Unheimliche Stimme
Drei Tage nach unserer Ankunft in Kleinasien machten wir Station in diesem wunderschönen und auch sonst höchst bemerkenswerten Städtchen:
(Quelle: http://apcd2004.balikesir.edu.tr)
Es heisst Ayvalık.
Wir nehmen gerade im Garten unserer winzigen Pension in der Altstadt unser türkisches Frühstück zu uns. Da ertönt plötzlich eine Stimme aus dem Lautsprecher. Naja, man ist Stimmen aus dem Lautsprecher gewohnt in der Türkei, alle paar Stunden stimmen hier die Muezzine ihren Gesang an. Aber das hier ist kein Muezzin. Das ist eine Frau, und sie klingt so sachlich und unmelodiös wie bei uns eine Radiosprecherin, wenn sie die Mittagsnachrichten bringt.
Doch warum muss die ganze Stadt hören, was sie sagt? Hat es einen Chemieunfall gegeben? In den Gassen dieser Stadt gibt es viele kleine Werkstätten. Ein merkwürdiger Geruch liegt in der Luft. Möbelpolitur? Olivenöl? Oder etwas Gefährlicheres? Müssen wir uns retten? Nein, dazu ist zu wenig Hektik in der Stimme. Legt vielleicht ein wichtiges Schiff am nahen Hafen ab? Ist ein fahrender Lebensmittelhändler unterwegs?
"What is this?" frage ich unseren Wirt. Er stammelt ein bisschen. Ich weiss zwar, dass er fast kein Englisch spricht. Wir haben in Ayvalık erst mit einem einzigen Menschen gesprochen, der eine unserer Sprachen spricht: mit einem Kellner in einem tollen Fischrestaurant. Der sprach perfekt Deutsch. Ansonsten mussten wir uns in den letzten Tagen mit unserem Minimaltürkisch, mit Händen und Füssen durchschlagen. Aber was sollen wir jetzt tun? Wir wollen doch wissen, was hier vor sich geht.
Dann stammelt unser Wirt nicht mehr, sondern ringt nur noch mit den Händen. Ebenso sein Bruder oder Schwager, der ihn stets begleitet. Auch wir ringen mit den Händen. Plötzlich ist mir das furchtbar peinlich. Sie sind beide jung und geben sich solche Mühe, gastfreundlich zu sein. Ich reise sonst selten in Länder, in denen ich die meistgesprochene Sprache nicht einmal annähernd verstehe. Und jetzt weiss ich, warum. Es ist einfach zu frustrierend.
Schliesslich holt unser Wirt seine Frau. Sie sitzt an einem der hinteren Tische im Garten und spielt mit ihrer kleinen Tochter. Jetzt kommt sie her. Es scheint, dass sie die einzige von den dreien ist, die einen Englischkurs besucht hat. Sie holt ein Wörterbuch. Schliesslich stehen alle drei Erwachsenen und die kleine Tochter um unseren Tisch herum, sie blättert im Wörterbuch und sie sagt: "Someone has died." Dann zeigt sie in die Luft, wo die Stimme herkommt: "Celebration."
Wir bedanken uns und alle beginnen zu lachen. Die Situation ist zu merkwürdig. Auch wenn wir es nicht wirklich geschafft haben, uns zu verständigen, verstehen wir uns danach doch sehr viel besser.
Auf die Stimme im Lautsprecher machen Herr T. und ich uns schliesslich unseren eigenen Reim: Wahrscheinlich haben wir es mit einem Nekrolog zu tun. Aber anstatt ihn in der Zeitung zu bringen, wie das bei uns mancherorts üblich ist, wird er hier halt per Lautsprecher übertragen. Wieso auch nicht?
(Quelle: http://apcd2004.balikesir.edu.tr)
Es heisst Ayvalık.
Wir nehmen gerade im Garten unserer winzigen Pension in der Altstadt unser türkisches Frühstück zu uns. Da ertönt plötzlich eine Stimme aus dem Lautsprecher. Naja, man ist Stimmen aus dem Lautsprecher gewohnt in der Türkei, alle paar Stunden stimmen hier die Muezzine ihren Gesang an. Aber das hier ist kein Muezzin. Das ist eine Frau, und sie klingt so sachlich und unmelodiös wie bei uns eine Radiosprecherin, wenn sie die Mittagsnachrichten bringt.
Doch warum muss die ganze Stadt hören, was sie sagt? Hat es einen Chemieunfall gegeben? In den Gassen dieser Stadt gibt es viele kleine Werkstätten. Ein merkwürdiger Geruch liegt in der Luft. Möbelpolitur? Olivenöl? Oder etwas Gefährlicheres? Müssen wir uns retten? Nein, dazu ist zu wenig Hektik in der Stimme. Legt vielleicht ein wichtiges Schiff am nahen Hafen ab? Ist ein fahrender Lebensmittelhändler unterwegs?
"What is this?" frage ich unseren Wirt. Er stammelt ein bisschen. Ich weiss zwar, dass er fast kein Englisch spricht. Wir haben in Ayvalık erst mit einem einzigen Menschen gesprochen, der eine unserer Sprachen spricht: mit einem Kellner in einem tollen Fischrestaurant. Der sprach perfekt Deutsch. Ansonsten mussten wir uns in den letzten Tagen mit unserem Minimaltürkisch, mit Händen und Füssen durchschlagen. Aber was sollen wir jetzt tun? Wir wollen doch wissen, was hier vor sich geht.
Dann stammelt unser Wirt nicht mehr, sondern ringt nur noch mit den Händen. Ebenso sein Bruder oder Schwager, der ihn stets begleitet. Auch wir ringen mit den Händen. Plötzlich ist mir das furchtbar peinlich. Sie sind beide jung und geben sich solche Mühe, gastfreundlich zu sein. Ich reise sonst selten in Länder, in denen ich die meistgesprochene Sprache nicht einmal annähernd verstehe. Und jetzt weiss ich, warum. Es ist einfach zu frustrierend.
Schliesslich holt unser Wirt seine Frau. Sie sitzt an einem der hinteren Tische im Garten und spielt mit ihrer kleinen Tochter. Jetzt kommt sie her. Es scheint, dass sie die einzige von den dreien ist, die einen Englischkurs besucht hat. Sie holt ein Wörterbuch. Schliesslich stehen alle drei Erwachsenen und die kleine Tochter um unseren Tisch herum, sie blättert im Wörterbuch und sie sagt: "Someone has died." Dann zeigt sie in die Luft, wo die Stimme herkommt: "Celebration."
Wir bedanken uns und alle beginnen zu lachen. Die Situation ist zu merkwürdig. Auch wenn wir es nicht wirklich geschafft haben, uns zu verständigen, verstehen wir uns danach doch sehr viel besser.
Auf die Stimme im Lautsprecher machen Herr T. und ich uns schliesslich unseren eigenen Reim: Wahrscheinlich haben wir es mit einem Nekrolog zu tun. Aber anstatt ihn in der Zeitung zu bringen, wie das bei uns mancherorts üblich ist, wird er hier halt per Lautsprecher übertragen. Wieso auch nicht?
diefrogg - 23. Jul, 18:21
4 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks