Stille Spaziergänge
Eins ist bei mir im Moment so sicher wie Hochnebel Mitte November: Auf einen ohrenmässig guten Tag folgt meist ein schrecklicher. Oder wie Frau Frogg schon vor Jahren über ihr Ohrenleiden, die Meniere'sche Krankheit gesagt hat: "It always gets better before it gets worse."
Zum Beispiel vorgestern: Ich erwachte und hörte beglückt die Heizung in meinem Zimmer. Doch schon nach dem Frühstück verabschiedeten sich sämtliche Zimmergeräusche unter Gedröhn und lauter werdendem Georgel. Mit den Tönen geht jeweils auch meine gute Laune. Sie weicht einem Entsetzen, das mir ins Gesicht geschrieben sein muss, auch wenn ich noch ein normales Gespräch führen kann. Das schliesse ich aus dem besorgten Blick, mit dem mich dann meine Mutter jeweils ansieht.
Trotzdem entschloss ich mich am frühen Nachmittag zu einem Spaziergang. Denn ob ich will oder nicht: Ich lebe weiter, auch wenn ich taub bin. Ich stieg auf einen Hügel über der Stadt. Dort spazierte ich durch ein Wohnquartier mit einer wenig befahrenen Strasse. Es war ein fast unreal sonniger Tag, und es war gespenstisch still. Wenn ein Auto vorbeifuhr, dann klang das, als führe es mit Schneeketten. Motorengeräusche hörte ich keine. Und: Ich konnte die Stadt nicht hören, jenes dunkle Hallen und Brummen, das wie eine Glocke über grösseren Siedlungen liegt und auch auf den ruhigen Vorortshügeln stets an den Betrieb im Tal erinnert.
Auf der anderen Strassenseite redete ein alter Mann mit seinem Hund. Er bewegte den Mund, und ich hätte ihn eigentlich hören müssen. Sein Gesicht war zu einer seltsam beredten, grotesken Fratze verzogen. Mir fiel Goya ein. Nachdem der Meister taub geworden war, malte er solche Bilder:
Plötzlich verstand ich, wie man die Welt so sehen kann. Ich tröstete mich damit, dass diese Gemälde heute als Meisterwerke gelten. Vielleicht bringt ja auch die Frogg mit geschwächtem Gehör eines Tages noch etwas Vernünftiges zu Stande.
Gestern war dann alles ganz anders: Ich hörte den ganzen Tag bestens. Spazieren ging ich schon am Morgen, hinunter zum Göttersee. Diesmal packte ich die Sache ganz anders an: Ich nahm Ohropax mit. Denn ich weiss unterdessen, dass mir der Lärm der Züge, die dort unten im Fünfmiutentakt vorbeidonnern, furchtbar in den Ohren wehtut. Ich ging fast den ganzen Weg mit Ohropax. Es war wunderbar. Stille ist etwas Wunderbares, wenn man sie selber wählt.
Erst spät am Abend nach längerem, leisem Schwindel stürzte das Gehör wieder ab. Heute ist wieder ein schlimmer Tag.
Zum Beispiel vorgestern: Ich erwachte und hörte beglückt die Heizung in meinem Zimmer. Doch schon nach dem Frühstück verabschiedeten sich sämtliche Zimmergeräusche unter Gedröhn und lauter werdendem Georgel. Mit den Tönen geht jeweils auch meine gute Laune. Sie weicht einem Entsetzen, das mir ins Gesicht geschrieben sein muss, auch wenn ich noch ein normales Gespräch führen kann. Das schliesse ich aus dem besorgten Blick, mit dem mich dann meine Mutter jeweils ansieht.
Trotzdem entschloss ich mich am frühen Nachmittag zu einem Spaziergang. Denn ob ich will oder nicht: Ich lebe weiter, auch wenn ich taub bin. Ich stieg auf einen Hügel über der Stadt. Dort spazierte ich durch ein Wohnquartier mit einer wenig befahrenen Strasse. Es war ein fast unreal sonniger Tag, und es war gespenstisch still. Wenn ein Auto vorbeifuhr, dann klang das, als führe es mit Schneeketten. Motorengeräusche hörte ich keine. Und: Ich konnte die Stadt nicht hören, jenes dunkle Hallen und Brummen, das wie eine Glocke über grösseren Siedlungen liegt und auch auf den ruhigen Vorortshügeln stets an den Betrieb im Tal erinnert.
Auf der anderen Strassenseite redete ein alter Mann mit seinem Hund. Er bewegte den Mund, und ich hätte ihn eigentlich hören müssen. Sein Gesicht war zu einer seltsam beredten, grotesken Fratze verzogen. Mir fiel Goya ein. Nachdem der Meister taub geworden war, malte er solche Bilder:
Plötzlich verstand ich, wie man die Welt so sehen kann. Ich tröstete mich damit, dass diese Gemälde heute als Meisterwerke gelten. Vielleicht bringt ja auch die Frogg mit geschwächtem Gehör eines Tages noch etwas Vernünftiges zu Stande.
Gestern war dann alles ganz anders: Ich hörte den ganzen Tag bestens. Spazieren ging ich schon am Morgen, hinunter zum Göttersee. Diesmal packte ich die Sache ganz anders an: Ich nahm Ohropax mit. Denn ich weiss unterdessen, dass mir der Lärm der Züge, die dort unten im Fünfmiutentakt vorbeidonnern, furchtbar in den Ohren wehtut. Ich ging fast den ganzen Weg mit Ohropax. Es war wunderbar. Stille ist etwas Wunderbares, wenn man sie selber wählt.
Erst spät am Abend nach längerem, leisem Schwindel stürzte das Gehör wieder ab. Heute ist wieder ein schlimmer Tag.
diefrogg - 19. Nov, 16:20
2 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
seifenblasenpusterin - 21. Nov, 12:29
goya und (diese) deine worte; gespenstisch, eindringlich - so intensiv. wenn ich das lese, lebe ich deine taubheit fast mit. nur trostreiches fällt mir nicht ein... herzliche grüße an dich.
diefrogg - 21. Nov, 14:32
Danke trotzdem!
Es ist schon ein Trost, hier gelesen und verstanden zu werden! Auch wenn ich schon sehr hoffe, ich könnte einmal etwas Positiveres berichten.
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