Frauenbuch, Männerbuch
Ich glaube, es wird Zeit, dass wir zum Kern unserer Diskussion über Shafak und Werfel kommen, geschätzter Herr Steppenhund. Schon mehrmals haben Sie Ihrem Missfallen darüber Ausdruck verliehen, dass ich hier Leserinnen ein Buch von einer Frau empfehle. Wollen Sie mir unterstellen, dass ich das Standardwerk von Franz Werfel abwerten wollte, nur weil er ein Mann war?
Das war natürlich nicht meine Absicht. Denn als ich Shafak empfahl, wusste ich gar nichts vom "Musa Dagh". Ich wollte auch nicht das Werk über den Völkermord an den Armeniern empfehlen. Vielmehr hatte ich ein Buch entdeckt, das mir gefiel. Und ich wollte es den Richtigen weiter empfehlen, nämlich meinen weiblichen Lesern. Denn eins gilt meines Erachtens: Es gibt tatsächlich Bücher für Männer und Bücher für Frauen. "Der Bastard von Istanbul" ist ganz eindeutig ein Buch für Frauen, weil:
1) Männer kommen darin nur am Rande vor
2) Shafak bedient sich eines Genres, das Frauen mögen: der Screwball Comedy.
Wahrscheinlich hat Shafak dies nicht ohne Kalkül getan. Sie wusste wohl, was jeder weiss, der sich hie und da mit Büchern befasst: Frauen lesen mehr Bücher als Männer. Sie lesen ausserdem mehr Belletristik als Männer. Und: Männer lesen, wenn schon, eher Romane von Männern.
Nehmen wir zum Vergleich Werfels Buch: Es stammt aus dem Jahre 1933 und ist meines Erachtens eindeutig als Männerbuch konzipiert. Das ist auch kein Wunder: Die Öffentlichkeit war damals weit gehend ein Raum für Männer. Und Werfel brauchte öffentliche Anerkennung, um sein Buch zum bildungsbürgerlichen Leser (oder wenigstens zum Käufer) zu bringen. Von dort konnte es ja dann auch gegebenenfalls noch den Weg in die Hände der Bildungsbürgersgattin finden.
Um öffentliche Anerkennung zu bekommen, tat er zwei Dinge: Er gab dem Buch Kunstcharakter. Und er bewies auf Teufel komm raus Überlegenheit in Sachfragen. Nur so konnte er auch die politische Relevanz seines Werkes behaupten. Beides gereicht dem Buch aus der Frogg-Perspektive eher zum Nachteil.
Um zu zeigen, wie er das machte, hier ein Beispiel: "Im Militärpavillon dort bricht in derselben Sekunde eine türkische Militärbande in quinklierende Janitscharenklänge aus." (S. 174 im Fischer-Taschenbuch von 2007).
Schwäche 1: Werfel versteht sich als Expressionist und schöpft lautmalerische Wörter wie "quinkelierend". Damals war der Expressionismus eine nicht mehr ganz avantgardistische Strömung der Kunst. Auf ihm zu bauen, würde ihm die Anerkennung der Literaturkritiker einbringen. Heute wirken solche Wortschöpfungen und anderen expressionisten Stilmittel aber eher gekünstelt.
Schwäche 2: "Oha, Werfel weiss, was Janitscharen sind!" denkt sich der Herr Bildungsbürger und ist beeindruckt. Selber wusste er nicht, was Janitscharen sind? Ich bitte Sie, jeder politisch interessierte Bildungsbürger von anno dazumal wusste das doch! Und wer es nicht wusste: selber schuld! Er konnte es ja verschämt im Konversationslexikon nachschlagen.
Doch die Zeiten und die Öffentlichkeit haben sich geändert. Heute gibt es einen Buchmarkt für gut ausgebildete und intelligente Frauen, die sich gerne ihrer Intelligenz angemessen und ohne bildungsbürgerlichen Firlefanz unterhalten lassen. Verbreitung bekommen die Werke für diese Frauen nicht zuletzt über Blog-zu-Blog-Propaganda.
Das heisst nicht, dass ich Werfel Frauen nicht zur Lektüre empfehlen würde. Im Gegenteil. Frauen können so gut googeln wie Männer. Abgesehen davon fallen die aufgezählten Schwächen insgesamt wenig ins Gewicht.
Aber vielleicht verstehen Sie jetzt, warum ich meinen Leserinnen trotzdem zuerst "Der Bastard von Istanbul" empfohlen habe!
Und Sie, Herr Steppenhund, dürfen es natürlich gerne auch lesen.
Das war natürlich nicht meine Absicht. Denn als ich Shafak empfahl, wusste ich gar nichts vom "Musa Dagh". Ich wollte auch nicht das Werk über den Völkermord an den Armeniern empfehlen. Vielmehr hatte ich ein Buch entdeckt, das mir gefiel. Und ich wollte es den Richtigen weiter empfehlen, nämlich meinen weiblichen Lesern. Denn eins gilt meines Erachtens: Es gibt tatsächlich Bücher für Männer und Bücher für Frauen. "Der Bastard von Istanbul" ist ganz eindeutig ein Buch für Frauen, weil:
1) Männer kommen darin nur am Rande vor
2) Shafak bedient sich eines Genres, das Frauen mögen: der Screwball Comedy.
Wahrscheinlich hat Shafak dies nicht ohne Kalkül getan. Sie wusste wohl, was jeder weiss, der sich hie und da mit Büchern befasst: Frauen lesen mehr Bücher als Männer. Sie lesen ausserdem mehr Belletristik als Männer. Und: Männer lesen, wenn schon, eher Romane von Männern.
Nehmen wir zum Vergleich Werfels Buch: Es stammt aus dem Jahre 1933 und ist meines Erachtens eindeutig als Männerbuch konzipiert. Das ist auch kein Wunder: Die Öffentlichkeit war damals weit gehend ein Raum für Männer. Und Werfel brauchte öffentliche Anerkennung, um sein Buch zum bildungsbürgerlichen Leser (oder wenigstens zum Käufer) zu bringen. Von dort konnte es ja dann auch gegebenenfalls noch den Weg in die Hände der Bildungsbürgersgattin finden.
Um öffentliche Anerkennung zu bekommen, tat er zwei Dinge: Er gab dem Buch Kunstcharakter. Und er bewies auf Teufel komm raus Überlegenheit in Sachfragen. Nur so konnte er auch die politische Relevanz seines Werkes behaupten. Beides gereicht dem Buch aus der Frogg-Perspektive eher zum Nachteil.
Um zu zeigen, wie er das machte, hier ein Beispiel: "Im Militärpavillon dort bricht in derselben Sekunde eine türkische Militärbande in quinklierende Janitscharenklänge aus." (S. 174 im Fischer-Taschenbuch von 2007).
Schwäche 1: Werfel versteht sich als Expressionist und schöpft lautmalerische Wörter wie "quinkelierend". Damals war der Expressionismus eine nicht mehr ganz avantgardistische Strömung der Kunst. Auf ihm zu bauen, würde ihm die Anerkennung der Literaturkritiker einbringen. Heute wirken solche Wortschöpfungen und anderen expressionisten Stilmittel aber eher gekünstelt.
Schwäche 2: "Oha, Werfel weiss, was Janitscharen sind!" denkt sich der Herr Bildungsbürger und ist beeindruckt. Selber wusste er nicht, was Janitscharen sind? Ich bitte Sie, jeder politisch interessierte Bildungsbürger von anno dazumal wusste das doch! Und wer es nicht wusste: selber schuld! Er konnte es ja verschämt im Konversationslexikon nachschlagen.
Doch die Zeiten und die Öffentlichkeit haben sich geändert. Heute gibt es einen Buchmarkt für gut ausgebildete und intelligente Frauen, die sich gerne ihrer Intelligenz angemessen und ohne bildungsbürgerlichen Firlefanz unterhalten lassen. Verbreitung bekommen die Werke für diese Frauen nicht zuletzt über Blog-zu-Blog-Propaganda.
Das heisst nicht, dass ich Werfel Frauen nicht zur Lektüre empfehlen würde. Im Gegenteil. Frauen können so gut googeln wie Männer. Abgesehen davon fallen die aufgezählten Schwächen insgesamt wenig ins Gewicht.
Aber vielleicht verstehen Sie jetzt, warum ich meinen Leserinnen trotzdem zuerst "Der Bastard von Istanbul" empfohlen habe!
Und Sie, Herr Steppenhund, dürfen es natürlich gerne auch lesen.
diefrogg - 15. Dez, 15:20
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