14
Aug
2007

Vater aller Selbstdarsteller

Im Moment lese ich Augustinus „Bekenntnisse“. Das ist gerade für eine Bloggerin keine abwegige Lektüre. Schliesslich ist Augustinus meines Wissens der Erste, der sich schriftlich in öffentlicher Selbstdarstellung geübt hat (auch wenn diese selbstredend einem höheren Zweck diente). Ehrlich gesagt interessieren mich dabei Augustinus‘ Berichte über seine legendären jugendlichen Ausschweifungen etwas mehr als seine sich über Seiten hinwegziehenden Lobpreisungen Gottes (auch wenn diese sehr lyrisch sind).



Am Anfang des Buches sind die Schilderungen von Ausschweifungen aber eher dünn gesät. Deshalb wollte ich das Buch schon weglegen, als mir an dieser Stelle der Atem stockte: „Ich will Dich lieben, Herr, … dass Du mir so viel Böses und Ruchloses, das ich getan habe, vergeben hast. Deiner Erbarmung rechne ich es zu, dass Du meine Sünden wie Eis weggeschmolzen hast.“ (S. 89)

Ich fragte mich: Wie kann er da so sicher sein? Ich meine: Das kann man doch gar nicht wissen, ob einem seine Sünden vergeben sind. Das wissen nur Katholiken nach der Beichte. Nun ja, vielleicht gab es die Beichte im 5. Jahrhundert schon.
Aber so viel ich weiss, wird auch Katholiken bei der Beichte ein gewisses urmenschliches Unbehagen darüber nicht genommen, dass sie überhaupt am Leben sind. Ein Unbehagen, das Augustinus nicht gehabt zuhaben scheint. Oder täusche ich mich? Sollte ich hier einen theologisch gebildeten Leser finden, dann bitte ich ihn, mir diese Fragen zu beantworten. Dringend.

(Augustinus: "Bekenntnisse", Insel Verlag 1987)

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syro0 - 15. Aug, 00:35

Die katholische Doktrin geht (nicht wenig egoistisch) davon aus, daß alles, was man tut von Gott verziehen wird, wenn man bereut, und ihn um Vergebung bittet. Einziger Haken: man braucht dazu einen Beichtvater der ein paar Formeln murmelt, sonst sieht es schlecht aus mit dem Himmelreich. Dieser Gott ist - psychologisch gesehen - eine Instanz zwischen dem schlechten Gewissen und der carte blanche für moralische Schweinereien. Der Grad der Sünden (vgl. Todsünden etc.) ist ein theologischer Streitpunkt der ordentlich Spielraum zuläßt. Wenn man in Sünde stirbt allerdings entscheidet die Schwere der unverziehenen Sünden über Hölle und Läuterungsberg (mit der Möglichkeit zur Beförderung ins Paradies).
[Ohne Ironie betrachet muß man allerdings auch auf die zahllosen armen Menschen verweisen, denen die eingeimpfte Furcht vor der ewigen Verdammnis die Jugend oder das ganze Leben versaut hat.]

diefrogg - 15. Aug, 10:30

Sieh einer an,

geschätzter Syro0, das macht mir doch glatt wieder einmal klar, warum die katholische Kirche für unsereiner keine Antworten mehr hat: Unsere Sünden verzeihen wir uns ja heute selber. An ein Leben im Jenseits wollen wir nicht so recht glauben. Und gegen das grosse Unbehagen im Diesseits hat sie keine Medizin. Hoffnungslos.

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