22
Mrz
2009

Anderson's "Cityboy": Verriss

Bücher über die Finanzkrise boomen zur Zeit. Auch solche, die dem Phänomen literarisch beizukommen versuchen. Ich habe zur Zeit diesen Titel aus Grossbritannien auf dem Nachttisch.

Eben habe ich in dern Sonntagszeitung gelesen, dass das Buch nächste Woche auf Deutsch erscheint. Sofort entschloss ich mich, vor der Lektüre zu warnen. Nicht lesen sollten es all jene, die von einem Buch einen halbwegs differenzierten Einblick in die Tiefe der menschlichen Seele erwarten.

Schon der Untertitel hätte mich warnen müssen: "Beer and Loathing in The Square Mile" legt zwar Anlehnung an ein grosses Vorbild nahe: Fear and Loathing in Las Vegas stammt von Hunter S. Thompson und damit von einem literarischen Schwergewicht. Doch die Anspielung klingt wie eine alkoholselige Verballhornung, und genau diese Erwartung löst der Text auch ein. Geraint Anderson bleibt in seinem Sinnieren fast durchwegs dem Bier (wahlweise auch dem Koks) verhaftet. Er schildert seine Abstürze und die seiner Kollegen mit einer wenig erhellenden Mischung aus moralischer Empörung und pubertärem Stolz: "Boahhh! Ihr glaubt nicht, wie voll ich war!" könnte ein Zitat von Anderson sein. Keine literarisch wertvolle Aussage, wenn Ihr mich fragt.

Überhaupt: Anderson's sprachliche Fähigkeiten bewegen sich auf der Skala irgendwo zwischen "noch witzig" und "vollkommen banal". Es gibt darin Sätze, die ich auf den Mond schiessen könnte, so nichtssagend sind sie. Zum Beispiel (Cityboy über seinen Chef): "I knew David was married and the fact he was willing to introduce me to his mistress made me feel part if his ' inner circle of trust' and that made me feel good'." (S. 27)

Es könnte ja sein, dass Anderson will, dass seine Romanheld so spricht - weil er eben einer dieser Banker-Idioten ist und über sich und die Welt nichts Geistreicheres sagen kann. Aber ich kann mich des Verdachts nicht ganz erwehren: Anderson kann es nicht besser. Er schreibt bekanntlich hier seine eigene Geschichte.

Naja, vielleicht hat die Frogg zu viel erwartet, als sie sich von einem einstigen Analysten eine literarische Reise in die Abgründe der Banker-Seele versprach. Da sollte ich mich vielleicht doch an den Ex-Marketing-Mann Martin Suter halten. Er hat die kleinen Eitelkeiten der Zürcher Business-Leute leichtfüssig und doch brilliant beschrieben. Aber eine halbwegs ernst zu nehmende Erörterung der Frage, was die Banken der Welt in den Abgrund getrieben hat, sollte bei Anderson laut Vorbesprechungen eigentlich drinliegen, dachte sie. Bis jetzt: Fehlanzeige.

Klar: Banker sind zynische Typen und geldgeil. Sie koksen und sie sind ach so versoffen! Haben wir es nicht schon lange gewusst? Klar: Männer unter sich machen gerne sexistischen Witzchen. Wer sich diesbezüglich weiterbilden möchte, wird im Buch übrigens gut bedient. Wahrscheinlich ist es nicht zuletzt deswegen ein Bestseller geworden. Und klar: das Banker- Business kennt zynische Überlebens-Regeln. Doch welches Business kennt die nicht? Das alles macht die Menschen in den schwarzen Anzügen zwar nicht sympathischer. Aber es erklärt nicht das Versagen des ganzen Systems.

Vielleicht lässt es vor allem eine alarmierende Feststellung zu: Wenn Anderson derjenige mit dem menschlich besten Durchblick in dieser Zunft ist, dann Gnade uns Gott.
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