Amerika lieben und hassen
Dass Begeisterung und Ablehnung gegenüber Amerika sich bei Europäern überlagern, scheint kein neues Phänomen zu sein. Simone de Beauvoir schreibt in ihrem Amerika-Tagebuch zum 5. Februar 1947: «Während dieser ersten Woche war ich von meiner Entdeckung New Yorks viel zu entzückt, um mich von der Lektüre der Tagespresse und der Wochenschriften deprimieren zu lassen. Aber heute Vormittag steigen Wut und Furcht ... wieder in mir auf.» Ursache: Kommunistenhetze, der Kalte Krieg. De Beauvoir weiter: «Europa ist jetzt schon ein Schlachtfeld, und jede Intervention ist gestattet. Man spricht von Europa wie von einem kläglichen, aber unfügsamen Vasallen – und besonders Frankreich gilt als ein sehr unfolgsames Kind.»
Ihre Wut konzentriert sich dann auf einen Chefredaktor, den sie in seinem Büro trifft: «Der grosse Direktor schwingt in seinem Drehsessel herum. Von der Höhe seiner eigenen und der amerikanischen Macht im allgemeinen wirft er mir einen ironischen Blick zu: also in Frankreich amüsiert man sich mit dem Existentialismus? ... Seine Verachtung gilt ... der Vermessenheit eines wirtschaftlich armen Landes, das sich herausnimmt, zu denken. Ist es nicht lächerlich, denken zu wollen, wenn man nicht den Vorzug hat, zu den Köpfen einer grossen amerikanischen Zeitung zu zählen – was übrigens vom Denken dispensiert?»
Es ist nicht sonst nicht meine Art, hier so viel zu zitieren. Aber das hier illustriert so schön, was ich die ganze Zeit schon über das Reisen nach Amerika und unsere Wahrnehmung der Welt im allgemeinen sagen will. Ich glaube, dass man beim Reisen nichts Neues entdecken kann. Ich glaube, der Geist eines jeden ist wie ein Haus auf einem Grundstück. Man kann es neu einrichten und neu streichen, ausschmücken und dekorieren. Man kann Möbel im Estrich und im Keller verstecken und wieder herausholen. Aber es bleibt ein Haus auf einem Grundstück, und erstaunlich viel daran ist vorgefertigt.
Zum Beispiel unsere Ideen über Amerika.
Wir Europäer lieben und hassen Amerika ist also ein fremdfabriziertes Möbelstück in meinem Gedankenstübchen. Aber eben habe ich wenigstens durchschaut, wie es funktioniert: Wir lieben und hassen Amerika, weil Amerika mächtig ist. Weil wir alles lieben und hassen, was mächtig ist.
Und dann schwingt in diesem Text von de Beauvoir noch ein anderer Gedanke mit, der zur Möblierung auch meines Gedankenstübchens gehört: Die Amerikaner sind dumm. Die Amerikaner können die Schweiz nicht von Schweden unterscheiden. Und noch weniger Lugano, Locarno und Lausanne. Auf der anderen Seite: Wer von uns kann Armenien und Aserbeidschan so genau auseinanderhalten? Eben. Die Amerikaner müssen sich von uns nicht vorschreiben lassen, was sie wissen und worüber sie nachdenken sollen. Sie sind mächtig.
Bevor ich nach Amerika reise, werde ich also eine Liste von Klischees über Amerika sammeln. Die werde ich dann noch vorlegen, bevor ich fliege.
Ihre Wut konzentriert sich dann auf einen Chefredaktor, den sie in seinem Büro trifft: «Der grosse Direktor schwingt in seinem Drehsessel herum. Von der Höhe seiner eigenen und der amerikanischen Macht im allgemeinen wirft er mir einen ironischen Blick zu: also in Frankreich amüsiert man sich mit dem Existentialismus? ... Seine Verachtung gilt ... der Vermessenheit eines wirtschaftlich armen Landes, das sich herausnimmt, zu denken. Ist es nicht lächerlich, denken zu wollen, wenn man nicht den Vorzug hat, zu den Köpfen einer grossen amerikanischen Zeitung zu zählen – was übrigens vom Denken dispensiert?»
Es ist nicht sonst nicht meine Art, hier so viel zu zitieren. Aber das hier illustriert so schön, was ich die ganze Zeit schon über das Reisen nach Amerika und unsere Wahrnehmung der Welt im allgemeinen sagen will. Ich glaube, dass man beim Reisen nichts Neues entdecken kann. Ich glaube, der Geist eines jeden ist wie ein Haus auf einem Grundstück. Man kann es neu einrichten und neu streichen, ausschmücken und dekorieren. Man kann Möbel im Estrich und im Keller verstecken und wieder herausholen. Aber es bleibt ein Haus auf einem Grundstück, und erstaunlich viel daran ist vorgefertigt.
Zum Beispiel unsere Ideen über Amerika.
Wir Europäer lieben und hassen Amerika ist also ein fremdfabriziertes Möbelstück in meinem Gedankenstübchen. Aber eben habe ich wenigstens durchschaut, wie es funktioniert: Wir lieben und hassen Amerika, weil Amerika mächtig ist. Weil wir alles lieben und hassen, was mächtig ist.
Und dann schwingt in diesem Text von de Beauvoir noch ein anderer Gedanke mit, der zur Möblierung auch meines Gedankenstübchens gehört: Die Amerikaner sind dumm. Die Amerikaner können die Schweiz nicht von Schweden unterscheiden. Und noch weniger Lugano, Locarno und Lausanne. Auf der anderen Seite: Wer von uns kann Armenien und Aserbeidschan so genau auseinanderhalten? Eben. Die Amerikaner müssen sich von uns nicht vorschreiben lassen, was sie wissen und worüber sie nachdenken sollen. Sie sind mächtig.
Bevor ich nach Amerika reise, werde ich also eine Liste von Klischees über Amerika sammeln. Die werde ich dann noch vorlegen, bevor ich fliege.
diefrogg - 1. Jun, 13:09
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