Wilhelm Tell hoch aktuell
Wir haben in den achtziger Jahren am Gymnasium Wilhelm Tell für die Schule von Max Frisch nicht gelesen. Wahrscheinlich hielt unser Deutschlehrer Frisch für einen Nestbeschmutzer.
Ich habe die Lektüre gestern nachgeholt. Und ich muss sagen: Das Buch ist brandaktuell. Ich meine: Die städtische Schweiz reibt sich gerade die Augen über den Erfolg der SVP. Über das wuchtige Nein zur Waffeninitiative auf dem Land. Über den Erfolg fremdenfeindlicher Parolen. Viele Städter sind wütend. Und genau dieser Wut gibt Frisch in seinem Text von 1971 eine Stimme.
Frischs Ton oszilliert zwischen leisem Sarkasmus und gerade noch beherrschter Tobsucht, wenn er über die Urschweizer aus dem Mythos schreibt. Er tut es in der Rahmengeschichte aus der Sicht des so genannten fremden Vogtes. Dieser heisst bei ihm nicht Gessler, sondern von Tillendorf (historisch ebenso plausibel). Er ist ein nicht besonders tüchtiger, aber eigentlich ganz sympathischer Kerl. Doch mit den Leuten von Uri kann er gar nicht. Sie sind in seinen Augen unerträglich engstirnig und selbstgerecht. "Sie wussten, wie man Käse macht, und brauchten sich von der Welt nicht belehren zu lassen. Ein Scherz konnte genügen, um es mit ihnen zu verscherzen... Was nicht so war wie schon immer, schien ihnen bedenklich, geradezu des Teufels." (S. 19/20)
In einer seiner ausgedehnten Fussnoten zur Rahmengeschichte schreibt er dann: "Der Glaube an das Althergebrachte, eine Essenz urschweizerischer Denkart, wobei man Neuerungen mehr fürchtet als Rückständigkeit, hat sich bis zum heutigen Tag erhalten." (S. 53)
Frisch dekliniert sämtliche Mythen der konservativen Schweiz durch: Isolationismus, Fremdenfeindlichkeit, Schiessfreudigkeit und beteuert: Es seien ewige Schweizer Werte, dem urschweizerischen Geist leider nicht auszutreiben.
Als hätte er den Text gestern geschrieben.
In den letzten zwei, drei Jahrzehnten sah es so aus, als ziehe sich dieser urschweizer Geist allmählich in die hintersten Täler zurück. Aber die SVP hat ihm flattiert, ihn gefüttert. Jetzt ist er wieder da und bis weit in die Vorstädte herein vorgedrungen. Er ist bedrohlich für alle, die wir im Herzen oder auf dem Papier keine Urschweizer sind. Wir werden lernen müssen, ihm ein Schnippchen zu schlagen. Wir wollen ja nicht enden wie Tillendorf.
* Max Frisch: "Wilhelm Tell für die Schule", Suhrkamp Taschenbuch, 2004.
Ich habe die Lektüre gestern nachgeholt. Und ich muss sagen: Das Buch ist brandaktuell. Ich meine: Die städtische Schweiz reibt sich gerade die Augen über den Erfolg der SVP. Über das wuchtige Nein zur Waffeninitiative auf dem Land. Über den Erfolg fremdenfeindlicher Parolen. Viele Städter sind wütend. Und genau dieser Wut gibt Frisch in seinem Text von 1971 eine Stimme.
Frischs Ton oszilliert zwischen leisem Sarkasmus und gerade noch beherrschter Tobsucht, wenn er über die Urschweizer aus dem Mythos schreibt. Er tut es in der Rahmengeschichte aus der Sicht des so genannten fremden Vogtes. Dieser heisst bei ihm nicht Gessler, sondern von Tillendorf (historisch ebenso plausibel). Er ist ein nicht besonders tüchtiger, aber eigentlich ganz sympathischer Kerl. Doch mit den Leuten von Uri kann er gar nicht. Sie sind in seinen Augen unerträglich engstirnig und selbstgerecht. "Sie wussten, wie man Käse macht, und brauchten sich von der Welt nicht belehren zu lassen. Ein Scherz konnte genügen, um es mit ihnen zu verscherzen... Was nicht so war wie schon immer, schien ihnen bedenklich, geradezu des Teufels." (S. 19/20)
In einer seiner ausgedehnten Fussnoten zur Rahmengeschichte schreibt er dann: "Der Glaube an das Althergebrachte, eine Essenz urschweizerischer Denkart, wobei man Neuerungen mehr fürchtet als Rückständigkeit, hat sich bis zum heutigen Tag erhalten." (S. 53)
Frisch dekliniert sämtliche Mythen der konservativen Schweiz durch: Isolationismus, Fremdenfeindlichkeit, Schiessfreudigkeit und beteuert: Es seien ewige Schweizer Werte, dem urschweizerischen Geist leider nicht auszutreiben.
Als hätte er den Text gestern geschrieben.
In den letzten zwei, drei Jahrzehnten sah es so aus, als ziehe sich dieser urschweizer Geist allmählich in die hintersten Täler zurück. Aber die SVP hat ihm flattiert, ihn gefüttert. Jetzt ist er wieder da und bis weit in die Vorstädte herein vorgedrungen. Er ist bedrohlich für alle, die wir im Herzen oder auf dem Papier keine Urschweizer sind. Wir werden lernen müssen, ihm ein Schnippchen zu schlagen. Wir wollen ja nicht enden wie Tillendorf.
* Max Frisch: "Wilhelm Tell für die Schule", Suhrkamp Taschenbuch, 2004.
diefrogg - 19. Feb, 16:02
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