23
Mrz
2012

Behindert und inkompetent?

Für Menschen mit Behinderung gilt in der Schweiz das Motto "Eingliederung statt Rente". So lautet jedenfalls der Leitsatz unserer Invalidenversicherung (IV) - bei einer Volksabstimmung 2007 gutgeheissen, also beim Volk breit akzeptiert. Natürlich heisst das in allererster Linie: "Behinderte sollen arbeiten und nicht dem Staat auf der Tasche liegen." Es könnte auch heissen: "Wir begegnen Menschen mit Behinderung als voll akzeptierten Mitgliedern unserer Gesellschaft."

Heisst es aber nicht. Das zeigt das Beispiel des Appenzeller Schwimmbads Unterrechstein. Dort verwehrt man einer Gruppe von Kindern mit Behinderung den Zutritt. Begründung: Sie stören die anderen Gäste. Wenn die Eingliederungs-Bereitschaft schon in der Freizeit so gering ist - ja, dann kann man sich vorstellen, wie es damit in der Arbeitswelt aussieht.

Als Neo-Schwerhörige mache ich diesbezüglich gerade erste Erfahrungen. Neulich erzählte ich einem bibelfesten und erfolgreichen Kleinunternehmer-Freund, wie ich im Büro eines Tages - typisch für meine Krankheit, aber doch sehr plötzlich - sehr schlecht hörte. Selber ziemlich verdattert sagte ich zu einem Kunden am Telefon: "Sie müssen deutlich sprechen, ich höre nicht gut."

Mein bibelfester Freund schlug die Hände über dem Kopf zusammen und rief: "Das darfst Du doch nie einem Kunden sagen! Nie!"

Denn: Wer nicht gut hört, ist behindert und ergo inkompetent. Glauben seiner Meinung nach die Kunden.

Falls mein Chef hier mitliest, versichere ich: Ich lernte schnell. Unterdessen weiss sogar ich, dass man einem Kunden nie die Wahrheit zumuten darf. Aber es macht mich wütend, denn es führt zu einer zynischen Doppelmoral: Oh ja, wir sind ein Land, das seine Behinderten in die Arbeitswelt eingliedert! Aber sie sollen dabei bitte diskret sein, und sehen wollen wir sie auch nicht.

Ich frage mich, wie die IV so ihre hehren Eingliederungsziele erreichen will.
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