Im nebligen Land dazwischen
"Wenn man dabei ist, sein Gehör zu verlieren, ist man weder eine hörende noch eine taube Person. Für Hörgeschädigte gibt es den nebligen Ort dazwischen. Es erreichen uns Geräusche, die wir nicht bestimmen können. Wir merken vielleicht, dass jemand spricht, ... aber wir sind nicht in der Lage, mehr als hier und da ein Wort zu entziffern. Wir sind uns oft auch nicht sicher, aus welcher Richtung das Geräusch kommt, das wir fühlen."
Das schreibt Hannah Merker in diesem Buch*:
Die Idee vom nebligen Ort dazwischen scheint Menschen anzusprechen, die noch nie Gehörprobleme gehabt haben. Meine Freundin Ella, von der ich mir das Buch geliehen habe, hat den Absatz jedenfalls mit einem Ausrufezeichen versehen. Auch in Besprechungen des Werkes habe ich ihn schon erwähnt gesehen.
Mich irritieren diese Sätze. Es ist was dran, aber das genügt mir nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich schon so unzählige, lange Ausflüge ins Land dazwischen gemacht habe. Inzwischen nenne ich es das Menière-Land, nach der Krankheit, die ich habe. Ich habe schon so viel Zeit im Meniere-Land verbracht, dass man mich bestimmt inzischen automatisch eingebürgert hat. Zurzeit glaube ich zwar, im Land der Hörenden, der Gesunden zu leben. Aber zu meiner Rechten sehe ich immer den Grenzfluss - und manchmal bin ich fast überzeugt, dass ich gerade in einer Gegend bin, wo die Grenze links vom Fluss und von mir verläuft.
Es lebt sich im Meniere-Land nicht wie in einem heiteren, westlichen Land. Es gibt dort eine Art Schreckensstarre, die nicht nur mit dem Verlust des Gehörs zu tun hat - sondern auch mit dem, wozu er mich gemacht hat. Meine Reisen ins Meniere-Land haben alle Entscheide beeinflusst, die ich in den letzten Jahren getroffen habe: Dass ich keine Kinder habe. Dass ich dieses oder jenes berufliche Projekt nicht verwirklicht habe.
Aber ich will nicht klagen. Das Land dazwischen hat auch seine Kompensationen: das Glück unerwarteter Freundschaften; die Freiheit von Ambitionen; die Freude darüber, ein paar Stunden, Tage oder Monate in die Welt der Normalen zurückkehren zu dürfen.
Doch je tiefer man hineingeht, desto bizarrer werden die Schrecken, die es bereithält.
Ich möchte gar nicht wissen, wie das Land dahinter, das Land der Taubheit, aussieht.
*Hannah Merker: Eine Frau erkundet ihre verstummende Welt"; Hamburg, Ingrid Klein Verlag, ISBN 3-89521-027-7, S. 26.
Das schreibt Hannah Merker in diesem Buch*:
Die Idee vom nebligen Ort dazwischen scheint Menschen anzusprechen, die noch nie Gehörprobleme gehabt haben. Meine Freundin Ella, von der ich mir das Buch geliehen habe, hat den Absatz jedenfalls mit einem Ausrufezeichen versehen. Auch in Besprechungen des Werkes habe ich ihn schon erwähnt gesehen.
Mich irritieren diese Sätze. Es ist was dran, aber das genügt mir nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich schon so unzählige, lange Ausflüge ins Land dazwischen gemacht habe. Inzwischen nenne ich es das Menière-Land, nach der Krankheit, die ich habe. Ich habe schon so viel Zeit im Meniere-Land verbracht, dass man mich bestimmt inzischen automatisch eingebürgert hat. Zurzeit glaube ich zwar, im Land der Hörenden, der Gesunden zu leben. Aber zu meiner Rechten sehe ich immer den Grenzfluss - und manchmal bin ich fast überzeugt, dass ich gerade in einer Gegend bin, wo die Grenze links vom Fluss und von mir verläuft.
Es lebt sich im Meniere-Land nicht wie in einem heiteren, westlichen Land. Es gibt dort eine Art Schreckensstarre, die nicht nur mit dem Verlust des Gehörs zu tun hat - sondern auch mit dem, wozu er mich gemacht hat. Meine Reisen ins Meniere-Land haben alle Entscheide beeinflusst, die ich in den letzten Jahren getroffen habe: Dass ich keine Kinder habe. Dass ich dieses oder jenes berufliche Projekt nicht verwirklicht habe.
Aber ich will nicht klagen. Das Land dazwischen hat auch seine Kompensationen: das Glück unerwarteter Freundschaften; die Freiheit von Ambitionen; die Freude darüber, ein paar Stunden, Tage oder Monate in die Welt der Normalen zurückkehren zu dürfen.
Doch je tiefer man hineingeht, desto bizarrer werden die Schrecken, die es bereithält.
Ich möchte gar nicht wissen, wie das Land dahinter, das Land der Taubheit, aussieht.
*Hannah Merker: Eine Frau erkundet ihre verstummende Welt"; Hamburg, Ingrid Klein Verlag, ISBN 3-89521-027-7, S. 26.
diefrogg - 3. Feb, 18:47
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