19
Aug
2011

Am Tiefpunkt

Eben war ich im Spital. Dort haben sie mir gesagt, ich solle mir keine Sorgen machen. Ich würde auf meinem guten Ohr an der kritischen Stelle noch zehn Dezibel besser hören als damals, als es am schlimmsten war. Halleluja! Ich habe ja Mühe, einer Konversation unter vier Augen zu folgen. Wenn noch ein Auto vorbeifährt, bin ich verloren.

Dann haben sie mich halb krank geschrieben. Ganz krank schreiben können sie mich jetzt nicht mehr. Ich muss sonst um meinen Job fürchten. Und ich will auch arbeiten. Oder soll ich denn den ganzen Tag herumsitzen und dem Dröhnen in meinen Ohren zuhören? Ich bin jetzt wieder hier und blicke den Tatsachen in die Augen: Ich werde taub.

In solchen Momenten fällt mir immer ein Buch von George Orwell ein: Down and Out in Paris and London Er beschreibt darin, wie er im Paris der 30er-Jahre all sein Geld durchbringt, dann auch noch bestohlen wird und sich schliesslich als Küchenhilfe zu einem Hungerlohn verdingen muss.

"Er ist ausgesprochen merkwürdig, Dein erster Kontakt mit der Armut. Du hast so viel über sie nachgedacht. Sie war es, wovor Du Dich Dein ganzes Leben gefürchtet hast. Du hast gewusst, dass sie Dir früher oder später begegnen würde - und sie ist so völlig und prosaisch anders als Du erwartet hast ... Du dachtest, es wäre furchtbar. Aber es ist nur schmutzig und langweilig."

Und weiter unten: "Und da gibt es ein Gefühl, das ein grosser Trost ist in der Armut ... es ist ein Gefühl der Erlösung, fast des Vergügens, Dich endlich echt am Tiefpunkt zu wissen. Du hast so oft gesagt, Du würdest vor die Hunde gehen. Und, tja, hier sind die Hunde. Du bist bei ihnen und Du hältst es aus. Das nimmt Dir eine Menge Angst."

Ich ahne jetzt, was er gemeint hat. Obwohl taub werden eher furchtbar als schmutzig und langweilig ist. Und ich manchmal nicht ganz sicher bin, wie ich es aushalten soll.
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