9
Jul
2014

Übers Bloggen

Eigentlich habe ich ja mit Bloggen aufhören wollen. Es lockte mich mehr, Kurzgeschichten oder einen Roman zu schreiben - man kokettiert halt mit solchen Sachen, zwischendurch.

Aber ich bekam dann doch wieder Zweifel. Um ehrlich zu sein: Ich fühlte mich so unvernetzt. Es ist ja nicht so, dass Herr T. und ich im realen Leben keine Freunde hätten. Eigentlich waren wir im Mai und Juni sogar geradezu gehörschädlich viel beschäftigt mit Besuchen und Gegenbesuchen und derlei mehr. Und doch: Da lästere ich zwar gerne über die Leute, die nicht fünf Minuten ohne Wazzup sein können und deswegen ihr reales Gegenüber gar nicht mehr sehen - aber selber bin ich höchstens ein kleines Bisschen besser. Wenn ich nicht blogge oder nicht wenigstens auf Facebook bin, dann hat meine Seele Phantomschmerzen, weil sie sich von ihren virtuellen Freunden abgeschnitten fühlt.

Dann bekam ich kürzlich eine Mail von einer Religionsforscherin der Uni Zürich. Sie hatte meinen Beitrag über das Knochenhaus von Poschiavo vom letzten Herbst gelesen und noch eine Frage. Ich war stolz, die Wissenschaft mit meinem Blog bereichern zu dürfen. Und ich lernte: So ein Blogbeitrag ist wie eine Flaschenpost. Manchmal erreicht er unerwartete Leser - und rettet dann nicht nur die Absenderin, sondern auch die Empfängerin.

Nun habe ich beschlossen: Ich werde doch wieder bloggen. Vielleicht etwas weniger als früher und noch nicht sofort. Nächste Woche verreisen wir nämlich für eine Weile nach England, und da werde ich keine Zeit haben. Aber danach: Wahrscheinlich schon.

Und jetzt mache ich noch schnell ein bisschen Werbung für das Institut der Frau, die mich wieder zum Bloggen verführt hat. Hier. Danke!

6
Jul
2014

Fussball und Leichen

Die Bezeichnung "public viewing" ist zurzeit in der Deutschschweiz in aller Munde. Einige von uns glauben ja, das sei Englisch. Es handelt sich aber offenbar um einen so genannten Scheinanglizismus, auch "Denglisch" oder "Swinglisch" genannt, zu Deutsch: ein Ausdruck, der Englisch klingt, aber nicht Englisch ist. Englischsprachigen Lesern muss der in der Schweiz lebende Engländer Diccon Bewes jedenfalls erst erklären, was er beudeutet: "Das ist ein Ort, an den man geht, um mit vielen anderen Leuten ein grosses Sportereignis auf einem riesigen Bildschirm anzusehen - meistens unter freiem Himmel." (Da ich aus Erfahrung weiss, dass Englisch für viele deutschsprachige Leser ein Wegklick-Kriterium ist, habe ich Bewes hier kurz übersetzt).

Zwischenfrage: Braucht man die Bezeichnung "public viewing" in diesem Wortsinn in Österreich und Deutschland auch?

Falls nicht, so ist es nicht so schlimm. Denn auf Englisch heisst "public viewing" laut Bewes etwas ganz anderes, nämlich "die öffentliche Zurschaustellung einer Leiche" (das bestätigt auch das Englisch-Deutsch-Forum von leo.

Bewes hat dazu eine hübsche Pointe, aber die kann man nicht übersetzen. Wer einigermassen Englisch kann, sollte hier nachlesen.

Edit: Ein Freund hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass die FIFA hier eine Denglisch-Vorreiterrolle einnimmt und ausdrücklich Regeln für "Public Viewing Events" festlegt (hier.

2
Jul
2014

Der Fluch des Schreibens

Viele Menschen kennen den unwiderstehlichen Drang zu schreiben. Sind sie deswegen auch gleich begnadete Künstler? Nirgendwo habe ich je ein niederschmetternderes Nein als Antwort auf diese Frage gelesen als bei Janet Frame.

Schon als Kind wollte die Neuseeländerin Schriftstellerin werden. In ihrer Autobiografie beschreibt sie, wie sie es wurde - trotz aller Widrigkeiten: So verbrachte sie acht Jahre in einer psychiatrischen Klinik. Als sie mit 29 entlassen wird, verfolgt sie weiter ihr Ziel. Allerdings wird sie von Selbstzweifeln geplagt. "Da war auch das beängstigende Wissen, dass der Wunsch zu schreiben noch nicht bedeutet, dass man auch Talent hat. Täuschte ich mich nicht ganz einfach selber wie andere Patienten, die ich im Spital gesehen hatte? Eine von ihnen war mir in besonderer Erinnerung, eine harmlose junge Frau, die still in ihrer Abteilung sass und Tag für Tag an ihrem 'Buch' schrieb ... Doch es bestand, wenn man es anschaute, aus nichts anderem als aus Seiten um Seiten mit Bleistift hingeschriebener "o-o-o-o-o-o-o-o-o".*

Leider bestätigt mein beruflicher Alltag diese himmeltraurige Anekdote. Ich sehe bei der Arbeit täglich viele Texte von Möchtegern-Autoren. Der Fairness halber muss man sagen: Bei den meisten handelt es sich nicht um Möchtegern-Schriftsteller. Sondern um Leute, die ihrem Ärger über ein ganz bestimmtes Thema Luft machen möchten. Um das zu tun, halten sie gerne die Regeln der vorgegebenen Textsorte ein. Manche sind dann vielleicht nicht so sicher in Rechtschreibung, Stil oder Grammatik - und einige haben Chef-Allüren und widmen sich lieber dem grossen Gedanken als den Feinheiten der deutschen Sprache. Das überlassen sie dem Personal. Das wäre dann meistens ich - zum Glück bin ich mittlerweile ganz gut im Gedankenlesen.

Nachdenklicher machen mich jene, die mit ihrem Ärger gleich ihr ganzes Denksystem mitliefern. Oft sind es gebildetere Leute. Oder sie haben jedenfalls den Anspruch, ihren Lesern die Welt zu erklären. Dass solche Autoren die Regeln der vorgegebenen Textsorte geradezu sprengen müssen, ist klar - und führt eher selten zu einem gelungenen Resultat. Dann vermischen sie kunterbunt - und oft in perfekter Grammatik und mit einem gepflegten Stil - Verschwörungstheorien, unausgegorene Philosophien und einen allgemeinen Weltekel. Was macht man als Publikationsorgan mit solchen Autoren? Sagen wir mal: Darauf gibt es keine einfache Antwort.

Ja, viele Schreibende scheitern. Manchmal dünkt mich, irgend eine Laune der Natur hat manchen Menschen den Wunsch zu schreiben wie einen Fluch ins Hirn gepflanzt. Aber sie hat vergessen, ihnen das restliche Rüstzeug mitzugeben.

Was man nebst Talent braucht, um eine gute Schriftstellerin zu werden, kann man bei Frame nachlesen: die Fähigkeit, grosse Einsamkeit auszuhalten; absolute Unbeirrbarkeit; das richtige Milieu; die richtige Zeit; den richtigen Ort; das richtige Publikum. Und sehr, sehr viel Glück.

* Janet Frame: An Angel at My Table (Seite 266, von mir übersetzt).

25
Jun
2014

Spannungsgeladene Musik

Ich sitze bei der Musikhochschule auf einer Bank und geniesse die Aussicht. Hier oben sitze ich gern, um mich zu sammeln. Vor allem, wenn ich gerade wieder mal einen Schub habe. Und es ist nun mal so: Der neueste Schub dauert schon mehr als zwei Monate. Das heisst: Ich bin - ausser, wenn ich gerade einen guten Tag habe - mittelgradig schwerhörig auf beiden Ohren.

Wenn Herr T. Fussball-WM guckt, setze ich mich manchmal neben ihn, schalte mein Hörgerät aus und lese in aller Ruhe ein Buch. Den Kommentar höre ich schon gar nicht mehr, verstehen tue ich ihn erst recht nicht.

Wenn ich wirklich fernsehen will, brauche ich Untertitel. Das heisst: Ich gucke dann öffentlich rechtliche Sender, denn viele Privatsender haben keine Untertitel - übrigens auch Arte und 3sat nicht. Sehr ärgerlich.

Untertitel einzustellen ist an sich einfach: Auf den meisten Fernbedienungen gibts den Teletext-Knopf TXT. Den drückt man. Erst dann beginnt das Rätselraten: Drücke ich nun 777 (Schweizer Fernsehen, ORF, ZDF und übrigens auch BBC)? Oder ist es 150 (ARD)? Oder 149, wie bei PRO7. Naja, im Notfall weiss es Wikipedia.

Nun, die meisten Sender geben zu Beginn eines Films oben rechts an, ob ein Film untertitelt ist. Aber bis sie das endlich tun, haben sich ungeduldige Naturen wie ich meist selber schon auf Teletext verirrt. Sie verpassen dann jeweils die ersten, stimmungsvollen Bilder des Films, und manchmal noch mehr.

Dafür sorgen dann die Untertitel - wenn man sie einmal gefunden hat - selber für Stimmung. "Melancholische Musik" steht da etwa, wenn die Hörbehinderte nur lästiges Geigengeschmier hört. Trat einst Privatdetektiv Matula auf den Plan, wurde er stets von "spannungsvoller Musik" begleitet. Manchmal gibts auch aufschlussreiche Hinweise: "Sie weint" zum Beispiel. Dabei muss man, um so etwas zu merken, nicht einmal den geschulten Blick einer Hörbehinderten haben.

Nun ja, es ist unfair, wenn ich jetzt lästere. Fernsehen mit Untertiteln ist etwas wirklich Praktisches. Ich meine: Man stelle sich vor, man müsste sich als Schwerhörige sämtlichen Nachrichten am Radio oder aus der Zeitung besorgen wie unsere Vorfahren!

So sitze ich auf meiner Bank und sinniere und merke plötzlich, dass von der Musikhoschule her leise Töne an mein Ohr dringen. "Pling! Pling!" Sind es Geigen oder ist es ein Klavier? Ich weiss es nicht. Ist es fröhliche oder melancholische Musik? Keine Ahnung. Ich hätte jetzt gerne Untertitel.

21
Jun
2014

1000 Franken

Ich bin wirklich vorsichtig im Bahnhof. Ich weiss, dass dort viel gestohlen wird. Ich achte gut auf mein Portmonee. Aber heute früh hat es mich erwischt: Ich stieg in einen Zug nach Olten und schaute im Waggon schnell in der Tasche nach meinem Geldbeutel. Er war weg. Alles aus- und wieder Einpacken änderte nichts daran. Er war weg.

Da wusste ich: Ich musste raus aus dem Zug, bevor er losfuhr. Meine Freundinnen in Olten konnte ich vergessen. Ich eilte zum Fundbüro, zur Bahnpolizei. Dann nach Hause, zu Fuss, denn ich hatte auch kein Busabo mehr. Ich rief bei der Bank an, um meine Karte zu sperren. Zwischenfrage an meine schwerhörigen Leser: Wie sperrt Ihr im Bedarfsfall Bankkarten, wenn Ihr nicht telefonieren könnt? Ich telefonierte mit dem linken Ohr, das ging gerade noch. Festnetz geht, Handy nicht.

Die Frau von der Bank sagte: "Sie kommen leider zu spät! Jemand hat bereits 1000 Franken von Ihrem Konto abgehoben."

Das hätte mich um den Rest meiner Fassung bringen sollen, statt dessen beruhigte es mich: Ich wusste nun, dass ich es mit Profis zu tun gehabt hatte und nicht einfach Opfer meiner - leider zunehmenden - Zerstreutheit geworden war.

Nach und nach rekonstruierte ich den Vorgang des Desasters: Ich hatte die Bahnhofhalle kurz nach 8.30 Uhr betreten und mich zum nächstbesten Fahrkarten-Automaten begeben. Vor dem Gerät standen - etwas verloren - zwei achtjährige Buben. Ich fragte sie, was sie hier machen würden - verstand aber nicht, was sie antworteten. Naja, einerlei. Sie sahen harmlos aus, liessen mich durch und blieben hinter mir stehen. Ich hielt sogar das Portmonee vor die Tastatur, als in meinen Code eintippte. Aber man muss ja selber sehen, welche Tasten man drückt, also... waren es die beiden Kinder, die mir auf die Finger guckten? Oder war da eine Kamera? Ich weiss es nicht. Ich weiss nur, dass die Diebe an diesem Automaten zu meinem PIN-Code gekommen sein müssen.

Item. Ich hatte noch etwas Zeit und ging in die Migros, ein Fläschchen Wasser kaufen. Man soll ja viel trinken bei diesen Temperaturen. Ich weiss noch, wie ich zahlte und das Portmonee in meine viel zu volle Tasche zurückschubste und es dort für klettverschlossen und sicher hielt. Und wie ich mit einem beschwingten Gefühl im Herzen und mit einem Fläschchen Wasser in der freien Hand zum Zug spazierte. Kein Mensch kam mir zu nahe - glaubte ich.

Dabei muss mir zwischen Migros-Kasse und Zug jemand leichtfüssig wie ein Schatten den Geldbeutel aus der Tasche gezupft, sich damit von dannen gemacht und mich um den Gegenwert von mehreren Tagen Arbeit erleichtert haben.

Eins werde ich nie mehr vergessen: das coole, sommerliche Gefühl, das ich dabei hatte.
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