7
Dez
2013

Eine verwöhnte Frau


(Cate Blanchett in "Blue Jasmine")

Gestern sahen wir Woody Allen's Blue Jasmine. Es war erst 19 Uhr. Ich erwartete einen halb leeren Kinosaal. Aber es war voll. Die Leute wollen diesen Streifen sehen.

Der Kulturflaneur lästert ja gerne über Hollywood-Filme. Sie hätten nichts mit unserem Leben hier in der Schweiz zu tun, sagt er. Aber Blue Jasmine hat mehr mit unserem Leben zu tun als uns lieb ist. Er führt uns unsere Ängste vor dem sozialen Absturz vor. Wir Kinogänger hierzulande wissen, dass es uns gut geht. Besser als den meisten auf der Welt. Wir wissen, dass wir fallen könnten. Wir fürchten uns vor dem Fall. Wir wollen wissen, wie er sich anfühlt. Wie er aussieht.

Woody Allen's Hauptdarstellerin Cate Blanchett führt uns das grandios vor. Sie spielt Jasmine, die verwöhnte Gattin eines New Yorker Finanzhais. Zu Beginn des Films ist sie mit ihren Louis Vuitton-Täschchen unterwegs zu ihrer mausarmen Schwester in San Francisco. Ihr Mann ist über kriminelle Machenschaften gestrauchelt. Sie ist pleite, ziemlich durch den Wind und ihre Schwester ist ihre letzte Zuflucht.

Und dann fällt sie weiter.

Woody Allen ist ja berühmt für amüsante Gesellschaftskomödien. Aber mit diesem Film lehrte er mich: Die Tragödie ist überhaupt kein verstaubtes Genre. Nun gut, er hat auch komische Seiten - er wäre sonst kein Woody-Allen-Film. Aber wahrlich: Jasmine scheitert krass, bildschön und auf verstörende Weise.

Einen Aspekt dieses Scheiterns hat kein Kritiker (ausser jener der NZZ) bislang angesprochen: Jasmine's Mitschuld und Mitverantwortung - an den kriminellen Machenschaften ihres Mannes und am Fall ihrer ganzen Familie.

"She looked the other way", sagt ihre Schwester mehrmals über sie: Sie habe die dubiosen Geschäfte ihres Mannes absichtlich nicht gesehen - und auch nicht seine Affären. Aber eine unglaubliche dramatische Wendung zum Schluss legt nahe, dass sie viel wusste. Hätte sie ihren Mann stoppen können? Hätte sie verhindern können, dass er das Geld ehrbarer Kleinsparer verjubelte? Hätte sie irgendjemanden retten können, wenn sie wenigstens rechtzeitig ausgestiegen wäre? Wie hätte sie das tun können?

Die antike Tragödien-Theorie sagt, dass der Mensch seinem Schicksal nicht entrinnen kann. Und doch liegt in diesen Fragen letztlich die Lektion für uns angstgeleitete Zuschauer.
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