6
Dez
2015

Fernbeziehung

"Er hat eine Stelle in Berlin in Aussicht. Wenn er die bekommt, na, dann haben wir eben wieder eine Fernbeziehung. Schon wieder", sagte meine Lunch-Bekannte Elfie. Sie wohnen erst seit kurzer Zeit zusammen. "Ich hatte auch mal eine Fernbeziehung", sagte ich. "Das war während meines Studiums. Er war in Luzern, ich in Bern. Eine Stunde vierzig war das damals mit dem Zug."

"Das kann man ja kaum eine Fernbeziehung nennen!" lacht Elfie. Ja, klar. Heute ist das keine Fernbeziehung mehr. Heute ist Hamburg-Zürich das Minimum. Alles andere ist kleinkariert. Fernbeziehungen sind Status-Symbole. Wenn man schon die Strapazen einer vierstündigen Zugfahrt mit einem Hörsturz bezahlt wie ich, fällt einem das auf. Das Gegenüber sagt dann nicht nur: "Ich habe eine Fernbeziehung." Es sagt auch: "Ich bin stark. Ich brauche den Liebsten nicht täglich an meiner Seite." Und: "Ich bin tough. Ich habe die Kraft für diese Reisen." Und: "Ich habe einen intimen Kontakt in einer fernen, grossen Stadt. Ich habe ein aufregendes Leben."

Nun gut, vielleicht hat Elfie das alles gar nicht mitgemeint. Elfie ist jung, klug und wirklich sehr liebenswürdig.

Aber ich habe es damals mitgemeint. Ich wusste es nur noch nicht. Bern-Luzern ging damals als Fernbeziehung noch ziemlich gut durch.

Ich sage Elfie dann doch nicht, was ich damals gelernt habe: dass eine Fernbeziehung erst richtig aufregend wird, wenn aus ihr eine Nahbeziehung werden könnte. Dann fallen die Antworten auf die wirklich wichtigen Fragen: Bin ich tatsächlich stark? Oder habe ich mich nur für stark gehalten, weil er mich aus diskretem Abstand beschützt hat? Bin ich schon bereit, die Ketten der Monogamie definitiv zu tragen? Schrecke ich zurück, wenn ich die Schnappfalle Mutterschaft aufblitzen sehe? Manchmal fallen sie dann wie Hackebeilchen, die Antworten.

"Distanz" heisst das sechzehnte Wort im Projekt *txt auf neonwilderness. Das hier ist mein Beitrag.
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