Das Verlangen
Seit Tagen versuche ich, mein rebellierendes Gehör wieder zur Ruhe zu bringen. Ich arbeite ein bisschen. Ich gehe spazieren. Ich widme mich meinen Freunden. Ich blogge ein bisschen. Ich sehe fern. Ich putze. Ich lese. Ich versuche, genug zu schlafen und vernünftig zu essen.
Manchmal denke ich an eine Passage, die ich kürzlich in der Autobiografie des Arztes und Alkoholikers Olivier Ameisen gelesen habe. Er schildert seinen Zustand nach seinem x-ten Entzug so: "Unterdessen fühlte ich mich wie ein Schatten meiner selbst. Pflichtgemäss versuchte ich, starke Gefühle zu vermeiden, die meine Stimmung zu sehr heben oder zu tief sinken lassen konnten. Ich litt unter dem, was einer meiner Psychiater später als die 'konformistische Abgestumpftheit' derjenigen bezeichnete, die versuchten, abstinent zu leben, während die zugrunde liegende Verstimmung unbehandelt bleibt."* So ähnlich ging es mir.
Ich hatte ein Gefühl, für das es in meinem Wortschatz keine hochdeutsche Vokabel gibt. Jedenfalls keine, die auch nur annähernd seine Macht umschreibt. Auf Schweizerdeutsch nennen wir es "s'Riisse"**, auf Englisch nennt man es "craving": das das Verlangen des Süchtigen nach seinem Stoff. Ich hatte Verlangen nach meiner Story.
Mit der Zeit merkte ich, dass das nicht nur ein einzelnes Verlangen war. Es war ein ganzes Bündel verschiedener Verlangen - so man denn dieses platte Wort überhaupt in den Plural setzen kann. Am Anfang war da nur ein wachsendes Unbehagen über ein gesellschaftliches Phänomen. "Darüber hat noch niemand geschrieben" dachte ich. "Ich habe ein Thema gefunden", dachte ich. Denn, ja, da war die Sehnsucht, vielleicht, nur vielleicht, doch noch etwas zu schaffen, was Bestand hat. Und da war der Wunsch, über mein kleines Fleckchen Erde hinauszusteigen, und sei es nur in ein selbst erschriebenes Luftschloss.
Und dann war da plötzlich dieser Kitzel, der Welt eine Liebesgeschichte zu erzählen, die ich vor vielen Jahren erlebt habe. Um sie überhaupt erzählen zu können, musste ich sie sogar für mich selbst ins rosige Licht der Fiktion setzen. Damit ich sie nicht auf Anhieb erkannte. Und da war es wieder - das erotische Knistern, das lodernde Verlangen von damals.
Ich glaubte, ich hätte längst mit der Sache abgeschlossen. Sind wir nicht alle einmal jung gewesen und haben an den Käfiggittern des Möglichen gerüttelt?! Ich stand im Badezimmer mit dem Putzlappen in der Hand. Da verblasste das rosige Licht der Fiktion. Vor mir stand, in grelles Neonlicht getaucht, die Wahrheit: Ich will, ich muss, die richtigen Worte finden, um diese alte, so erstaunlich wortlose Story zu einem würdigen Ende zu führen. Einfach so. Für mich allein.
Ich stand da und brach in Tränen aus. Ich weinte so heftig, dass ich für ein paar Minuten zu putzen aufhören musste.
* Olivier Ameisen: Das Ende meiner Sucht, gebundene Ausgabe von 2009, S. 108.
** ungefähr: das Reissen, das Wort stammt, glaube ich, aus der Sprache der Junkys.
Manchmal denke ich an eine Passage, die ich kürzlich in der Autobiografie des Arztes und Alkoholikers Olivier Ameisen gelesen habe. Er schildert seinen Zustand nach seinem x-ten Entzug so: "Unterdessen fühlte ich mich wie ein Schatten meiner selbst. Pflichtgemäss versuchte ich, starke Gefühle zu vermeiden, die meine Stimmung zu sehr heben oder zu tief sinken lassen konnten. Ich litt unter dem, was einer meiner Psychiater später als die 'konformistische Abgestumpftheit' derjenigen bezeichnete, die versuchten, abstinent zu leben, während die zugrunde liegende Verstimmung unbehandelt bleibt."* So ähnlich ging es mir.
Ich hatte ein Gefühl, für das es in meinem Wortschatz keine hochdeutsche Vokabel gibt. Jedenfalls keine, die auch nur annähernd seine Macht umschreibt. Auf Schweizerdeutsch nennen wir es "s'Riisse"**, auf Englisch nennt man es "craving": das das Verlangen des Süchtigen nach seinem Stoff. Ich hatte Verlangen nach meiner Story.
Mit der Zeit merkte ich, dass das nicht nur ein einzelnes Verlangen war. Es war ein ganzes Bündel verschiedener Verlangen - so man denn dieses platte Wort überhaupt in den Plural setzen kann. Am Anfang war da nur ein wachsendes Unbehagen über ein gesellschaftliches Phänomen. "Darüber hat noch niemand geschrieben" dachte ich. "Ich habe ein Thema gefunden", dachte ich. Denn, ja, da war die Sehnsucht, vielleicht, nur vielleicht, doch noch etwas zu schaffen, was Bestand hat. Und da war der Wunsch, über mein kleines Fleckchen Erde hinauszusteigen, und sei es nur in ein selbst erschriebenes Luftschloss.
Und dann war da plötzlich dieser Kitzel, der Welt eine Liebesgeschichte zu erzählen, die ich vor vielen Jahren erlebt habe. Um sie überhaupt erzählen zu können, musste ich sie sogar für mich selbst ins rosige Licht der Fiktion setzen. Damit ich sie nicht auf Anhieb erkannte. Und da war es wieder - das erotische Knistern, das lodernde Verlangen von damals.
Ich glaubte, ich hätte längst mit der Sache abgeschlossen. Sind wir nicht alle einmal jung gewesen und haben an den Käfiggittern des Möglichen gerüttelt?! Ich stand im Badezimmer mit dem Putzlappen in der Hand. Da verblasste das rosige Licht der Fiktion. Vor mir stand, in grelles Neonlicht getaucht, die Wahrheit: Ich will, ich muss, die richtigen Worte finden, um diese alte, so erstaunlich wortlose Story zu einem würdigen Ende zu führen. Einfach so. Für mich allein.
Ich stand da und brach in Tränen aus. Ich weinte so heftig, dass ich für ein paar Minuten zu putzen aufhören musste.
* Olivier Ameisen: Das Ende meiner Sucht, gebundene Ausgabe von 2009, S. 108.
** ungefähr: das Reissen, das Wort stammt, glaube ich, aus der Sprache der Junkys.
diefrogg - 26. Mär, 13:24
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