Frau Frogg und das Frauenstimmrecht
Klein Moni war sechs, als die Familie eines Tages nach der Sonntagsmesse einen Umweg machte. Es war 1971. Der Umweg führte zu einem Haus, das sonst nie jemand beachtete. An jenem Tag aber stand seine Tür offen und Leute gingen aus und ein. Auch Papa ging hinein. Mama blieb mit uns draussen. "Wo geht Papa hin?" fragte der kleine Bruder Andreas.
"Papa geht stemmen", sagte Mama. Natürlich meinte sie "stimmen", vielmehr "abstimmen". Aber das begriff Moni erst einige Zeit später. In unserem Dialekt ist ein kurzes "e" sehr ähnlich wie ein offenes "i".
Moni wusste schon, was "stemmen" war: eine Tätigkeit von Würde, eines dieser geheimnisvollen Rituale der Erwachsenen. Im Jahr zuvor hatte Mama es ihr erklärt, als Papa im Haus drin war. "Weisst Du, da gibt es ein paar Leute in der Schweiz. Die wollen, dass viele Ausländer das Land verlassen. Das heisst dann, dass Crispin vielleicht wieder zurück nach Portugal muss." Crispin war ein Kindergarten-Kamerad von mir, ein Einwandererkind. "Aber", sagte Mama, "in Portugal hat Crispins Papa ja keine Arbeit. Da wäre es doch eigentlich nicht in Ordnung, wenn er wieder zurück müsste, oder?" Ich gebe zu: Mutter Frogg's Art, uns zu die Politik beizubringen, war nicht ganz wertfrei. "Also, jedenfalls gehen jetzt alle Schweizer Männer deswegen stemmen. Das heisst: Sie dürfen auf einen Zettel schreiben, ob die Ausländer wieder aus der Schweiz weg müssen oder nicht." Dass Papa damals über die so genannte Überfremdungs-Initiative von James Schwarzenbach abstimmte, habe ich erst später gelernt.
Aber diesmal, in meinem sechsten Jahr, ging es um etwas anderes. Mama erklärte: "Jetzt entscheiden die Männer, ob die Frauen auch stemmen dürfen. Denn bis jetzt durften immer nur die Männer in dieses Haus hinein und einen Zettel ausfüllen. Aber viele finden, die Frauen sollten das auch dürfen. Jetzt schreiben die Männer da drin auf einen Zettel 'Ja' oder 'Nein'. Und wenn mehr als die Hälfte der Männer in der ganzen Schweiz 'Ja' schreibt, dürfen die Frauen auch stemmen."
"Und was schreibt Papa?" fragte Moni.
"Papa schreibt 'Ja"", sagte Mama.
Er war nicht der einzige. Am 7. Februar 1971 führte die Schweiz das Frauenstimmrecht ein - nach unzähligen Anläufen.
52 Jahre nach Deutschland.
41 Jahre nach der Türkei.
Am 7. Februar ist das 40 Jahre her. In diesen Jahren ist Moni Frogg erwachsen und älter geworden. Aber ich erinnere mich an diesen Sonntag. Er hat mich gelehrt:
- Die Direkte Demokratie mag eine gute Staatsform sein. Aber sie ist halt etwas langsam.
- Das Volk hat nicht immer beim ersten Anlauf recht.
- Nicht wegen jeder Veränderung fällt uns der Himmel auf den Kopf.
- Wer Steuern zahlt sollte auch mitbestimmen dürfen. Das ist fair und hat sich bewährt.
"Papa geht stemmen", sagte Mama. Natürlich meinte sie "stimmen", vielmehr "abstimmen". Aber das begriff Moni erst einige Zeit später. In unserem Dialekt ist ein kurzes "e" sehr ähnlich wie ein offenes "i".
Moni wusste schon, was "stemmen" war: eine Tätigkeit von Würde, eines dieser geheimnisvollen Rituale der Erwachsenen. Im Jahr zuvor hatte Mama es ihr erklärt, als Papa im Haus drin war. "Weisst Du, da gibt es ein paar Leute in der Schweiz. Die wollen, dass viele Ausländer das Land verlassen. Das heisst dann, dass Crispin vielleicht wieder zurück nach Portugal muss." Crispin war ein Kindergarten-Kamerad von mir, ein Einwandererkind. "Aber", sagte Mama, "in Portugal hat Crispins Papa ja keine Arbeit. Da wäre es doch eigentlich nicht in Ordnung, wenn er wieder zurück müsste, oder?" Ich gebe zu: Mutter Frogg's Art, uns zu die Politik beizubringen, war nicht ganz wertfrei. "Also, jedenfalls gehen jetzt alle Schweizer Männer deswegen stemmen. Das heisst: Sie dürfen auf einen Zettel schreiben, ob die Ausländer wieder aus der Schweiz weg müssen oder nicht." Dass Papa damals über die so genannte Überfremdungs-Initiative von James Schwarzenbach abstimmte, habe ich erst später gelernt.
Aber diesmal, in meinem sechsten Jahr, ging es um etwas anderes. Mama erklärte: "Jetzt entscheiden die Männer, ob die Frauen auch stemmen dürfen. Denn bis jetzt durften immer nur die Männer in dieses Haus hinein und einen Zettel ausfüllen. Aber viele finden, die Frauen sollten das auch dürfen. Jetzt schreiben die Männer da drin auf einen Zettel 'Ja' oder 'Nein'. Und wenn mehr als die Hälfte der Männer in der ganzen Schweiz 'Ja' schreibt, dürfen die Frauen auch stemmen."
"Und was schreibt Papa?" fragte Moni.
"Papa schreibt 'Ja"", sagte Mama.
Er war nicht der einzige. Am 7. Februar 1971 führte die Schweiz das Frauenstimmrecht ein - nach unzähligen Anläufen.
52 Jahre nach Deutschland.
41 Jahre nach der Türkei.
Am 7. Februar ist das 40 Jahre her. In diesen Jahren ist Moni Frogg erwachsen und älter geworden. Aber ich erinnere mich an diesen Sonntag. Er hat mich gelehrt:
- Die Direkte Demokratie mag eine gute Staatsform sein. Aber sie ist halt etwas langsam.
- Das Volk hat nicht immer beim ersten Anlauf recht.
- Nicht wegen jeder Veränderung fällt uns der Himmel auf den Kopf.
- Wer Steuern zahlt sollte auch mitbestimmen dürfen. Das ist fair und hat sich bewährt.
diefrogg - 1. Feb, 19:13
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