7
Dez
2011

Nach Norden

Schon lange träume ich von einem grossen Marsch nach Norden. Nach Basel. Oder vielleicht sogar bis nach Hamburg oder Rotterdam. Es wird wohl ein Traum bleiben. Aber am Samstag setzte ich wenigstens zur ersten Etappe an. Sie sollte mich von Luzern bis nach Sempach führen.

Sempach war im Mittelalter die Luzern am nächsten liegende Marktstadt. Und in der Schule habe ich gelernt: Marktstädte lagen damals einen Tagesmarsch voneinander entfernt. So brauchten Bauern bis zum nächsten Markt höchstens einen halben Tag.

Ich brach erst um 10.30 Uhr auf. Der heutige Mensch muss ausschlafen und die Zeitung lesen, bevor er sich auf einen Tagesmarsch begibt. Vielleicht würde ich es doch nicht ganz bis nach Sempach schaffen. Doch ich hielt strikt nach Norden, wo immer es ging.

Zuerst war die Reise alles andere als mittelalterlich. Nein. Ich kam mitten ins Herz von Subarbanien: nach Emmenbrücke.

eigental_sempach 007

Aber das fand ich ganz in Ordnung. Ich war Landstreicherin. Ich suchte nicht die Vergangenheit. Ich suchte den Alltag. Und nirgends ist der Alltag so ungeschönt wie in Emmenbrücke. Als ich die Strasse auf dem Bild überquert hatte, sah ich einen richtigen Penner. Ich fürchtete mich ein bisschen vor ihm. Ich habe mich immer vor alkoholisierten Männern mit zerrissenen Kleidern gefürchtet. Mir wurde klar, dass man die Landstreicherei nicht romantisieren darf.

Als ich die Autobahn überquerte, sang ich laut den Refrain Scarborough Fair gegen den Lärm an:

"Are you goin' to Scarborough Fair? Parsley, sage, rosemary, and thyme.
Remember me to one who lives there, she once was a true love of mine."

Der Song soll aus dem tiefen Mittelalter stammen, steht hier. Und ein bisschen Mittelalter konnte ich jetzt schon gebrauchen. Dass man Petersilie, Salbei, Rosmarin und Thymian anno dazumal als Duftgemisch gegen die Pest gebrauchte, las ich allerdings erst später.

Kurz nach 12 Uhr erreichte ich Rothenburg. Der Vorort hat einen mittelalterlichen Kern von geradezu deutscher Behaglichkeit.

eigental_sempach 019

Ich speiste im Restaurant Bären, wo sich altertümliche Gemütlichkeit auch in der Gaststube erhalten hat. Und man isst dort ausgezeichnet. Ich muss sagen: Landstreicherei ist eigentlich nur angenehm, wenn man sich dabei ein warmes Mittagessen, ein Käfeli und ein angemessenes Trinkgeld leisten kann. Jedenfalls in der kalten Jahreszeit.

Als ich wieder nach draussen kam, war es mindestens zehn Grad kälter als vor dem Mittag. Der Blick nach Süden zeigte: Es hatte zum ersten Mal weit heruntergeschneit. Der Winter hielt gerade Einzug. Ich drehte mich um und hielt weiter gen Norden.
logo

Journal einer Kussbereiten

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Impressum

LeserInnen seit dem 28. Mai 2007

Technorati-Claim

Archiv

Dezember 2011
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 1 
 2 
 3 
 6 
 8 
 9 
12
13
14
15
17
19
20
22
23
24
25
27
28
29
30
31
 
 

Aktuelle Beiträge

Kommentar
Liebe Frau frogg, schauen Sie bitte bei WordPress...
Freni - 28. Nov, 20:21
Ein schreckliches Tal
Soglio im Bergell, Oktober 2013. Was habe ich Freunde...
diefrogg - 6. Okt, 20:27
Liebe Rosenherz
Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
diefrogg - 11. Jan, 15:20
Ja, die selektive Wahrnehmung...
auch positives oder negatives Denken genannt. In den...
diefrogg - 9. Jan, 18:14
liebe frau frogg,
ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
la-mamma - 5. Jan, 14:04

Status

Online seit 7366 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 17. Sep, 17:51

Credits


10 Songs
an der tagblattstrasse
auf reisen
bei freunden
das bin ich
hören
im meniere-land
in den kinos
in den kneipen
in den laeden
in frogg hall
kaputter sozialstaat
kulinarische reisen
luzern, luzern
mein kleiner
offene Briefe
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren