Im mittleren Alter
Ein Mann mittleren Alters befindet sich in einer Lebenskrise. Er irrt - bildlich gesprochen - durch einen finsteren Wald.
Wohl verstanden, wir reden hier von der Lebenskrise eines Mannes. Die spezifisch weiblichen Probleme des Älterwerdens sind anderswo Thema.
Was den Mann in unserer Gesichte plagt, ist - sagen wir mal - nicht so konkret, dafür sehr bildhaft. Zwar sieht er schon die Anhöhe vor sich, die ihm Überblick verspricht. Doch da stellt sich ihm eine Furcht erregende Raubkatze in den Weg. Die Szene fasziniert Künstler seit 700 Jahren. Das Internet ist voll von Bildern davon. Hier der Klassiker von Gustave Doré:
(Quelle: Wikimedia)
Wahrscheinlich fällt jetzt bei vielen der Groschen: Ja, was ich hier erzähle, ist der Anfang von Dantes Göttlicher Komödie*.
Warum ich hier diese Geschichte nacherzähle? Nun, eigentlich wegen Herrn Jossele (bei dem ich mich hiermit abwesenderweise bedanke). Als ich Ende 2013 in Krisenstimmung war, hat Herr Jossele mir einmal geschrieben, so ab einem gewissen Alter müsse man drüber nachdenken, was denn im Leben noch gelebt werden wolle.
Ich weiss nicht mehr, woher es kam, aber ich war drauf und dran zu antworten: "Ich möchte noch Dantes Göttliche Komödie lesen."
Dante Alighieri, Quelle biografieonline.it
Ich kannte das Buch nur aus unzähligen Fussnoten meines Literaturstudiums. Ich ahnte nicht, dass Herr Dante mich - wie als Antwort auf meine eigene Krisenstimmung - auf eine umfassende Forschungsreise durch den gesamten geistigen Kosmos des Hochmittelalters mitnehmen würde. Ich lese wie gebannt.
Nur: Worin bestand die Krise des Mannes mit dem Sinne für stilvolle Hutmode eigentlich? Nun, nebst der gefleckten Katze bedrängten ihn eine bissige Wölfin und ein Löwe - was die drei Bestien darstellen, darüber streiten die Kommentatoren trefflich - Ich habe mich schliesslich für diese Deutung entschieden: Sie stehen für die verbotene Lust, die Gewalt und die Habgier.
*Dante Alighieri: "La Comedia ; Die Göttliche Komödie ; Band I Inferno / Hölle" ; Stuttgart, PhilippReclam jun., 2010 (Übersetzung und - zuweilen geradezu launiger - Kommentar von Hartmut Köhler)
Wohl verstanden, wir reden hier von der Lebenskrise eines Mannes. Die spezifisch weiblichen Probleme des Älterwerdens sind anderswo Thema.
Was den Mann in unserer Gesichte plagt, ist - sagen wir mal - nicht so konkret, dafür sehr bildhaft. Zwar sieht er schon die Anhöhe vor sich, die ihm Überblick verspricht. Doch da stellt sich ihm eine Furcht erregende Raubkatze in den Weg. Die Szene fasziniert Künstler seit 700 Jahren. Das Internet ist voll von Bildern davon. Hier der Klassiker von Gustave Doré:
(Quelle: Wikimedia)
Wahrscheinlich fällt jetzt bei vielen der Groschen: Ja, was ich hier erzähle, ist der Anfang von Dantes Göttlicher Komödie*.
Warum ich hier diese Geschichte nacherzähle? Nun, eigentlich wegen Herrn Jossele (bei dem ich mich hiermit abwesenderweise bedanke). Als ich Ende 2013 in Krisenstimmung war, hat Herr Jossele mir einmal geschrieben, so ab einem gewissen Alter müsse man drüber nachdenken, was denn im Leben noch gelebt werden wolle.
Ich weiss nicht mehr, woher es kam, aber ich war drauf und dran zu antworten: "Ich möchte noch Dantes Göttliche Komödie lesen."
Dante Alighieri, Quelle biografieonline.it
Ich kannte das Buch nur aus unzähligen Fussnoten meines Literaturstudiums. Ich ahnte nicht, dass Herr Dante mich - wie als Antwort auf meine eigene Krisenstimmung - auf eine umfassende Forschungsreise durch den gesamten geistigen Kosmos des Hochmittelalters mitnehmen würde. Ich lese wie gebannt.
Nur: Worin bestand die Krise des Mannes mit dem Sinne für stilvolle Hutmode eigentlich? Nun, nebst der gefleckten Katze bedrängten ihn eine bissige Wölfin und ein Löwe - was die drei Bestien darstellen, darüber streiten die Kommentatoren trefflich - Ich habe mich schliesslich für diese Deutung entschieden: Sie stehen für die verbotene Lust, die Gewalt und die Habgier.
*Dante Alighieri: "La Comedia ; Die Göttliche Komödie ; Band I Inferno / Hölle" ; Stuttgart, PhilippReclam jun., 2010 (Übersetzung und - zuweilen geradezu launiger - Kommentar von Hartmut Köhler)
diefrogg - 1. Feb, 16:41
4 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
Teufels Advokatin - 1. Feb, 19:37
Wollen Sie damit...
sagen, dass Frauen im mittleren Alter nicht von reissenden Bestien bedroht werden? Oder sind es andere reissende Bestien?
diefrogg - 1. Feb, 20:42
Gute Frage...
Etwas plakativ könnte man es wohl so sagen: Die Krise von Dantes Erzähler war eine Krise der Macht - es muss sich um einen Mann gehandelt haben, der wortwörtlich mitten im Leben stand. Ich würde sagen, er fürchtete, seine Macht zu missbrauchen - oder ihrer beraubt zu werden (was ja passiert war. Dante verlor seine hohe Stellung in Florenz und irrte in der Verbannung herum - erst jetzt entstand das Werk).
Frauen im mittleren Alter fürchten - ich sage jetzt bewusst "in der Tendenz" - wohl eher die Krise der Ohnmacht. Ihre reissenden Bestien sind drei schwarze Vögel: Die Isolation, die Armut, der Verlust.
Aber egal, was man fürchtet - seine eigenen Wertvorstellungen einer so gründlichen Besichtigung zu unterziehen, wie Dante dies tut, ist gewiss ein ehrgeiziges Unterfangen. Aber wahrscheinlich nicht falsch.
Frauen im mittleren Alter fürchten - ich sage jetzt bewusst "in der Tendenz" - wohl eher die Krise der Ohnmacht. Ihre reissenden Bestien sind drei schwarze Vögel: Die Isolation, die Armut, der Verlust.
Aber egal, was man fürchtet - seine eigenen Wertvorstellungen einer so gründlichen Besichtigung zu unterziehen, wie Dante dies tut, ist gewiss ein ehrgeiziges Unterfangen. Aber wahrscheinlich nicht falsch.
steppenhund - 1. Feb, 22:35
Dante ...
Es gibt verschiedene Arten, mit der Göttlichen Komödie umzugehen.
Eine, die mir sehr großen Eindruck gemacht hat, war die Komposition von Franz Liszt, DANTE SONATA BY FRANZ LISZT - APRÈS UNE LECTURE DU DANTE - FANTASIE QUASI SONATA,
Ich stelle den Link hier herein, obwohl Sie leider wahrscheinlich nicht unbedingt großen Genuss davon haben können.
https://www.youtube.com/watch?v=yMQW35synaA
Ich habe dann begonnen, den Liszt zu üben, habe aber aufgehört, weil mir mein Flügel leid getan hat. Vielleicht gehe ich das noch einmal an.
Was mich aber fasziniert hat, war die Information, dass die italienische Sprache auf Dante zurückgeht.
Wenn mich jemand fragte, was ich noch unbedingt in meinem Leben machen möchte, hätte ich vielleicht andere Wünsche. Das, was ich machen möchte, werde ich hoffentlich auch tun.
Eine, die mir sehr großen Eindruck gemacht hat, war die Komposition von Franz Liszt, DANTE SONATA BY FRANZ LISZT - APRÈS UNE LECTURE DU DANTE - FANTASIE QUASI SONATA,
Ich stelle den Link hier herein, obwohl Sie leider wahrscheinlich nicht unbedingt großen Genuss davon haben können.
https://www.youtube.com/watch?v=yMQW35synaA
Ich habe dann begonnen, den Liszt zu üben, habe aber aufgehört, weil mir mein Flügel leid getan hat. Vielleicht gehe ich das noch einmal an.
Was mich aber fasziniert hat, war die Information, dass die italienische Sprache auf Dante zurückgeht.
Wenn mich jemand fragte, was ich noch unbedingt in meinem Leben machen möchte, hätte ich vielleicht andere Wünsche. Das, was ich machen möchte, werde ich hoffentlich auch tun.
diefrogg - 2. Feb, 12:56
Jaja, was man noch...
im Leben machen möchte! Es schien mir damals auch etwas merkwürdig zu sagen: "Ich möchte noch 'Dantes Göttliche Komödie' lesen." Das klingt nach Liste, auf der man Häkchen machen muss ("gelesen, jawoll"). Solche Listen widerstreben mir, was immer sie betreffen. Die Aufgabe, Dante zu lesen, ist eigentlich auch mehr als eine Art pars pro toto zu verstehen: Ich habe damals während meines Studiums viel Literatur verpasst. Ich hatte wenig Zeit zu lesen, aber viel Zeit zum Feiern (rückblickend scheint mir diese Prioritätensetzung das einzig richtige, da ich heute meine grösste Mühe mit dem Feiern habe). Aber ich habe jetzt - mit Lebenserfahrung, die mir das Lesen bereichert - Zeit, ein Teil des damals Verpassten nachzuholen. Gut, ich könnte auch mit dem "Kapital" von Karl Marx beginnen. Oder mit dem Neuen Testament oder so.
Aber Dante ist eigentlich ganz sinnig: Er findet aus einer Lebenskrise zu einer umfassenden Besichtigung seiner Welt und ihrer Moral. Das ist ein kühnes Projekt.
Das Italienische finde ich bei Dante ziemlich schwierig. Es liest sich denn doch nicht wie La Repubblica oder so. Aber die Ähnlichkeiten zum modernen Italienisch sind unverkennbar und die Sprache wirklich sehr klangvoll.
Liszt: Nein, den schenke ich mir tatsächlich. Das ist zurzeit nichts für mich.
Natürlich habe ich auch noch ein anderes Projekt (das auch kühn ist). Aber ich habe aufgehört, darüber zu bloggen.
Ihnen wünsche ich, dass Sie Zeit haben, zu tun, was Sie noch möchten.
Aber Dante ist eigentlich ganz sinnig: Er findet aus einer Lebenskrise zu einer umfassenden Besichtigung seiner Welt und ihrer Moral. Das ist ein kühnes Projekt.
Das Italienische finde ich bei Dante ziemlich schwierig. Es liest sich denn doch nicht wie La Repubblica oder so. Aber die Ähnlichkeiten zum modernen Italienisch sind unverkennbar und die Sprache wirklich sehr klangvoll.
Liszt: Nein, den schenke ich mir tatsächlich. Das ist zurzeit nichts für mich.
Natürlich habe ich auch noch ein anderes Projekt (das auch kühn ist). Aber ich habe aufgehört, darüber zu bloggen.
Ihnen wünsche ich, dass Sie Zeit haben, zu tun, was Sie noch möchten.
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