11
Dez
2010

Sind Tierfilme faschistisch?

Am Abend, bevor ich mein Gehör verlor, sahen Herr T. und ich einen Tier-Dokumentarfilm. Es war eine gute Wahl.Tier-Dokus bieten eine seltsame Art von Trost. Sie zeigen die Natur stets als unbarmherzig, aber gerecht. Wenn ein Tier im Naturfilm eine Schwäche zeigt, ist es tot. Er wird von einem hungrigen Fleischfresser erlegt. Oder es verdurstet oder erfriert. Dann wird es Futter für Aasfresser und Bakterien. Fertig.

Nie stellt sich die Frage, ob ein Tier sein Unglück selber verschuldet. Die Natur ist, wie sie ist. Hart, aber gerecht. Sie gibt dem schwachen Tier den Tod und dem Jäger das Leben. Sie bildet Nahrungsketten und ringt stets um ökologisches Gleichgewicht.

Ich schaute ein paar süssen, jungen Bären und ihrer Mama in den Rocky Mountains beim Überlebenskampf zu. Noch konnte ich den Kommentar hören. Aber ein helles Rauschen leckte an den Rändern der Konsonanten. Der Horror hockte mir in der Magengrube.

Im Tierfilm sind chronische Krankheiten genetische Abnormitäten und führen schnell zum Tod. Wäre ich ein Steinbock mit Meniere'scher Krankheit, so hätte ein Schwindelanfall mich längst eine Felswand hinunter gestürzt. Ich hätte mir ein paar quälende Fragen gar nie stellen müssen. Zum Beispiel: Welchen Sinn hat meine Existenz, wenn ich nicht mehr arbeiten kann? Wer füttert mich dann?

Angesichts eines Tierfilms scheinen solche Fragen völlig belanglos. Wenigstens für eine Stunde.

Menschen funktionieren nicht so. Würde eine menschliche Gemeinschaft so funktionieren wie die Natur in Tier-Dokus, wäre sie faschistisch.

Dennoch ist klar, warum alte Leute Tierfilme lieben. Sie geben dem Sterben Sinn.
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