Im Spital
Vor einem Jahr war ich im Spital. Es ist nicht eine Zeit, an die ich mich gern erinnere. Und doch: Der letzte Herbst hat mein Leben so radikal verändert, dass diese Tage erinnert sein wollen. Schon seit September habe ich düstere Déjà-vus. Ich sitze mittags mit meinen Kollegen in der Cafeteria. Draussen wirft die Sonne hartes, blaues Licht auf die Strasse. Und plötzlich erinnere ich mich an jenen Tag vor einem Jahr, als ich am selben Platz sass. Die Sonne schien genau gleich und dann füllte das Dröhnen meine Ohren und ich konnte meine Kollegen nicht mehr reden hören. Mir wird ganz eng im Hals, wenn ich daran denke.
Dennoch spiele ich die Erinnerung immer wieder durch. Etwas in mir will so erreichen, dass ich weniger entsetzt sein werde, wenn es das nächste Mal passiert. Aber bin nicht sicher, ob das geht.
Dennoch spiele ich die Erinnerung immer wieder durch. Etwas in mir will so erreichen, dass ich weniger entsetzt sein werde, wenn es das nächste Mal passiert. Aber bin nicht sicher, ob das geht.
diefrogg - 2. Nov, 21:11
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Täuschblume - 3. Nov, 09:49
Oh ja, ich erinnere mich auch gut an diese Zeit.
Ich würde das nicht zu häufig tun. Gerade wegen den flash backs, den déja vus, den Erinnerungen.
Ich würde sie nicht aufsuchen. Wenn sie von selber kommen, dann ist es schon okay.
Natürlich verstehe ich, dass Jahrestage es in sich haben, sehr gut sogar.
Ich würde das nicht zu häufig tun. Gerade wegen den flash backs, den déja vus, den Erinnerungen.
Ich würde sie nicht aufsuchen. Wenn sie von selber kommen, dann ist es schon okay.
Natürlich verstehe ich, dass Jahrestage es in sich haben, sehr gut sogar.
rosawer - 3. Nov, 14:43
Immer wieder denke ich, dass es darum geht, eine Sprache und damit einen gemeinsamen Erfahrungshorizont für diese Krankheit aufzubauen, zu erkämpfen, zu erklären. Und damit die Krankheit bei aller ihrer Unberechenbarkeit irgendwie in den Griff zu bekommen. Denn das Problem ist ja, dass sie selbt für Deine nächste Umgebung ja nur mittelbar zu erfahren ist: In Deinen Reaktionen auf etwas. Die eigentliche Erfahrung ist auf Dich selber beschränk. Und erst wenn etwas durch Deine Worte, Deine Sprache und einen gemeinsamen Erfahrungshorizont sozialisiert ist, wenn man bestimmte Routinen und Prozedere für den Umgang damit gefunden hat, dann wird die Krankheit in einem bestimmten Sinn berechenbar. So lese ich auch Deinen Blogbeitrag heute: Als Versuch der Gewöhnung an das Kommende durch Erinnern. Aus der Vergangenheit lernen, sozusagen.
Ich habe mal in einem ganz alten Blogbeitrag hier von jemandem gelesen, die geschrieben hat, dass für sie erst da Ruhe einkehrte, als sie völlig ertaubt war. Das leuchtet mir ein: Dann ist ein Zustand erreicht, für den wir in unserer Gesellschaft einen Umgang haben, wir haben ein Wissen darüber, wie man mit jemandem "redet", der oder die taub ist. Dabei geht es nicht darum, ob dieser Umgang aus Sicht der Ertaubten gut ist, oder zulänglich, oder ungeeignet; ich nehme natürlich an, dass das nicht notwendigerweise der Fall ist. Aber das ist für meine Argumentation hier ein Nebenschauplatz. Sondern für mich ist wesentlich, dass wir für fast alle Situationen fast immer mehr oder weniger standardisierte Handlungsoptionen (Routinen) zur Verfügung haben, die wir einsetzen können. Das ist eine Sorte Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält, aber uns als Individuen auch in der Gesellschaft hält.
Das ist der Trost, den ich Dir anbieten kann: Deine Situation ist wenn nicht durch Erfahrung, so doch durch (soziologische) Analyse zugänglich: Ich habe bestimmte standardiserte Verfahren, mit denen ich mir Deine Erfahrung aneignen kann. Damit ist Deine Erfahrung und Deine Person eben doch Teil unserer Gesellschaft, mit dem uns zur Verfügung stehenden Kitt anklebbar. Denn selbst wenn wir diesen Kitt nicht (immer) wollen, sind wir trotzdem darauf angewiesen. Was Dein Kampf um Deine Existenz (in jedem Sinn) ja deutlich zeigt.
Ich wünsche Dir einen Jahrestag, an dem Du aus der Vergangenheit für die Zukunft was mitnehmen kannst.
Ich habe mal in einem ganz alten Blogbeitrag hier von jemandem gelesen, die geschrieben hat, dass für sie erst da Ruhe einkehrte, als sie völlig ertaubt war. Das leuchtet mir ein: Dann ist ein Zustand erreicht, für den wir in unserer Gesellschaft einen Umgang haben, wir haben ein Wissen darüber, wie man mit jemandem "redet", der oder die taub ist. Dabei geht es nicht darum, ob dieser Umgang aus Sicht der Ertaubten gut ist, oder zulänglich, oder ungeeignet; ich nehme natürlich an, dass das nicht notwendigerweise der Fall ist. Aber das ist für meine Argumentation hier ein Nebenschauplatz. Sondern für mich ist wesentlich, dass wir für fast alle Situationen fast immer mehr oder weniger standardisierte Handlungsoptionen (Routinen) zur Verfügung haben, die wir einsetzen können. Das ist eine Sorte Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält, aber uns als Individuen auch in der Gesellschaft hält.
Das ist der Trost, den ich Dir anbieten kann: Deine Situation ist wenn nicht durch Erfahrung, so doch durch (soziologische) Analyse zugänglich: Ich habe bestimmte standardiserte Verfahren, mit denen ich mir Deine Erfahrung aneignen kann. Damit ist Deine Erfahrung und Deine Person eben doch Teil unserer Gesellschaft, mit dem uns zur Verfügung stehenden Kitt anklebbar. Denn selbst wenn wir diesen Kitt nicht (immer) wollen, sind wir trotzdem darauf angewiesen. Was Dein Kampf um Deine Existenz (in jedem Sinn) ja deutlich zeigt.
Ich wünsche Dir einen Jahrestag, an dem Du aus der Vergangenheit für die Zukunft was mitnehmen kannst.
diefrogg - 3. Nov, 22:05
Danke, rosawer!
Das ist ein guter Wunsch. Die Vorstellung, dass der Prozess des Ertaubens ein Übergang ist, ist tatsächlich recht verbreitet. Es gibt da dieses Buch einer ertaubten Verlagsfrau namens Hannah Merker. Es heisst "Listening". Frau Täuschblume hat mich verdankenswerterweise darauf aufmerksam gemacht. Auch Merker beschreibt die Phase der Ertaubung als Übergang. Insofern gebe ich Dir recht, und ich habe auch das Gefühl, mich in einer Art Wartehaltung zu befinden. Gleichzeitig will ich aber alles in meiner Macht Stehende tun, um hörend zu bleiben.
Neulich telefonierte ich mit einem Freund, der seit Jahren in Deutschland lebt. Ich sagte ihm, dass ich ungern reise, weil ich fürchte, unterwegs einen Hörsturz zu haben - ja, mit dem Reisen einen Hörsturz heraufzubeschwören. Das ist irrational, ich weiss. Aber anyway. Er sagte, er würde eher reisen und taub werden als zu Hause bleiben und hören. Aber für mich war der Fall klar. So lang ich hören kann, sitze ich hier und höre Musik. Vielleicht mag ich ja dann wieder reisen, wenn ich taub bin. Die Frage ist dann bloss: Wie rede ich mit den Leuten? Wer ein bisschen bei notquitelikebeethoven liest, bekommt den Eindruck, dass das nicht so einfach ist, wie man es sich vorstellt. Auch wenn man sich vorstellt, dass man es weiss. Aber Du hast da vielleicht mehr Erfahrung als ich.
In diesem Zusammenhang erinnere ich mich auch an den Kommentar von Pia Butzky. Ich habe ihn damals ausgedruckt und in mein Tagebuch geklebt. Ein wichtiger Punkt darin war das Cochlea-Implantat, ihr künstliches Ohr.
Aber um eine Sprache für all das zu ringen, empfinde ich wenigstens als lohnende Herausforderung.
Neulich telefonierte ich mit einem Freund, der seit Jahren in Deutschland lebt. Ich sagte ihm, dass ich ungern reise, weil ich fürchte, unterwegs einen Hörsturz zu haben - ja, mit dem Reisen einen Hörsturz heraufzubeschwören. Das ist irrational, ich weiss. Aber anyway. Er sagte, er würde eher reisen und taub werden als zu Hause bleiben und hören. Aber für mich war der Fall klar. So lang ich hören kann, sitze ich hier und höre Musik. Vielleicht mag ich ja dann wieder reisen, wenn ich taub bin. Die Frage ist dann bloss: Wie rede ich mit den Leuten? Wer ein bisschen bei notquitelikebeethoven liest, bekommt den Eindruck, dass das nicht so einfach ist, wie man es sich vorstellt. Auch wenn man sich vorstellt, dass man es weiss. Aber Du hast da vielleicht mehr Erfahrung als ich.
In diesem Zusammenhang erinnere ich mich auch an den Kommentar von Pia Butzky. Ich habe ihn damals ausgedruckt und in mein Tagebuch geklebt. Ein wichtiger Punkt darin war das Cochlea-Implantat, ihr künstliches Ohr.
Aber um eine Sprache für all das zu ringen, empfinde ich wenigstens als lohnende Herausforderung.
rosawer - 4. Nov, 09:50
Nein, ich habe sicher keine Erfahrung
mit Ertauben und Hörstürzen und dem Gefühl des Schwindels. Alles was ich versuchen kann, mit meinem Wissen zu Deiner Sprachfindung beizutragen. Und ich würde nie behaupten, dass ich mir vorstellen kann, wie es ist, wenn man taub ist. Ich kann mir nur vorstellen, wie man mit jemandem umgehen könnte, der taub ist, wenn ich selber nicht taub bin. Diese Vorstellung finde ich nicht so schwierig, wobei, wie bereits gesagt, ich damit keine Aussage darüber treffen mag, ob es dann auch ein angemessener Umgang sein würde (was ich bezweifle). Aber wir brauchen doch Vorstellungen und Ideen darüber, was wir täten wenn ... und da, das habe ich gemerkt, als ich Deine Antwort las, da gibt es noch einen erheblichen, nein, einen entscheidenden Unterschied, ob man sich damit auseinandersetzen muss, selber taub zu sein, oder damit, mit jemandem umzugehen, der dann mal taub sein könnte.
diefrogg - 4. Nov, 10:04
Nein, nein...
Ich weiss, dass Du selber keine Erfahrung mit Hörstürzen und derlei mehr hast! Aber Du hast mir einmal erzählt, Du hättest eine taube Freundin. Daher habe ich angenommen, dass Du Erfahrungen gesammelt hast, wie Du mit ihr reden kannst. So habe ich es gemeint! Und, oh ja, es ist ein grosser Unterschied! Aber ich finde, Du machst Deine Sache ziemlich gut!
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