5
Jan
2013

Schiesswütiger Invalider

Im hübschen Schweizer Bergdorf Daillon lief diese Woche ein 33-Jähriger Amok.



Nach der Tat in Daillon (Quelle: www.blick.ch)

Der Mann erschoss mit einem Karabiner drei Frauen und verletzte zwei Männer. Die Schweizer Presse machte grosses Aufhebens darum, dass das Mann bei der Invalidenversicherung (IV) eine Rente bezog. Die Boulevard-Zeitung Blick etwa liess gestern die "Stiefmutter" des Täters, Gisèle Zermatten, auf der Front zu Wort kommen: "Die Behörden sind schuld", sagt sie in fetten Lettern. Und weiter: "Florian B. (33) ist IV-Rentner und trinkt zu viel. 'Er bekam Geld fürs Nichtstun. Dabei hätte er problemlos arbeiten können'."

Als Person mit einer chronischen Krankheit damit potenzielle IV-Rentnerin finde ich diese Schlagzeile ungeheuer diskriminierend. Sie behauptet nicht nur, dass die Sozialversicherung Schuld am Amoklauf sei. Sie legt auch bedenklich nahe, dass es sich bei IV-Rentnern im Allgemeinen um faules, kriminelles Pack handle, das nicht mit Versicherungsgeldern durchgefüttert gehöre. Solche Schlagzeilen gestern sind ein Symptom für die hässliche Demontage, die unser reiches Land zurzeit mit einer an sich stolzen sozialen Errungenschaft betreibt.

Nun gut. Frau Zermattens Aussagen sollte man mit Vorsicht geniessen. Als "Stiefmutter" von Florian B. hat sie Interesse daran, Schuldige für den Amoklauf woanders als im nächsten Umfeld des Täters zu finden. Aber vielleicht sollte den Frau Zermattens dieses Landes trotzdem mal jemand erklären: Für die allermeisten Leute ist es ungeheuer demütigend, auf dem Arbeitsmarkt nicht (mehr) zu bestehen. Wenn das Gefühl, nichts nütze zu sein, auch mal in mörderische Wut umschlägt, ist das verwerflich und tragisch. Aber es ist gewiss nicht die Schuld der IV. Und es sagt nichts über andere IV-Rentner aus.

Ob Herr B. seine Rente zu Recht bezog, können wir als Aussenstehende schlicht nicht beurteilen. Es gibt ernste Behinderungen, die Stammtisch-Experten nicht sehen.

Edit 6. Januar: Die Sonntagszeitung lässt heute Bekannte des Täters zu Wort kommen. Ihre Aussagen belegen, dass der Täter seine Rente sehr zu recht bezog, etwa dies: B. habe Halluzinationen gehabt. Und, so ein Freund: "Seine Verwandten wollten, dass er sich zusammenreisst, obwohl bei ihm eine Schizophrenie diagnostiziert worden ist." Offenbar hat die IV sogar versucht, ihn wieder ins Arbeitsleben einzugleidern. Ein Versuch, der für B. in der psychiatrischen Klinik endete. Tatsächlich sind die Eingliederungsversuche der IV - vorsichtig ausgedrückt - nicht über jeden Zweifel erhaben. Sozialhilfe-Experte Walter Schmid fordert in der gleichen Ausgabe: "Wenn jemand aus psychischen Gründen eine IV-Rente bekommt, muss klar festgelegt werden, wer sich um die Person kümmert. Wir müssen verhindern, dass diese Menschen in totaler Isolation vereinsamen. Das kann ein Nährboden für solche Taten sein."

Bedenkenswert.
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