England hören
England hat miesen Kaffee. Es hat miese Klempner. Und es hat miese Hotels. Aber es hat eine wunderschöne Sprache. Eine Sprache, die ich sprechen gelernt habe, indem ich den Leuten zuhörte - bei der Arbeit, im Café, in der Eisenbahn. Ich spreche ziemlich gut Englisch. Englisch ist die Sprache, in der ich mich einmal beinahe neu erfunden hätte.
Deshalb wollte ich trotz der miesen Hotels noch einmal nach England, bevor ich noch tauber werde. Und in den ersten Tagen schien das Projekt "England hören" ganz leidlich zu funktionieren. Ich hatte sogar ein paar lustige Konversationen mit Leuten, mit denen ich früher nie ins Gespräch gekommen wäre.
Aber am fünften Tag war es mit Hören vorbei - abgesehen von ein paar passablen Stunden, meist zwischen 12 und 16 Uhr. Es wurde offenkundig: Ich hatte meine Kräfte überschätzt. Wenn ich mich konzentrierte, konnte ich ein Gespräch führen. Sonst war ich hinreichend damit beschäftigt zu reisen, meinen Tinnitus zu überhören - und manchmal damit, einfach nur das Gleichgewicht zu halten.
Ich war nicht einmal frustriert oder traurig. Dazu hatte ich auch keine Zeit. Erst in Liverpool wusste ich: Diese Stadt sollte man hörend besuchen. Wenigstens hörte ich die Lachmöwen am Bahnhof, eine merkwürdige Begrüssung. Aber später am Hafen fragte Herr T. einmal fassungslos: "Hast Du die Schiffshupe nicht gehört?!" Und er ärgerte sich wiederholt über den Hafenkran, der angeblich vor unserem Zimmer piepte (den überhörte ich, weil er genau gleich klingt wie eines meiner Ohrengeräusche). Und als wir nach Hause kamen, erzählte er Freunden: "Und wisst Ihr, in jedem Café liefen Beatles-Songs!" Da wollte ich zwar widersprechen - ich hörte von diskretem Hintergrundgedüdel ja höchstens noch die Drums, wenn überhaupt. Aber bitte! Ich kann doch einen Breakbeat von Ringo Starr unterscheiden!
Ich widersprach dann doch nicht. Meine Datenbasis war einfach zu dünn, obwohl ich - weiss Gott - als Teenager jeden einzelnen Beatles-Song kannte. Mitsamt dem Album, auf dem er erschienen ist. Wahrscheinlich kann Herr T. sich glücklich schätzen, dass ich nichts hörte. Ich hätte ihn bei jedem Song zugetextet wie eine von miesem Kaffee besoffene Enzyklopädie.
Dennoch: Kann mir bitte einmal jemand erklären, wozu man all dieses Zeug lernt und liebt, wenn man es dann sowieso nicht mehr brauchen kann?
Deshalb wollte ich trotz der miesen Hotels noch einmal nach England, bevor ich noch tauber werde. Und in den ersten Tagen schien das Projekt "England hören" ganz leidlich zu funktionieren. Ich hatte sogar ein paar lustige Konversationen mit Leuten, mit denen ich früher nie ins Gespräch gekommen wäre.
Aber am fünften Tag war es mit Hören vorbei - abgesehen von ein paar passablen Stunden, meist zwischen 12 und 16 Uhr. Es wurde offenkundig: Ich hatte meine Kräfte überschätzt. Wenn ich mich konzentrierte, konnte ich ein Gespräch führen. Sonst war ich hinreichend damit beschäftigt zu reisen, meinen Tinnitus zu überhören - und manchmal damit, einfach nur das Gleichgewicht zu halten.
Ich war nicht einmal frustriert oder traurig. Dazu hatte ich auch keine Zeit. Erst in Liverpool wusste ich: Diese Stadt sollte man hörend besuchen. Wenigstens hörte ich die Lachmöwen am Bahnhof, eine merkwürdige Begrüssung. Aber später am Hafen fragte Herr T. einmal fassungslos: "Hast Du die Schiffshupe nicht gehört?!" Und er ärgerte sich wiederholt über den Hafenkran, der angeblich vor unserem Zimmer piepte (den überhörte ich, weil er genau gleich klingt wie eines meiner Ohrengeräusche). Und als wir nach Hause kamen, erzählte er Freunden: "Und wisst Ihr, in jedem Café liefen Beatles-Songs!" Da wollte ich zwar widersprechen - ich hörte von diskretem Hintergrundgedüdel ja höchstens noch die Drums, wenn überhaupt. Aber bitte! Ich kann doch einen Breakbeat von Ringo Starr unterscheiden!
Ich widersprach dann doch nicht. Meine Datenbasis war einfach zu dünn, obwohl ich - weiss Gott - als Teenager jeden einzelnen Beatles-Song kannte. Mitsamt dem Album, auf dem er erschienen ist. Wahrscheinlich kann Herr T. sich glücklich schätzen, dass ich nichts hörte. Ich hätte ihn bei jedem Song zugetextet wie eine von miesem Kaffee besoffene Enzyklopädie.
Dennoch: Kann mir bitte einmal jemand erklären, wozu man all dieses Zeug lernt und liebt, wenn man es dann sowieso nicht mehr brauchen kann?
diefrogg - 6. Aug, 17:08
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Schon als Kind wollte die Neuseeländerin Schriftstellerin werden. In ihrer Autobiografie beschreibt sie, wie sie es wurde - trotz aller Widrigkeiten: So verbrachte sie acht Jahre in einer psychiatrischen Klinik. Als sie mit 29 entlassen wird, verfolgt sie weiter ihr Ziel. Allerdings wird sie von Selbstzweifeln geplagt. "Da war auch das beängstigende Wissen, dass der Wunsch zu schreiben noch nicht bedeutet, dass man auch Talent hat. Täuschte ich mich nicht ganz einfach selber wie andere Patienten, die ich im Spital gesehen hatte? Eine von ihnen war mir in besonderer Erinnerung, eine harmlose junge Frau, die still in ihrer Abteilung sass und Tag für Tag an ihrem 'Buch' schrieb ... Doch es bestand, wenn man es anschaute, aus nichts anderem als aus Seiten um Seiten mit Bleistift hingeschriebener "o-o-o-o-o-o-o-o-o".*