Sozialstaat wird ausgehöhlt
Folgenden Beitrag habe ich bei Mia kopiert. Ich bin zwar ziemlich sicher, dass die Quote der Ständerätinnen und -räte unter meinen Lesern deutlich gegen Null tendiert. Doch der Beitrag ist nicht nur für Politiker lesenswert. Wir sind hierzulande dabei, die Glaubwürdigkeit unseres Sozialstaats auszuhölen. Man muss kein Politiker sein, um ein Interesse daran zu haben, das zu verhindern.
Sehr geehrter Herr Ständerat …
Sehr geehrte Frau Ständerätin …
In der kommenden Frühjahrssession werden Sie gemeinsam mit Ihren RatskollegInnen die Differenzbereinigung der IV-Revision 6a beraten. Ihre Entscheidungen werden nicht nur Auswirkungen auf die finanzielle Lage der Invalidenversicherung haben, sondern auch die Schicksale von mehreren zehntausend Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen beeinflussen. Dies scheint in einem Ratssaal voller gesunder und erfolgreicher Menschen offenbar ab und zu etwas vergessen zu gehen.
Mit grosser Besorgnis habe ich zur Kenntnis genommen, dass die SGK-S die umstrittene Schlussbestimmung über «die pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebilder» dem Ständerat zur Annahme empfiehlt. Diese Schlussbestimmung bedeutet eine unhaltbare Diskriminierung von Menschen mit einer psychischen Erkrankung, da sich die überwiegende Mehrheit der psychischen Störungen nicht auf eine nachweisbare organische Grundlage zurückführen lässt.
Auch Herrn Bundesrat Burkhalters mehrfache Beteuerungen während der Nationalratsdebatte zur IV-Revision 6a, dass schwere psychische Krankheiten selbstverständlich von Überprüfungen ausgenommen würden, vermochten nicht zu überzeugen. Es erscheint doch sehr unglaubwürdig, dass eine Bestimmung im Gesetz verankert werden soll, deren Wortlaut angeblich «nicht wörtlich zu nehmen sei».
Dass mit der Schlussbestimmung gezielt die gesetzliche Grundlage geschaffen werden soll, Menschen mit psychischen Erkrankungen generell von Leistungen der Invalidenversicherung auszuschliessen, ist inakzeptabel. Besonders stossend ist, dass offenbar ganz bewusst die Erkrankungen mit dem niedrigsten Sozialprestige, der höchsten Stigmatisierung und dem geringsten zu erwartenden Widerstand für massive Sparmassnahmen ausgewählt wurden.
Dass der gegenüber Menschen mit unsichtbaren Behinderungen seit Jahren polemisch geäusserte generelle Missbrauchsverdacht nun ohne jegliche Grundlage oder Beweise für dessen Wahrheitsgehalt Eingang in die Gesetzgebung finden soll, kann kaum als seriöse Gesetzesarbeit bezeichnet werden. Zudem wurde die Formulierung übereilt, unter Umgehung der Vernehmlassung und ohne vorherige Abklärung der Folgen eingefügt.
Aus diesen Gründen möchte ich Sie freundlich bitten, die vorgesehene Schlussbestimmung abzulehnen.
Sehr geehrter Herr Ständerat …
Sehr geehrte Frau Ständerätin …
In der kommenden Frühjahrssession werden Sie gemeinsam mit Ihren RatskollegInnen die Differenzbereinigung der IV-Revision 6a beraten. Ihre Entscheidungen werden nicht nur Auswirkungen auf die finanzielle Lage der Invalidenversicherung haben, sondern auch die Schicksale von mehreren zehntausend Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen beeinflussen. Dies scheint in einem Ratssaal voller gesunder und erfolgreicher Menschen offenbar ab und zu etwas vergessen zu gehen.
Mit grosser Besorgnis habe ich zur Kenntnis genommen, dass die SGK-S die umstrittene Schlussbestimmung über «die pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebilder» dem Ständerat zur Annahme empfiehlt. Diese Schlussbestimmung bedeutet eine unhaltbare Diskriminierung von Menschen mit einer psychischen Erkrankung, da sich die überwiegende Mehrheit der psychischen Störungen nicht auf eine nachweisbare organische Grundlage zurückführen lässt.
Auch Herrn Bundesrat Burkhalters mehrfache Beteuerungen während der Nationalratsdebatte zur IV-Revision 6a, dass schwere psychische Krankheiten selbstverständlich von Überprüfungen ausgenommen würden, vermochten nicht zu überzeugen. Es erscheint doch sehr unglaubwürdig, dass eine Bestimmung im Gesetz verankert werden soll, deren Wortlaut angeblich «nicht wörtlich zu nehmen sei».
Dass mit der Schlussbestimmung gezielt die gesetzliche Grundlage geschaffen werden soll, Menschen mit psychischen Erkrankungen generell von Leistungen der Invalidenversicherung auszuschliessen, ist inakzeptabel. Besonders stossend ist, dass offenbar ganz bewusst die Erkrankungen mit dem niedrigsten Sozialprestige, der höchsten Stigmatisierung und dem geringsten zu erwartenden Widerstand für massive Sparmassnahmen ausgewählt wurden.
Dass der gegenüber Menschen mit unsichtbaren Behinderungen seit Jahren polemisch geäusserte generelle Missbrauchsverdacht nun ohne jegliche Grundlage oder Beweise für dessen Wahrheitsgehalt Eingang in die Gesetzgebung finden soll, kann kaum als seriöse Gesetzesarbeit bezeichnet werden. Zudem wurde die Formulierung übereilt, unter Umgehung der Vernehmlassung und ohne vorherige Abklärung der Folgen eingefügt.
Aus diesen Gründen möchte ich Sie freundlich bitten, die vorgesehene Schlussbestimmung abzulehnen.
diefrogg - 23. Feb, 16:07
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Rockhound - 24. Feb, 08:17
Das ist cool, habe ich gleich an alle Ständeräte gemailt, die nicht SP oder Grün sind. :-)
diefrogg - 24. Feb, 12:49
Liebe Rockhound,
Leider musste ich Deinen Kommentar zu Herrn Lombardi löschen. Er erfüllt meiner Meinung nach den Tatbestand der üblen Nachrede. Und vor übler Nachrede gehört auch ein Ständerat geschützt, egal, ob mir sein Stimmverhalten im Stöckli genehm ist oder nicht. Sorry. Der Rest des Kommentars hat mir sehr gefallen. Bin gespannt auf Deinen nächsten.
Rockhound - 24. Feb, 13:07
Ah, sorry! Meine Art, bin oft zu direkt.
Ob ich den Rest noch im Kopf habe? *grübel*
Jedenfalls Danke euch beiden, für die Links und den vorgefertigten Brief. Ohne diese Anregung wäre mir gar nie eingefallen, nachzusehen, wer so alles im Ständerat sitzt. Und ich habe auch gemerkt, wie einfach es sein kann, sich an diese Parlamentarier zu wenden. Hat geholfen.
Ob ich den Rest noch im Kopf habe? *grübel*
Jedenfalls Danke euch beiden, für die Links und den vorgefertigten Brief. Ohne diese Anregung wäre mir gar nie eingefallen, nachzusehen, wer so alles im Ständerat sitzt. Und ich habe auch gemerkt, wie einfach es sein kann, sich an diese Parlamentarier zu wenden. Hat geholfen.
mia_ivinfo - 24. Feb, 11:40
Merci!
Vielen Dank liebe Frau Frogg für die Unterstützung. Und Danke natürlich auch an Rockhound :-)
Leider kommt in dem Brief gar nicht zur Geltung, was die IV-Revision 6a ingesamt für eine Sauerei darstellt, aber dafür hätte man dann mindestens ein Buch schreiben müssen...Dass mit der fraglichen Schlussbestimmung die psychischen Krankheiten mal eben so ausgeschlossen werden können, ist eigentlich nur ein (allerdings sehr erwünschter) Nebeneffekt. Die Schlussbestimmung wurde ja eigentlich eingeführt, um IV-Bezügern mit Scheudertrauma nachträglich die Renten entziehen zu können (was an sich auch eine Schweinerei darstellt), und *oops* hat man es so formuliert, dass einfach mal gleich alles rausfälllt, was organisch nicht nachweisbar ist.
Und *oops* was für ein Zufall, dass die Versicherer (Auto, Haftpflicht, Unfall) alle schon die Champagnerflaschen kühl gestellt haben, wenn diese Vorlage durch ist...
Leider kommt in dem Brief gar nicht zur Geltung, was die IV-Revision 6a ingesamt für eine Sauerei darstellt, aber dafür hätte man dann mindestens ein Buch schreiben müssen...Dass mit der fraglichen Schlussbestimmung die psychischen Krankheiten mal eben so ausgeschlossen werden können, ist eigentlich nur ein (allerdings sehr erwünschter) Nebeneffekt. Die Schlussbestimmung wurde ja eigentlich eingeführt, um IV-Bezügern mit Scheudertrauma nachträglich die Renten entziehen zu können (was an sich auch eine Schweinerei darstellt), und *oops* hat man es so formuliert, dass einfach mal gleich alles rausfälllt, was organisch nicht nachweisbar ist.
Und *oops* was für ein Zufall, dass die Versicherer (Auto, Haftpflicht, Unfall) alle schon die Champagnerflaschen kühl gestellt haben, wenn diese Vorlage durch ist...
mia_ivinfo - 24. Feb, 12:39
Ich möchte der Frau Frogg ihren Blog jetzt eigentlich nicht mit Versicherungskram zupflastern - denn Frisch und Hohler sind mir weitaus lieber!
Aber als ich eben bei Schweizerischen Versicherungsverband deren Empfehlung für die IV-Debatte gelesen habe, habe ich mich schon gefragt, WIE dreist man eigentlich noch sein kann:
«Zusätzliche Ausgleichsansprüche gegenüber der Invalidenversicherung könnten entstehen, weil sie in Haftpflichtfällen ihre Leistungen ganz oder teilweise als Kapitalabfindung von den Haftpflichtversicherern regressiert. Ehemalige IV-Rentenbezüger könnten versuchen, diese Kapitalabfindung von der IV «zurückzufordern». Damit erhalten solche Versicherte möglicherweise das Rentenkapital anstelle einer Rente. Damit der Spareffekt der 6. IV-Revision aber erhalten bleibt, soll im Gesetz vorgesehen werden, dass eine Aufhebung der Rente nicht weitere Ausgleichsansprüche der Versicherten gegen die IV auslösen kann.»
Geld einbehalten, dass jemand anderen zusteht (den Unfallopfern in diesem Fall), nennt man glaube ich unrechtmässige Bereicherung. Oder Betrug...?
Aber als ich eben bei Schweizerischen Versicherungsverband deren Empfehlung für die IV-Debatte gelesen habe, habe ich mich schon gefragt, WIE dreist man eigentlich noch sein kann:
«Zusätzliche Ausgleichsansprüche gegenüber der Invalidenversicherung könnten entstehen, weil sie in Haftpflichtfällen ihre Leistungen ganz oder teilweise als Kapitalabfindung von den Haftpflichtversicherern regressiert. Ehemalige IV-Rentenbezüger könnten versuchen, diese Kapitalabfindung von der IV «zurückzufordern». Damit erhalten solche Versicherte möglicherweise das Rentenkapital anstelle einer Rente. Damit der Spareffekt der 6. IV-Revision aber erhalten bleibt, soll im Gesetz vorgesehen werden, dass eine Aufhebung der Rente nicht weitere Ausgleichsansprüche der Versicherten gegen die IV auslösen kann.»
Geld einbehalten, dass jemand anderen zusteht (den Unfallopfern in diesem Fall), nennt man glaube ich unrechtmässige Bereicherung. Oder Betrug...?
walküre - 24. Feb, 14:32
Achtung, Ironie !
Auch die Ursachen nicht weniger körperlicher Erkrankungen sind nicht immer eruierbar, d.h. mit den den Medizinern heute zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu erkennen. Wie wäre es damit, als nächsten Schritt alle Kranken, bei denen dies zutrifft, von den Leistungen der Invalidenversicherung auszuschließen ?
diefrogg - 25. Feb, 13:16
Leider wird Ihre Ironie...
von den herrschenden Tatsachen souverän überholt, Frau Walküre. Für nähere Infos, zum Beispiel zu Schleudertraumata hat Mia eine Fundgrube von Informationen eingerichtet. Alles, was irgendwie diffus ist, kann hier heutzutage "mit einer gewissen Willensanstrengung" überwunden werden und hat "keinen Krankheitswert" mehr. Vom grassierenden Bedürfnis von Gutachtern, somatische Phänomene auf psychosomatische Ursachen zurückzuführen und deshalb für nicht berentungsfähig zu befinden, einmal ganz abgesehen. "Psychosomatisch" bedeutet hierzulande "eingebildet" (was einen Teil meiner Ablehnung psychosomatischer Theorien erklärt). Das hat fatale Folgen für die Betroffenen, hier beschrieben.
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