Die freie Wildbahn
Menschen mit Hörproblemen werden Berufe mit tumultösem Sitzungsbetrieb oder Hintergrundlärm meiden. Sie werden eher nicht Radiofrau, Telefonistin oder Börsenmaklerin. Das ist das Wesen einer Behinderung: Sie hindert einen an gewissen Dingen - manchmal auch daran, seinen Traumberuf auszuüben. Auch ich übe nicht mehr die Tätigkeit aus, in der ich einmal glücklich gewesen bin. "Aber ich habe eine gute Lösung gefunden. Ich bin zufrieden", sagte ich neulich bei einem Treffen von Menschen mit Hörproblemen.
Nun können schwerhörige Menschen ausgezeichnet Gesichtsausdrücke lesen. Denn eine Miene sagt oft mehr als 1000 Worte - allerdings oft auch etwas anderes. Ich nehme an, dass meine sechs Gesprächspartner in meinen verzogenen Mundwinkeln lasen, dass das nur die halbe Wahrheit ist.
"Ich habe Mühe das zu glauben", sagte denn auch Frau Wolf, die im Unterschied zu mir seit ihrer Kindheit schlappohrig ist. Sie selber habe jahrelang damit gehadert, dass sie nie eine Tätigkeit in lauter und hektischer Umgebung habe ausüben können. "Das hätte ich geliebt. Ich habe mich oft gefragt: Wie ist das Leben für jemanden, der gut hört? Wie fühlt es sich an, all diese Möglichkeiten zu haben?" Frau Wolf ist eine lebhafte Person mit einem wachen Verstand. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie in einem betriebsamen Büro mit viel Ein und Aus und schnellen Reaktionszeiten glücklich gewesen wäre.
Neulich sah ich am Fernsehen einen Film über Labormäuse. Bei den bedauernswerten Nagern verändert sich in Gefangenschaft das Gehirn - weshalb sie oft ohne Ende im Kreis herumrennen. Hier sieht man so etwas, so ab Sekunde 16. Den Rest erspart man sich lieber.
"Wissen diese Tierchen, dass sie bedauernswert sind?" fragte ich mich. "Sind sie unglücklich, dass sie nicht in Freiheit leben können? Wissen sie überhaupt, dass es die freie Wildbahn gibt?" Plötzlich erinnerte ich mich an das, was Frau Wolf gesagt hatte. Ich muss gestehen: Ich fühlte mich diesen Mäusen ähnlich.
Nun muss ich mit aller Deutlichkeit sagen: Der Job, den ich heute habe, ist alles andere als ein öder Käfig. Ich mag ihn. Im Vergleich zu allem, was nach den gesundheitlichen Katastrophen des Jahres 2009 in meinem Arbeitsleben hätte passieren können, ist er eine prima Sache. Ich glaube sogar, dass ihn auszüben mein Gehör einigermassen stabil hält.
Es ist mehr der Mangel an Optionen, der mir manchmal das Gefühl gibt, wie eine gefangene Maus im Kreis zu rennen. Und während ich meine Kreise ziehe, nagt etwas an mir: Ich weiss nicht mehr, ob ich überhaupt in freier Wildbahn bestehen würde, wenn ich denn keine chronische Krankheit hätte.
Vielleicht ist es genau das, was auch Frau Wolf verunsicherte - dieses Nichtwissen, ob man den Herausforderungen gewachsen wäre, die die Erfüllung der eigenen Träume an einen stellen würden.
Nun können schwerhörige Menschen ausgezeichnet Gesichtsausdrücke lesen. Denn eine Miene sagt oft mehr als 1000 Worte - allerdings oft auch etwas anderes. Ich nehme an, dass meine sechs Gesprächspartner in meinen verzogenen Mundwinkeln lasen, dass das nur die halbe Wahrheit ist.
"Ich habe Mühe das zu glauben", sagte denn auch Frau Wolf, die im Unterschied zu mir seit ihrer Kindheit schlappohrig ist. Sie selber habe jahrelang damit gehadert, dass sie nie eine Tätigkeit in lauter und hektischer Umgebung habe ausüben können. "Das hätte ich geliebt. Ich habe mich oft gefragt: Wie ist das Leben für jemanden, der gut hört? Wie fühlt es sich an, all diese Möglichkeiten zu haben?" Frau Wolf ist eine lebhafte Person mit einem wachen Verstand. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie in einem betriebsamen Büro mit viel Ein und Aus und schnellen Reaktionszeiten glücklich gewesen wäre.
Neulich sah ich am Fernsehen einen Film über Labormäuse. Bei den bedauernswerten Nagern verändert sich in Gefangenschaft das Gehirn - weshalb sie oft ohne Ende im Kreis herumrennen. Hier sieht man so etwas, so ab Sekunde 16. Den Rest erspart man sich lieber.
"Wissen diese Tierchen, dass sie bedauernswert sind?" fragte ich mich. "Sind sie unglücklich, dass sie nicht in Freiheit leben können? Wissen sie überhaupt, dass es die freie Wildbahn gibt?" Plötzlich erinnerte ich mich an das, was Frau Wolf gesagt hatte. Ich muss gestehen: Ich fühlte mich diesen Mäusen ähnlich.
Nun muss ich mit aller Deutlichkeit sagen: Der Job, den ich heute habe, ist alles andere als ein öder Käfig. Ich mag ihn. Im Vergleich zu allem, was nach den gesundheitlichen Katastrophen des Jahres 2009 in meinem Arbeitsleben hätte passieren können, ist er eine prima Sache. Ich glaube sogar, dass ihn auszüben mein Gehör einigermassen stabil hält.
Es ist mehr der Mangel an Optionen, der mir manchmal das Gefühl gibt, wie eine gefangene Maus im Kreis zu rennen. Und während ich meine Kreise ziehe, nagt etwas an mir: Ich weiss nicht mehr, ob ich überhaupt in freier Wildbahn bestehen würde, wenn ich denn keine chronische Krankheit hätte.
Vielleicht ist es genau das, was auch Frau Wolf verunsicherte - dieses Nichtwissen, ob man den Herausforderungen gewachsen wäre, die die Erfüllung der eigenen Träume an einen stellen würden.
diefrogg - 20. Jan, 18:25
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