30
Okt
2016

Besoffen

Normalerweise rettet mich Herr T. Wenn ich nicht mehr allein gehen kann, rufe ich ihn an. Dann holt er mich ab. Aber Herr T. ist auf Reisen. Ich muss mich diesmal selber retten. Herr Menière hat mir eben von hinten einen Stoss verpasst. Ich schaffte es, gegen das Mäuerchen am Wegrand zu torkeln. So bin ich wenigstens nicht der Länge nach auf den Asphalt geknallt. Ich stehe, aber vor mir dreht sich alles. Eine Drop Attack - auch Tumarkin-Anfall genannt.

Weit und breit keine Busstation, nicht einmal eine Strasse, sonst könnte ich's mit einem Taxi versuchen. Ich schlucke ein Motilium gegen den Brechreiz und kämpfe mich den Hügel hoch, heimwärts, hangle mich von Mäuerchen zu Lattenzaun zu Treppengeländer. Wenn Leute kommen, bleibe ich diskret stehen. Ich will nicht, dass sie denken, ich hätte 2,4 Promille intus.

Ich schaffe es auf den Hügel hinauf, aber ich muss auch noch auf der anderen Seite hinunter. Und hinunter ist schwierig. Hinunter fühlt sich an wie freier Fall. Als drei Personen kommen, weiss ich: Ich muss jemanden um Hilfe bitten. Es sind zwei ältere Damen und ein junger Freak mit gedrehten Locken und einem Hund.

Ich wähle den Freak - die alten Damen sehen mir zu proper aus, propere Leute betrachten eine Krankheit oft als moralisches Versagen. Ausserdem ist schwer einzuschätzen, wie gut sie selber zu Fuss sind. Der junge Mann aber sieht schon von hinten aus, als ob er wüsste: Der Mensch ist manchmal Kräften ausgesetzt, für die er nichts kann. Ich rufe nach ihm.

Er reagiert sofort und lässt mich seinen Arm nehmen. Das reicht schon. Jetzt kann es abwärts gehen.

Mein Gott, wie er nach Alkohol riecht!

Aber er erweist sich als genau das, was ich gebraucht habe: Standfest und kein bisschen neugierig. Er macht ein paar Witzchen und erzählt, wie er sich bei einem Sturz über ein Mäuerchen die Fussknochen zersplittert hat - und dass diese Art Schwindel kennt. Er hätte die Kurve auch schon nicht gekriegt.

Er führt mich noch schnell vor meine Haustür, obwohl das gar nicht an seinem Weg liegt und ihm sein Fuss wehtut.

Vor meiner Haustür schüttle ich ihm dankend die Hand und schaue ihm zum ersten Mal in die Augen. "Kann ich etwas für Sie tun?" frage ich und denke: Gleich wird er mich um Geld bitten. Aber er schaut mich nur an und schüttelt den Kopf. Er hat etwas merkwürdig Totes in den Augen.

27
Okt
2016

Selbstverständlich

Beim Einkaufen im Coop muss ich mich mal kurz an dem Gestell mit den Duschgel-Aktionen festhalten. Mein Gleichgewichtssin spinnt wieder. Nur wenn ich mich irgendwo festhalten kann, fühle ich mich sicher. Ich versuche, nicht aufzufallen. Ich beobachte die Kundinnen, die an mir vorbeihasten. Wie sicher sie die Kurven nehmen! Mit welch tänzerischer Leichtigkeit sie sich drehen und wenden! Beneidenswert. Sie sehen dabei ein bisschen arrogant aus, finde ich. Wie Töchter aus gutem Hause, die Gewissheit haben, dass die Dinge ihnen ganz selbstverständlich zustehen.

26
Okt
2016

Ein kleines Wunder

Ich muss auch mal das Positive erwähnen: Gestern Abend hielt ich ein 40-minütiges Referat, mit zittrigen Händen zwar, aber schwindelfrei, vierzig Minuten lang - es war ein kleines Wunder. Zurzeit traue ich mich vor lauter Schwindel kaum noch aus dem Haus. Herr Meniere, dieser galvanische Teufel, hatte mich unter seiner Knute.

Angesichts meiner gesundheitlichen Lage war ich drauf und dran, das Referat gestern Abend sausen zu lassen. Aber dann bin ich doch hingegangen und habe über die Freiheit in der zeitgenössischen Literatur gesprochen, vor zwanzig wachen, erwachsenen Zuhörern. Eine ambitionierte Sache und eine gute Entschuldigung, seit der Einladung im vergangenen Mai meterweise Romane zu verschlingen - zum Beispiel jene vier Wälzer der mysteriösen Italienerin Elena Ferrante, die zum Teil auf Deutsch gar noch nicht vorliegen. Aber jetzt bin ich wieder da und habe wirklich Lust zu schreiben. Ich werde das Rätsel um den merkwürdigen Blogbeitrag Enttarnt lösen. Und ich habe ein paar spektakuläre Schwindelgeschichten. Und irgendwann werde ich wohl nicht umhin kommen, danach zu fragen, warum ich eigentlich noch - oder wieder - blogge.

19
Okt
2016

Enttarnt

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24
Aug
2016

Heiraten ist unterbewertet

Die traditionelle Liebesgeschichte endet mit mindestens einer Hochzeit. Liebesroman-Muffel betonen gerne, wie unsinnig das sei: "Nach der Heirat fangen die Probleme doch erst an", sagen sie. Eben. Gerade deshalb finde ich es wichtig, das Drama des Sich-Kennenlernens mit einem Freudenfest ausklingen zu lassen. Eheprobleme sind dann Thema einer neuen Geschichte.

Im wirklichen Leben ist es ja manchmal doch etwas anders. Ich kann das jetzt beurteilen. Ich habe vor ein paar Tagen geheiratet. Ich bin 51, lebte mit meinem Mann mehr als 15 Jahre lang im Konkubinat - die Probleme kennen wir, einfach ohne Ehe. Ich habe mich also sehenden Auges ins Abenteuer gestürzt. Er sich auch. Zuerst neigte ich noch ängstlich dazu, die bevorstehende Trauung möglichst nüchtern zu betrachten. Doch am Grossen Tag war es plötzlich ganz wunderbar zu wissen, dass der Mann sich für mich entschieden hat - obwohl er weiss, was für ein Reibeisen ich sein kann, und wie kränklich ich bin. Ich war so glücklich wie selten. Er, sonst ein wenig zum Granteltum neigend, strahlte mit mir um die Wette.

Kam noch dazu, dass drei wunderbare Frauen mit halfen, mich so richtig zur Prinzessin herauszuputzen. Ich liess mich sogar schminken, und zwar richtig. Ich sage das jetzt einfach mal so: Ich sah blendend aus. Und ich muss sagen: Mit Hilfe einer gewiss mehrere Millimeter dicken Schutzschicht aus Make-up kann man auch leichter über die sonst recht schmerzlichen Unzulänglichkeiten einiger Verwandter hinweglächeln.

Und danach war es nicht einfach vorüber. Nein. Wenn der Mann und ich jetzt Reibereien habe, sage ich schon mal zu ihm: "Du hast mich nicht geheiratet, damit du mich jetzt so anpfurren kannst." Oder ich denke: "Ich muss schon auch meinen Beitrag leisten, damit diese Ehe gelingt." Ich hoffe, dass ich das nicht mehr vergesse. Dann ist das Fest viel mehr wert als ich geglaubt hatte.
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Journal einer Kussbereiten

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