Die Kinder von Palmyra
Palmyra, 14. Oktober 1998
Dieses Bild habe ich selber gemacht, was erstaunlich ist. Denn ich hing an jenem Tag ziemlich in den Seilen. Ich hatte eine so genannte Reisedarmgrippe - harmlos, aber ich hatte doch die halbe Nacht auf der Toilette verbracht. Es war eine gute, westliche Toilette in einem Viersternhotel - erschöpft war ich trotzdem.
Ich würde gerne sagen, ich sei von den 2000 Jahre alten Tempelanlagen in Palmyra hingerissen gewesen. Ich würde sie gerne wenigstens in meiner Erinnerung mächtig fortleben lassen - jetzt, wo der IS sie offenbar zerstört hat. Aber gestehe: Ich schleppte mich zwischen den korinthischen Säulen dahin und tat einfach nur mein Bestes.
Viele meiner Reisegefährten kämpften mit ähnlichen Problemen. Eine Frau aus dem Aargau war so dehydriert, dass sie in Palmyra ins Spital kam und dort ein paar Stunden am Tropf hing. Offenbar tat ihr das gut. Nachher war sie wieder in anständiger Verfassung.
Noch mehr als mein Magen machte mir das schlechte Gewissen zu schaffen. Beim Aussteigen auf dem Car-Parkplatz waren wir sofort von einem Schwarm schmutziger, bettelnder Kinder umringt worden. Ich muss es jetzt einmal sagen: In Syrien gab es damals für mich Westlerin schockierend arme Menschen.
Auf die bettelnden Kinder hatte man uns vorbereitet. Wir sollten ihnen Papier und Schreibzeug geben - Sachen, die sie in der Schule gebrauchen könnten. Sonst würden sich die Eltern daran gewöhnen, von der Bettelei ihrer Kinder zu leben. Dann würden sie sie nicht mehr zur Schule schicken. So verteilte ich Zeichenstifte und zweifelte an der Weisheit meines Tuns. Sind Zeichenstifte ein Trost, wenn man als Kind ohne Nachtessen ins Bett muss?
Erst Jahre später habe ich gelesen, was uns damals niemand erzählte: Palmyra war auch eine Stadt des Grauens. Es gab dort ein berüchtigtes Gefängnis, in dem Diktator Hafiz al-Assad 1980 zwischen 500 und 1000 Insassen hinrichten liess (Quelle hier). Die meisten waren Muslimbrüder (Hier ein sehr informativer Bericht über die syrischen Muslimbrüder und darüber, was sie mit dem IS verbindet). Im Gefängnis wurde auch gefoltert - anständige Gerichtsverfahren gabs keine. Geschlossen wurde es erst kurz bevor im Mai 2015 der IS kam. Der hat den Knast mittlerweile auch gesprengt.
diefrogg - 23. Sep, 16:03
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