Reise nach Syrien
Postkarte von der Zitadelle von Aleppo, aus dem Jahr 1998.
In Syrien könne jederzeit Krieg ausbrechen, las ich in der Zeitung. Ein Wasserstreit mit den Türken sei eskaliert. Ich war beunruhigt, denn das war einen Tag vor meinem Abflug nach Aleppo, im Herbst 1998. Die Türken hätten den Syrern den Euphrat abgegraben - den Fluss, der die Grossstadt Aleppo mit Wasser versorgte. Es könnte heute noch knallen. Danach nichts mehr am Radio - und Newsportale gab es noch keine. Um 16 Uhr rief ich ins Reisebüro an. Ich hoffte, mich drücken zu können.
Doch beim Reisebüro hiess es: "Alles halb so schlimm. Wir fliegen trotzdem." Alle anderen Mitreisenden seien informiert. Nur mich hatte man vergessen - ich war ja nur die Journalistin, die man auch noch mitnehmen musste. Die Reise nach Syrien war eine Leserreise des Magazins "B & B", bei dem ich Redaktorin war. Und alle Redaktoren bei "B & B" mussten ab und zu auf so eine Leserreise mit. Ich auch.
Ich hatte gar nicht nach Syrien gewollt. Ostpreussen wäre mir lieber gewesen. Kaliningrad. Aber nach Kaliningrad durfte nur der Chef. "Geh doch nach Syrien", sagte unsere Sekretärin. "Das ist total exklusiv. Und es soll so schön sein!"
So stieg ich am nächsten Morgen ins Flugzeug nach Aleppo. Es war ein klarer Herbsttag, und ich hatte einen Fensterplatz. Nie werde ich den Ausblick vergessen - die grüne Schweiz mit ihren klaren Konturen. Österreich. Dann, donauabwärts, immer weitere, trockenere Felder. Schliesslich die Türkei, ihre Erdoberfläche hellbraun kariert, Staubstrassen verästelt wie Blattgerippe - zur Linken das Schwarze Meer. Dann die mächtigen, graubraunen Höhen, wo die Türkei auf Syrien trifft. Hier versickerten selbst gut sichtbare Flüsse lange vor dem Meer. Eine Mondlandschaft.
Dann kamen wir in Aleppo an.
Die Erinnerung an diese Reise verfolgt mich seit Tagen: Jedesmal von Neuem, wenn ich die Bilder von flüchtenden syrischen Familien in Osteuropa sehe. Ich muss jetzt von dieser Reise erzählen. Ich will nicht damit angeben, dass ich einmal dort gewesen bin. Nein. Ich will zeigen, dass viele dieser Menschen einmal in grossen, Städten gewohnt haben. Dass sie ein Zusammenleben hatten und eine Kultur - eine sehr alte sogar. Ich tue es für sie - oder hoffe jedenfalls, es für sie zu tun. Es ist das einzige, was ich tun kann. Im Moment.
diefrogg - 28. Aug, 16:08
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