3
Feb
2015

Männer fürs Grobe

In der Moderne ist der Schriftsteller - erst recht der Dichter - ein empfindsamer Mensch. Er nimmt die feinsten Erschütterungen der menschlichen Seele wahr und fasst sie in fein ziselierte Sprache.

Ich will nun nicht behaupten, dass Dante (1265–1321) nicht empfindsam wäre. Das ist er auf seine Art sehr wohl, wie wir vielleicht noch sehen werden. Aber ein Sensibelchen ist er nicht. Als er in der Göttlichen Komödie den drei Raubtieren begegnet, weicht er zwar erst einmal aus. Aber schon schaut er dem Geist eines zu Römerzeiten verstorbenen Dichterkollegen ins Gesicht - es ist Vergil. Er fleht den Kollegen um Hilfe an. Vergil rät ihm, es nicht mit den drei Bestien aufzunehmen. Er solle sie statt dessen grossräumig umgehen: mitten durchs Jenseits, sprich: durch die Hölle, das Fegefeuer, den Himmel. Vergil verspricht, dass er Dante führen werde.

Dante zögert keine Sekunde: "Poeta!", spricht er, "Dichter!" - und schon die Anrede lässt ahnen: Er ist bereit, mit dem Kollegen in die tiefsten Abgründe der menschlichen Existenz zu blicken. Wie ein rechter Dichter es eben tun sollte. Und so brechen sie auf, zwei Männer fürs Grobe, zwei Entdecker der menschlichen Seele - Blut, Busen, grässliche Martern und himmlisches Entzücken inklusive. Das waren noch richtige Dichter - Boulevardjournalisten, Vermesser der Welt und grosse Seelen zugleich, bereit zu lebensgefährlichen Abenteuern.


(Dante und Vergil auf der Fähre über den Styx von Eugène Delacroix; Quelle: Wikimedia)

Diesen Anspruch findet man in der Literatur des 20. Jahrhunderts nicht an jeder Strassenecke. Und damit man ihn glaubwürdig enlösen kann, muss man einiges auf dem Kasten haben. Aber es gibt ihn, in neuerer Zeit vielleicht sogar wieder öfter. Neulich habe ich - wie alle bildungsbeflissenen Schweizer - den Koala von Lukas Bärfuss gelesen. Darin beschreibt Bärfuss, wie die Kolonisatoren unter Schweiss, Blut und unerträglichen Strapazen Australien eroberten. Das hatte etwas Danteskes - nur ohne grosse Seelen und ohne himmlisches Entzücken.
logo

Journal einer Kussbereiten

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Impressum

LeserInnen seit dem 28. Mai 2007

Technorati-Claim

Archiv

Februar 2015
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 
 
 
 2 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
21
22
23
24
25
26
27
28
 
 

Aktuelle Beiträge

Kommentar
Liebe Frau frogg, schauen Sie bitte bei WordPress...
Freni - 28. Nov, 20:21
Ein schreckliches Tal
Soglio im Bergell, Oktober 2013. Was habe ich Freunde...
diefrogg - 6. Okt, 20:27
Liebe Rosenherz
Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
diefrogg - 11. Jan, 15:20
Ja, die selektive Wahrnehmung...
auch positives oder negatives Denken genannt. In den...
diefrogg - 9. Jan, 18:14
liebe frau frogg,
ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
la-mamma - 5. Jan, 14:04

Status

Online seit 7364 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 17. Sep, 17:51

Credits


10 Songs
an der tagblattstrasse
auf reisen
bei freunden
das bin ich
hören
im meniere-land
in den kinos
in den kneipen
in den laeden
in frogg hall
kaputter sozialstaat
kulinarische reisen
luzern, luzern
mein kleiner
offene Briefe
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren