16
Jul
2008

Kurdischer Teppichverkäufer

Herr T. steht an der Strassenkreuzung und dreht den Stadtplan von Istanbul in der Hand herum. Wir stehen irgendwo zwischen dem grossen Markt (Kapalı Çarşı) und der blauen Moschee. Mitten im Touristenland. Und doch sind wir schon seit mindestens zwei Minuten von keinem Lederwarenhändler und keinem Wirt, von keinem Teppichhändler, keinem Kioskhalter und keinem Silberschmied mehr angemacht worden. Ich prüfe vorsichtig meine Kleidung. Vielleicht stimmt etwas nicht mit uns. Da fragt jemand*: "Haben Sie sich sich verirrt?"* Ein grossgewachsener Türke in Jeans und T-Shirt steht da.
Frau F., (abwehrend): "Oh nein, nein!"
Der Türke (grinst): "Sie Sie auch ganz sicher, dass Sie sich nicht ein ganz klein wenig verirrt haben?"
Frau F: "Ja, ganz sicher." (Deutet auf Herrn T.) "Er weiss, wo's langgeht."
Herr T. nickt.
Der Türke: "Woher kommen Sie?"
Frau F.: "Aus der Schweiz."
Der Türke: "Oh, aus der Schweiz kenne ich jemanden. Jean Ziegler. Kennen Sie ihn auch?"
Frau F. (freut sich): "Oh ja, den kenne ich." (Und in einem leicht ironischen Tonfall): "Haben Sie mit ihm gesprochen?"
Der Türke (grinst): "Ja, er ist mein Freund. Er besucht mich manchmal. Aber Schweizer halten ihn für einen Spinner, oder?"
Frau F.: "Ja, das stimmt. Aber ich nicht. Ich finde, viele Schweizer haben keine Ahnung, was in der Welt so vor sich geht. Es ist gut, wenn jemand es ab und zu sagt."
Herr T. bringt das Gespräch auf Fussball. Es ist zwei Tage nach dem Spiel der Spiele.
Der Türke: "Ach, wissen Sie... Ich schaue mir keine Fussballspiele an. Ich bin auch nicht für die Türken.Ich bin nämlich Kurde. Ausserdem finde ich das einfach wahnsinnig. Fath Terim verdient 15 Mal mehr als unser Staatspräsident. Finden Sie nicht auch, dass das nicht normal ist?"
Herr T. und Frau F. nicken.
Der Kurde: "Wissen Sie, in diesem Land ist sowieso vieles nicht normal. Vorneherum sieht ja alles nett aus. Aber wenn man hier lebt... ach, übrigens, wollen Sie nicht auf eine Tasse Tee zu mir kommen? Ich habe einen hübschen, kleinen Teppichladen gleich dort drüben."
Frau F. lacht: "Das habe ich mir doch gedacht! Ich habe mich schon gefragt, wo Ihr Laden wohl ist. Nein, tut uns Leid, wir brauchen keinen Teppich."
Der Kurde insistiert. Herr T. wird unsicher.
Frau F.: "Oh, nein, vielen Dank. Aber wir können leider wirklich keinen Teppich gebrauchen. Wir reisen morgen weiter nach Çanakkale."
Der Kurde: "Oh wirklich! Was wollen Sie denn in Çanakkale? Etwa Troja besuchen?"
Herr T. und Frau F. nicken.
Der Kurde: "Oh, in Troja können Sie etwas lernen! Da können Sie lernen, wie hier im Osten betrogen wird. Ich meine, die Sache mit dem Pferd..."
Frau F.: Aber das Pferd haben doch die Griechen gebaut, und die kamen aus dem Westen!
Der Kurde: "Ja, aber die waren zehn Jahre hier in der Gegend gewesen. Die hatten etwas gelernt! Jetzt kommen Sie aber in meinen Laden! Sie müssen ja nichts kaufen!"
Frau F. (augenzwinkernd): "Eben haben Sie doch gesagt, hier wird man ständig betrogen! Nein, nein, es tut mir leid, wir müssen weiter."

Wir verabschieden uns freundlich und gehen. Ich habe mich später mehr als einmal gefragt, ob wir nicht doch hätten mitgehen sollen. Es war eines der spannendsten Gespräche, die ich in der Türkei geführt habe. Vielleicht hätten wir tatsächlich keinen Teppich kaufen müssen.

* Die Konversation spielte sich in ausgesprochen flüssigem Englisch ab.
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