Horror-Thriller für Patientin Frogg
Ja, ja ich weiss: Das Buch sieht überhaupt nicht spannend aus. Es sieht aus wie ein ungeheuer langweiliges Medizinfachbuch. Es ist auch ein Medizinfachbuch. Aber nicht deshalb habe ich mit der Lektüre jahrelang gezögert. Nein. Ich fürchtete mich davor. Ich hatte auch eine Ausrede. "Die drei wichtigsten Dinge über die Krankheit, die ich habe, weiss ich", pflegte die Frogg zu sagen, "Erstens: Niemand weiss, wo sie herkommt. Zweitens: Niemand weiss, wie sie verläuft. Und drittens: Niemand kann sie heilen."
In diesem Falle wäre Wissen nicht einmal Macht. "Also brauche ich gar nicht mehr wissen", sagte die Frogg.
Aber neulich abends habe ich dann doch angefangen, das Buch zu lesen. Mara hat es mir in die Tasche gesteckt. Auch eine Menière-Patientin.
Schon das erste Kapitel fährt mir mehr ein als alle schwarzen, goldgeprägten Anglo-Thriller auf meinem Büchergestell zusammen.
Manches daran fühlt sich tröstlich an. Vertraut. Es ist gut zu wissen, dass andere dasselbe erlebt haben wie ich: "Der typische Drehschwindel tritt in der Regel anfallsweise ... auf. Das kann zu allen Tageszeiten geschehen, auch nachts aus dem tiefen Schlaf heraus." (S.3)
Auch das hier gibt mir so etwas wie einen angenehmen Thrill: "Das japanische Gesundheitsministerium hat den Morbus Meniere 1974 auf die Liste der insgesamt 43 schwer behandelbaren Krankheiten gesetzt." (S.2) Es ist eben doch so, wie mein Hausarzt einmal gesagt hat: "Manchen Patienten gibt es eine narzisstische Befriedigung, an einer kuriosen Krankheit zu leiden." Auf der anderen Seite: Eigentlich würde ich lieber auf beiden Ohren gut hören und nie mehr Angst vor der nächsten Schwindelattacke draussen auf der Strasse zu haben. Ehrlich!
So richtig mulmig wird mir, wenn ich lese, dass Morbus Meniere "zu beidseitiger Taubheit, Unsicherheit und Hilflosigkeit bis hin zur Berufsunfähigkeit führen kann": (S XI)
Und wenn Schaaf verspricht, auf "psychosomatische Aspekte dieses oft Jahre anhaltenden Krankheitsbildes" zu sprechen zu kommen, dann fahre ich das Arsenal meiner Abwehrargumente auf: "Ich habe mich mit meinem Leben arrangiert, und das war schwierig genug. Ich werde alles tun, was mir guttut. Aber wenn mir jemand erklären will, was ich an mir oder meinem Leben ändern soll, dann ist er an der falschen Adresse! Jawoll!!!" sagt die Frogg grimmig.
Zum Glück ist Herr Schaaf bislang vor allem auf die psychosomatischen Folgen andauerner Schwindelanfälle eingegangen: Depressionen, massive Ängste und allgemeine körperliche Verunsicherung. Damit kann ich mittlerweile umgehen. Ich habe gelernt: Ein Meniere-Anfall auf der Strasse ist weniger schlimm als ein Kreislaufzusammenbruch: Wer einen Meniere-Anfall hat, bleibt bei Bewusstsein. Er kann (meistens) kontrollieren wie er fällt und nötigenfalls um Hilfe bitten."
"Nein! Du kannst mir keine Angst machen, Schaaf!" sagt die Frogg. Aber bevor ich das Licht lösche und einschlafe bringe ich das Buch doch noch schnell hinaus in ein anderes Zimmer. Ich will nicht, dass es mich bis in meine Träume verfolgt.
Hemut Schaaf: Morbus Menière; Schwindel - Hörverlust - Tinnitus, eine psychosomatisch orientierte Darstellung; Heidelberg: Springer, 5. Auflage, 2007.
In diesem Falle wäre Wissen nicht einmal Macht. "Also brauche ich gar nicht mehr wissen", sagte die Frogg.
Aber neulich abends habe ich dann doch angefangen, das Buch zu lesen. Mara hat es mir in die Tasche gesteckt. Auch eine Menière-Patientin.
Schon das erste Kapitel fährt mir mehr ein als alle schwarzen, goldgeprägten Anglo-Thriller auf meinem Büchergestell zusammen.
Manches daran fühlt sich tröstlich an. Vertraut. Es ist gut zu wissen, dass andere dasselbe erlebt haben wie ich: "Der typische Drehschwindel tritt in der Regel anfallsweise ... auf. Das kann zu allen Tageszeiten geschehen, auch nachts aus dem tiefen Schlaf heraus." (S.3)
Auch das hier gibt mir so etwas wie einen angenehmen Thrill: "Das japanische Gesundheitsministerium hat den Morbus Meniere 1974 auf die Liste der insgesamt 43 schwer behandelbaren Krankheiten gesetzt." (S.2) Es ist eben doch so, wie mein Hausarzt einmal gesagt hat: "Manchen Patienten gibt es eine narzisstische Befriedigung, an einer kuriosen Krankheit zu leiden." Auf der anderen Seite: Eigentlich würde ich lieber auf beiden Ohren gut hören und nie mehr Angst vor der nächsten Schwindelattacke draussen auf der Strasse zu haben. Ehrlich!
So richtig mulmig wird mir, wenn ich lese, dass Morbus Meniere "zu beidseitiger Taubheit, Unsicherheit und Hilflosigkeit bis hin zur Berufsunfähigkeit führen kann": (S XI)
Und wenn Schaaf verspricht, auf "psychosomatische Aspekte dieses oft Jahre anhaltenden Krankheitsbildes" zu sprechen zu kommen, dann fahre ich das Arsenal meiner Abwehrargumente auf: "Ich habe mich mit meinem Leben arrangiert, und das war schwierig genug. Ich werde alles tun, was mir guttut. Aber wenn mir jemand erklären will, was ich an mir oder meinem Leben ändern soll, dann ist er an der falschen Adresse! Jawoll!!!" sagt die Frogg grimmig.
Zum Glück ist Herr Schaaf bislang vor allem auf die psychosomatischen Folgen andauerner Schwindelanfälle eingegangen: Depressionen, massive Ängste und allgemeine körperliche Verunsicherung. Damit kann ich mittlerweile umgehen. Ich habe gelernt: Ein Meniere-Anfall auf der Strasse ist weniger schlimm als ein Kreislaufzusammenbruch: Wer einen Meniere-Anfall hat, bleibt bei Bewusstsein. Er kann (meistens) kontrollieren wie er fällt und nötigenfalls um Hilfe bitten."
"Nein! Du kannst mir keine Angst machen, Schaaf!" sagt die Frogg. Aber bevor ich das Licht lösche und einschlafe bringe ich das Buch doch noch schnell hinaus in ein anderes Zimmer. Ich will nicht, dass es mich bis in meine Träume verfolgt.
Hemut Schaaf: Morbus Menière; Schwindel - Hörverlust - Tinnitus, eine psychosomatisch orientierte Darstellung; Heidelberg: Springer, 5. Auflage, 2007.
diefrogg - 20. Mär, 12:27
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