alles ist im Grunde nichts Aussergewöhnliches. Dass ganze Betriebe von der Zeit verschlungen werden, ist in unserer Welt völlig normal - es entstehen jedesmal Lebensbrüche, Stress und ein paar gescheiterte Existenzen. Und doch: Wenn ich sie erzähle, komme ich mir lächerlich vor - wie ein Grossvater, der nicht aufhören kann, vom Aktivdienst zu erzählen. So tief geht die heilende Kraft des Vergessens.
* Dieser Beitrag ist inspirert vom dritten Wort auf *txt - "abgrundtief".
Auf dem Schiff herrschte festliche Stimmung. Wein und Bier flossen in Strömen. Ich kann mich erinnern, ich war dabei und hatte selbst ein paar Gläschen intus.
Dann stellte das Schiff den Motor ab und zwei Männer stiegen aufs Deck. Einer trug ein schweres Metallrohr. Nach einer kurzen Ansprache warf er es in die schwarzen Wellen - auf dass es 214 Meter tief sinke und wenigtens dort unten eine Art Ewigkeit erhalte. Es enthielt die letzte Ausgabe der Luzerner Neuesten Nachrichten, frisch von der Druckmaschine. Das Blatt war wegfusioniert worden. Wie so viele Lokalzeitungen jener Jahre. Wir schauten zu. Ob wir applaudierten, weiss ich nicht mehr.
Ich war 29, und der Job bei den LNN war mein erster, der mir etwas bedeutete. Ich lernte in jener Nacht, wie man eine Welt gepflegt zu Grabe trägt. Für viele war das Ende des Lokalblatts das Ende eines goldenen Zeitalters. Für einige folgten Jahre der Bitterkeit und der Missgunst. Kaum etwas kann die Menschen in unserer friedfertigen Welt so tief entzweien wie ihre Lokalzeitung. Aber jenes Fest war ein fröhliches Fest, gediegen, geradezu zauberhaft.
Das alles ist im Grunde nichts Aussergewöhnliches. Dass ganze Betriebe von der Zeit verschlungen werden, ist in unserer Welt völlig normal - es entstehen jedesmal Lebensbrüche, Stress und ein paar gescheiterte Existenzen. Und doch: Wenn ich sie erzähle, komme ich mir lächerlich vor - wie ein Grossvater, der nicht aufhören kann, vom Aktivdienst zu erzählen. So tief geht die heilende Kraft des Vergessens.
* Dieser Beitrag ist inspirert vom dritten Wort auf *txt - "abgrundtief".
diefrogg - 7. Mär, 15:45
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